Sprachliche Bildung und Deutsch als Zweitsprache. Kristina Peuschel
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СКАЧАТЬ Zeit im Ausland, noch habe ich dort Verwandtschaft. Auch in meiner Freizeit hatte ich nie irgendeinen Kontakt zu anderen Sprachen gehabt, daher blieb mir nur Schule und danach Uni. Schade!“

      Diese Beispiele individueller sprachlicher Ressourcen zeugen vom Normalfall sprachlicher Heterogenität, die sichtbar gemacht werden kann und sollte (mehr zu Sprach(lern)biographien z.B. in Busch 2017). In dieser Sichtbarmachung liegen im Falle von Lehramtsstudierenden mindestens zwei große Chancen.

       Die Studierenden erhalten Zugang zu ihren eigenen sprachlichen Ressourcen, können sich selbst reflektieren und darüber nachdenken, wie sie ihre Ressourcen in ihrer späteren professionellen Tätigkeit einsetzen.

       Zukünftige Lehrpersonen können sich den potentiell mehrsprachigen Schüler*innen mit einer ähnlich reflexiven Haltung nähern und so auch deren sprachliche Ressourcen herausarbeiten, positiv bewerten und für das Lernen einbeziehen.

      Nicht alle individuellen (sprachlichen) Ressourcen können im Bildungsverlauf relevant gesetzt werden, einige gehen verloren, werden nicht ausgebaut und sind nur noch als Erinnerung und Element einer Biographie vorhanden (mehr dazu bei Brizić 2009). Mehrsprachigkeit kann aber auch bereits aufgrund familiärer Gegebenheiten und Ressourcen, unabhängig von schulischen Lernprozessen, vorhanden sein. Sie kann zudem durch Unterricht – vor allem den Unterricht in den modernen Fremdsprachen – hergestellt werden. Nicht alle sprachlichen Ressourcen erstrecken sich in gleichem Maße auf alle gesellschaftlichen Domänen, nicht alle Sprachen werden in gleichem Maße schriftlich und mündlich beherrscht. Der Begriff ‚Mehrsprachigkeit‘ wird „in den verschiedenen Disziplinen und Sprachräumen nicht einheitlich benutzt“ (Hu 2016, 11). Grundsätzlich steht Mehrsprachigkeit mit Bilingualität oder mit einem Repertoire von mehr als zwei Sprachen im Zusammenhang, so in der Tertiärsprachenforschung und der Fremdsprachendidaktik. Eine weitere grundlegende Unterscheidung ist die zwischen Plurilingualitität bzw. Plurilingualismus und Multilingualismus, das eine mit Referenz auf die individuellen Ressourcen und den individuellen Sprachgebrauch, das andere mit Bezug auf die gesellschaftliche Verfasstheit. So ist beispielsweise die Schweiz ein mehrsprachiger, multilingualer Staat mit Individuen, die plurilingual sind, wenn sie die verschiedenen Schweizer Landessprachen beherrschen (Italienisch, Deutsch, Französisch, Rätoromanisch).

      Wird die Perspektive auf den individuellen mehrsprachigen Sprachgebrauch gelenkt und damit weg von der Perspektive auf einzelne Sprachen als voneinander abgrenzbaren Systemen, wird dieser mehrsprachige Sprachgebrauch auch als translanguaging bezeichnet (García/Kleyn 2016; García/Johnson/Seltzer 2017). Mit den Begriffen L1, L2, L3, Erstsprache, Zweitsprache, Drittsprache werden in der Fremd- und Zweitsprachenerwerbsforschung Sprachen als abgeschlossene Systeme markiert, die in einer zeitlichen Reihenfolge (gleichzeitig oder sukzessiv) von Individuen erworben werden. Diese Sicht gerät jedoch zunehmend in einen kritischen Fokus, v.a. dann, wenn mit subjektorientierten Sprachkonzepten, ausgehend vom sprechenden Individuum, beobachtbar wird, dass dieselbe Person zur gleichen Zeit mehrere Sprachen verwendet:

      A translanguaging theory […] takes the point of view of the bilingual speaker himself or herself for whom the concept of two linguistic systems does not apply, for he or she has one complex and dynamic linguistic system that the speaker then learns to separate into two languages, as defined by external social factors, and not simply linguistic ones. Translanguaging […] is an approach to bilingualism that is centered, not on languages as has often been the case, but on the practices of bilinguals that are readily observable […]. (García/Kleyn 2016, 12)

      Aufbauend auf dem Bisherigen stellt sich nun die Frage, welche Brücken sich schlagen lassen zwischen den normativ homogenisierenden schulischen Anforderungen und der Realität einer mehrsprachigen, von Migration geprägten Gesellschaft, in der selbstverständlich deutschsprachige Fähigkeiten für schulischen Erfolg und damit für eine breite gesellschaftliche Teilhabe eine bedeutende Rolle spielen. Eine Möglichkeit bestünde darin, sich zunächst den tatsächlichen Ausprägungen von Mehrsprachigkeit überregional, aber auch lokal zuzuwenden und der linguistic superdiversity bundesdeutscher Großstädte sowie ihrer schulischen Einrichtungen (Duarte/Gogolin 2013) ebenso Rechnung zu tragen wie der Tatsache, dass zwischen 30 % und 50 % der bundesdeutschen Bevölkerung inzwischen mit dem Merkmal ‚Migrationshintergrund‘ statistisch erfasst werden (vgl. zusammenfassend Geist/Krafft 2017, 12f., bezugnehmend auf statistische Angaben aus den Jahren 2013 und 2014).

