Sprachliche Bildung und Deutsch als Zweitsprache. Kristina Peuschel
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СКАЧАТЬ Jahren) unterschieden. Bei Erwerbsbeginn nach der Pubertät bzw. im Erwachsenenalter wird vom Zweitspracherwerb Jugendlicher und Erwachsener gesprochen (Geist/Krafft 2017, 17). Der Begriff ‚ungesteuert‘ verweist darauf, dass die jeweiligen Personen keine explizite Instruktion in Form von Sprachkursen erhalten.

      Erstspracherwerb beginnt mit der Geburt, verläuft also parallel zur allgemeinen Entwicklung des Kindes und kann sich durchaus auf mehrere Sprachen beziehen, wenn Kinder etwa in bilingualen Familien aufwachsen. Von Zweitspracherwerb spricht man, wenn Kinder ab dem dritten Lebensjahr mit einer oder mehreren weiteren Sprachen konfrontiert werden. (Rösch 2011, 11)

      Wie oben bereits erwähnt, weist demgegenüber die unterrichtliche Steuerung auf das gezielte Lernen von Deutsch als Fremdsprache hin (siehe 1.4 in diesem Studienbuch). Die Grenzen zwischen Zweitspracherwerb und Fremdsprachlernen sind jedoch für den Kontext des Studienbuches weder eindeutig zu bestimmen noch spielen sie hier eine zentrale Rolle. Eine Jugendliche erwirbt Deutsch, während sie am Fachunterricht teilnimmt ebenso wie im unterstützten Gespräch in der Pause oder beim expliziten Training von Schreibkompetenzen in einem ergänzenden Sprachkurs. Zudem geht die Unterscheidung von ‚erwerben‘ und ‚lernen‘ auf die Input-Hypothese von Krashen (1985) zurück, der zufolge Erwerb eher implizit stattfindet und Lernen durch das Erkennen und Anwenden von Regeln, auch explizit grammatischen Regeln, vollzogen wird. Da in den hier fokussierten Konzepten davon ausgegangen wird, dass Input und beiläufiger Erwerb für die schnelle Entwicklung deutschsprachiger Kompetenzen in der Schule nicht ausreichen, gleichzeitig jedoch der vorbereitendende Sprachunterricht und die additiven Sprachfördermaßnahmen ebenso wenig allein verantwortlich für schulischen Erfolg sind, muss von der Parallelität von Erwerb und Lernen als bestmöglicher Kombination ausgegangen werden.

      Im Zweitspracherwerb von Jugendlichen und Erwachsenen treten einzelne Phänomene wiederkehrend auf – Bezüge zur Erstsprache oder weiteren Sprachen, die sich in Transfer oder Interferenz zeigen können, im bewussten oder unbewussten Einsatz von Lernstrategien oder auch in spezifischen Erwerbsmustern.

      Transfer und Interferenz

      Die Strukturen einer ausgebauten L1 können in Bezug auf Phonetik, Wortschatz, Morphosyntax und Sprachhandlungen als individuelles Referenzsystem dienen. Zusätzlich sind spezifische soziokulturelle Dimensionen der Kommunikation angelegt, die sich auch auf den Sprachgebrauch in der L2 übertragen können. Im regelhaften, positiven Fall kommt es beim Erwerb einer L2 zu zahlreichen Transferphänomenen, die sich durch Erkenntnisse aus der Forschung auf der Basis der sog. Kontrastivhypothese sowie des linguistischen Sprachvergleichs vorhersagen lassen. So kann, je nach L1, auf das Konzept von verschiedenen Wortarten (Adjektiv, Verb, Substantiv, Pronomen u.a.) zurückgegriffen werden. Im Bereich des Wortschatzes lassen sich in der Regel Internationalismen und gemeinsame Wortschatzbestände ausmachen, die beim Lernen transferiert werden können. Prinzipiell kann bei einer strukturellen Ähnlichkeit von L1 und L2 davon ausgegangen werden, dass das Verständnis und die Produktion von L2-Äußerungen erleichtert werden, wenn auf die L1 zurückgegriffen werden kann. Der negative Fall tritt ein, wenn aus strukturellen Unterschieden zwischen L1 und L2 Interferenzphänomene in der L2 entstehen. Diese werden häufig allein als Fehler wahrgenommen. Es handelt sich dabei jedoch zunächst um regulär auftretende Phänomene (siehe auch den Abschnitt „Lernersprache, Fehler und Korrektur“ in 2.3 in diesem Studienbuch).