      Dabei ist jedoch der Zusammenhang zwischen Migrationshintergrund und Mehrsprachigkeit nicht automatisch gegeben. Auch aus bildungsstatistischen Daten geht nicht hervor, wie mehrsprachig Schüler*innen der Sekundarstufen sind, da in der Regel die Erhebungen mit dem Merkmal Migrationshintergrund arbeiten und dabei auf die Herkunft von Eltern, auf Geburtsort und Staatsangehörigkeit rekurriert wird.1 Der noch unbestimmte Zusammenhang zwischen der Erhebung von schulstatistischen Daten und Sprache wird in der folgenden Definition von „Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund“ der Kultusministerkonferenz (KMK) deutlich:

      Grundsätzlich ist der Migrationshintergrund schwierig zu erfassen […]. Danach ist bei Schülerinnen und Schülern ein Migrationshintergrund anzunehmen, wenn mindestens eines der folgenden Merkmale zutrifft:

      1 Keine deutsche Staatsangehörigkeit,

      2 Nichtdeutsches Geburtsland,

      3 Nichtdeutsche Verkehrssprache in der Familie bzw. im häuslichen Umfeld (auch wenn der Schüler/die Schülerin die deutsche Sprache beherrscht). (KMK 2017, 32)

      Die spezifischen sprachlichen Kompetenzen in mehreren Sprachen bleiben in der hier aufgeführten Definition unbenannt und undifferenziert. Im Ergebnis dieser Darstellungen erscheint die Gruppe der Schüler*innen mit Migrationshintergrund zunächst als eine homogene und tendenziell defizitäre Gruppe. Der Zusammenhang zwischen Migrationshintergrund und dem Erwerb des Deutschen als Zweitsprache bleibt jedoch im Detail unklar. So gibt es selbstverständlich auch Schüler*innen, auf die Merkmale 1 und/oder 2 aus der Liste der KMK zutreffen, die aber monolingual aufwachsen sind. Eine Schülerin kann beispielsweise eine Mutter mit iranischer Staatsangehörigkeit haben, aber allein mit ihrem deutschsprachigen Vater aufwachsen und kein Wort Farsi sprechen. Zahlreiche in der Bundesrepublik geborene, bilingual und mehrsprachig aufgewachsene Kinder und Jugendliche sind zudem Teil des Bildungssystems, ohne dass deren individuelle sprachliche Ressourcen bisher systematisch Berücksichtigung gefunden hätten.

      Im Schuljahr 2016/2017 wurden beispielsweise an allgemeinbildenden Schulen im Land Baden-Württemberg insgesamt 120801 als ausländisch bezeichnete und damit auch meist mehrsprachige Schüler*innen erfasst (Statistisches Landesamt Baden-Württemberg 2018). Der Anteil dieser Schüler*innen an Gymnasien steigt seit dem Jahr 2000/2001 kontinuierlich an und beträgt 2016/2017 5,1 % der gymnasialen Gesamtschülerschaft. In der Sekundarstufe I der Gemeinschaftsschulen Baden-Württembergs hat sich der Anteil sog. ausländischer Schüler*innen von 6,8 % im Schuljahr 2012/2013 auf 15,7 % im Schuljahr 2016/2017 mehr als verdoppelt. Die zum Zeitpunkt der Erhebung in Vorbereitungsklassen beschulten neuzugewanderten Kinder und Jugendlichen haben, abhängig von ihren eigenen oder der familiären Bleibeperspektive, die hier genannten Zahlen noch einmal erhöht. Nach einer Sondererhebung des Kultusministeriums des Landes Baden-Württemberg von Mai 2017 wurden zu diesem Zeitpunkt etwa 30800 Kinder und Jugendliche in Vorbereitungsklassen beschult, davon etwa 17000 in Grundschulen, fast 8000 in Werkreal- und Hauptschulen und ca. 6000 in Gemeinschaftsschulen, Gymnasien, Realschulen und Integrierten Schulformen. (Landtag BW, Drucksache 16/1931, 19.4.2017)

      Wie bereits festgestellt, ist davon auszugehen, dass in Bezug auf die schulsprachlichen Normen und Erwartungen alle Schüler*innen Merkmale sprachlicher Heterogenität aufweisen. Die Zweitsprache Deutsch als eines dieser Merkmale kann in einem auf Homogenität ausgerichteten Schulsystem als ein Ungleichheit generierender Faktor angesehen werden, dem auf verschiedenen Ebenen schulischer Bildung – Schulsystem, Einzelschule, Individuum – begegnet werden kann und sollte (Pilz 2018).

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