      So kann das Fehlen der Differenzierung der Phoneme /r/ und /l/ im Phoneminventar des Chinesischen und anderer asiatischer Sprachen zu Interferenzen im Deutschen, Englischen, Spanischen etc. führen. Wenn aufbauend auf der L1 Türkisch die L2 Deutsch erworben wird, werden die im Deutschen durch Präpositionen ausgedrückten Angaben wie Ort oder Zeit häufig anders realisiert, da das Türkische als agglutinierende Sprache nicht über Präpositionen verfügt. Die Bedeutung der deutschen Präpositionen wird in Suffixen (Kasusendungen) ausgedrückt: eve (nach Hause, Dativ); Berlinde (in Berlin, Lokativ); Berlinden (aus Berlin, Ablativ). Auch L1 wie das Englische, Spanische, Portugiesische, Französische u.a. ermöglichen beim L2-Erwerb des Deutschen Transfer und Interferenz. So ist das Deutsche die einzige der genannten Sprachen, in der alle Substantive durch Großschreibung markiert sind, ein Umstand, der in schriftlichen Produktionen häufige Fehlermarkierungen mit sich bringen kann. Das Russische beispielsweise verfügt, wie auch zahlreiche andere Sprachen, über ein vom Deutschen differierendes Alphabet und Schriftsystem (Kyrillisch), was sich bei in der L1 Russisch alphabetisierten Kindern im deutschen Schulsystem durchaus als problematisch darstellen kann, wenn der Zweitschrifterwerb in der L2 Deutsch nicht parallel zum Erwerb mündlicher Kompetenzen angemessen unterstützt wird (weiterführend hierzu z.B. Krifka et al. 2014).

      Die hier gegebenen Beispiele für potentiellen Transfer und potentielle Interferenzen ausgehend von Sprachkompetenzen in einer L1 sollen zweierlei verdeutlichen. Erstens: Der Blick auf Spracherwerbsphänomene in einer mehrsprachigen Konstellation erfordert linguistisches Wissen, damit spezifische Phänomene angemessen und wertfrei beschreibbar sind. Sie verdeutlichen zweitens, dass in jeder Sprachenkonstellation Erwerbsprozesse Entwicklungsprozesse sind, die unterstützt und ausgebaut werden können, insofern bei den unterstützenden Personen – Lehrkräften in unserem Fall – das dafür nötige Wissen vorhanden ist.

      Erwerbs- und Lernstrategien

      L2-Lernende verfügen über eine Reihe von Strategien, mit denen sie selbst ihren eigenen Erwerbsprozess kreativ stützen und dabei Hypothesen über die möglichen Regularien der neuen Sprache bilden (Rösch 2005; Tracy 2007). Zu diesen gehören z.B. die Über- oder Unterspezifizierung von Wortbedeutungen, kreative Wortschöpfungen, die Übergeneralisierung von bereits erworbenen grammatischen Regeln (*ich habe geesst, *ich schreibte) oder auch das Vermeiden von schwierigen Strukturen. Nicht immer sind die bekannten und angewandten Strategien diejenigen, die zum größten Erfolg führen. Eher kognitive, direkte Strategien dienen der Arbeit mit dem sprachlichen Material selbst. So können mentale und sprachliche Bezüge durch Mind-Maps er- und verarbeitet werden und das Erlernen neuen Wortschatzes kann besser in Form von festen Wendungen, Chunks und Wortgruppen als isoliert erfolgen. Indirekte, metakognitive Lernstrategien dienen dazu, den Sprachlernprozess zu steuern, Zeit für konzentriertes Lernen zu schaffen, sich realistische Lernziele zu setzen und den Lernprozess daraufhin zu planen, umzusetzen und selbst zu evaluieren. Es ist daher sinnvoll, auch über die explizite und implizite Verwendung und das Training von Sprachlernstrategien den Lernenden weitere Mittel zur Selbsthilfe mitzugeben und so insgesamt zu einer größeren Autonomie der Lernenden beizutragen (vgl. knapp dazu auch Huneke/Steinig 2013, 27f.).

      Spracherwerbsstufen

      Neben dem Einfluss, den verschiedene Erstsprachen auf den Erwerb des Deutschen als L2 haben können (aber nicht müssen) sowie den Strategien, die Lernende verwenden, um sich selbst beim Spracherwerb zu unterstützen, gehören zu den wissenswerten Aspekten von Spracherwerb auch Kenntnisse über typische Erwerbsverläufe. In der bereits angeführten Studie von Clahsen/Meisel/Pienemann (1983) wurden die Grundlagen für heute immer noch geltende Erwerbstufen gelegt, die wiederum die Grundlage für das diagnostische Verfahren der Profilanalyse sind. Diese und andere Studien haben eine relativ feste Abfolge im Erwerb syntaktischer Strukturen ergeben. So verläuft der Erwerb angefangen bei bruchstückhaften Äußerungen über Sätze mit finitem, also konjugiertem (gebeugtem) Verb an der zweiten syntaktischen Position über Sätze mit separierten, also getrennten Prädikatsteilen bis hin zu Sätzen, in denen eine Inversion zu Beginn des Satzes realisiert wird.

      Unter Rückgriff auf Grießhaber (2017) lassen sich diese Stufen des Erwerbs spezifischer syntaktischer Strukturen im Deutschen wie folgt abbilden und u.a. für Sprachstandsdiagnosen nach der Profilanalyse nutzen (vgl. auch Rösch 2011, 25):

       Stufe 0 = bruchstückhafte Äußerungen ohne finites Verb: anziehen ja / danke

       Stufe 1 = finites Verb in einfachen Äußerungen: Ich versteh. СКАЧАТЬ