Название: Achtsames Selbstmitgefühl unterrichten
Автор: Кристин Нефф
Издательство: Bookwire
Жанр: Зарубежная психология
isbn: 9783867813242
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Selbstmitgefühl bietet eine Zuflucht vor der rauen See positiver und negativer Selbstbeurteilung, sodass wir endlich aufhören können zu fragen: »Bin ich so gut wie die anderen? Bin ich gut genug?« Das Glück des Selbstmitgefühls beruht weder darauf, besser zu sein als alle anderen, noch auf der Frage, ob unsere Bemühungen von Erfolg gekrönt sind. Das Glück des Selbstmitgefühls kommt daher, dass wir der Unvollkommenheit des Lebens und unserer eigenen Unvollkommenheit mit offenem Herzen und Geist begegnen.
Wir haben alles, was wir brauchen, um uns selbst mit jener warmherzigen, unterstützenden Fürsorge zu versorgen, nach der wir uns zutiefst sehnen. Wenn wir unsere tiefen inneren Quellen der Güte erschließen, die Erfahrung gemeinsamen Menschseins anerkennen und uns der Realität des gegenwärtigen Augenblicks öffnen, fühlen wir uns erfüllter und lebendiger. Selbstmitgefühl ist ein alchemistischer Prozess, der Leiden in Freude verwandeln kann. Wie unsere Kollegin Michelle Becker sagt, kristallisiert sich ein neuer Zustand heraus, wenn wir unseren Schmerz mit offenem Herzen annehmen – ein Zustand der »liebevollen, verbundenen Präsenz«, der den drei Elementen des Selbstmitgefühls entspricht. Vor allem, wenn sich die zärtliche, heilende Kraft des Selbstmitgefühls mit der leidenschaftlichen Entschlossenheit, Leiden zu lindern, verbindet, können wir inmitten von Herausforderungen und Veränderungen aufblühen.
Wichtige Punkte, an die wir uns erinnern sollten
Selbstmitgefühl ist nichts anderes als nach innen gerichtetes Mitgefühl. Wir können es in jedem Moment des Leidens, ob groß oder klein, anwenden.
Selbstmitgefühl umfasst im Wesentlichen drei Elemente: 1) Freundlichkeit gegenüber sich selbst im Gegensatz zu Selbstverurteilung, 2) die Anerkennung der Erfahrung des gemeinsamen Menschseins im Gegensatz zu Isolation und 3) Achtsamkeit im Gegensatz zu Überidentifikation.
Bei Achtsamkeit geht es um das liebevolle Gewahrsein der Erfahrung. Beim Selbstmitgefühl geht es um das liebevolle Gewahrsein der Erfahrenden.
Das Yin des Selbstmitgefühls bedeutet: auf eine akzeptierende Weise mit sich selbst zu sein – tröstend, beruhigend und den eigenen Schmerz anerkennend. Das Yang des Selbstmitgefühls bedeutet: handeln, um unser Leiden zu lindern – schützend, versorgend und uns selbst motivierend, wenn nötig.
Selbstmitgefühl und Selbstwertgefühl sind beides positive Wege, sich auf sich selbst zu beziehen, aber das Selbstwertgefühl beruht auf einer Evaluierung des eigenen Wertes, der an bestimmte Bedingungen geknüpft ist und auf Erfolg basiert, während Selbstmitgefühl bedingungslose Selbstakzeptanz auch in Momenten des Scheiterns impliziert.
Weitverbreitete Vorbehalte gegenüber Selbstmitgefühl können zerstreut werden:
Selbstmitgefühl ist weder egoistisch noch egozentrisch, sondern stellt uns die emotionalen Ressourcen zur Verfügung, die wir brauchen, um uns um andere kümmern zu können.
Selbstmitgefühl ist kein Selbstmitleid. Es lässt uns die Verbindungen zwischen unseren Erfahrungen und denen anderer ohne Übertreibung erkennen.
Selbstmitgefühl ist nicht schwach, sondern kann kämpferisch für Selbstschutz und Selbstunterstützung einstehen. Es ist eine Quelle der Kraft und Resilienz in herausfordernden Situationen.
Selbstmitgefühl bedeutet nicht, sich selbst alles durchgehen zu lassen, denn sein Ziel ist letztendlich die Linderung von Leiden. Selbstmitgefühl stellt langfristiges Wohlbefinden über kurzfristiges Vergnügen.
Selbstmitgefühl schließt konstruktive Kritik und Unterscheidungsvermögen mit ein, nicht aber harte, herabsetzende Selbstverurteilung.
Selbstmitgefühl stärkt die Motivation, statt sie zu untergraben. Anders als Selbstkritik motiviert Selbstmitgefühl eher durch Fürsorglichkeit, Unterstützung und Ermutigung als durch Angst und Scham.
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Die Wissenschaft vom Selbstmitgefühl
Wir leben in einer Zeit, in der die Wissenschaft bestätigt, was Menschen seit Jahrtausenden wissen: dass Mitgefühl kein Luxus ist.Es ist eine Notwendigkeit für unser Wohlbefinden, unsere Resilienz und unser Überleben.
Joan Halifax (2012b)
In unserer zunehmend säkularen, vielfältigen Welt ist die wissenschaftliche Forschung ein wichtiger Weg, um unser Leben zu verstehen und Fakten von Fiktion zu trennen. Die Forschung gibt uns auch die Zuversicht und den Mut, Neues auszuprobieren, beispielsweise den herausfordernden Weg zum Selbstmitgefühl einzuschlagen. Die wissenschaftliche Erforschung des Selbstmitgefühls expandiert exponentiell (siehe Abb. 3.1), ähnlich wie seinerzeit in der Achtsamkeitsforschung. Und sowohl Selbstmitgefühl als auch Achtsamkeit werden derzeit in alle Bereiche der modernen Gesellschaft integriert. Dieses Kapitel gibt einen Überblick über bestehende wissenschaftliche Studien zum Thema »Selbstmitgefühl« und beschreibt konvergierende Trends in der Forschung.
Die Methodik der Selbstmitgefühlsforschung
Bisher wurden die meisten Studien über Selbstmitgefühl mithilfe der Selbstmitgefühlsskala (SCS; Neff, 2003a) durchgeführt, einer 26-Punkte-Selbstbewertungsskala, die Selbstmitgefühl wie von Neff definiert (2003b) messen soll. Die zwölf Punkte umfassende Kurzform der SCS (SCS-SF) wird auch häufig in der Forschung verwendet, da sie eine nahezu perfekte Korrelation zur Langform aufweist (Raes, Pommier, Neff und Van Gucht, 2011). Die SCS ermöglicht eine direkte Einschätzung, wie oft Menschen mit Gedanken, Gefühlen und Verhaltensweisen beschäftigt sind, die mit den unterschiedlichen Dimensionen des Selbstmitgefühls korrelieren. Die Skala soll Selbstmitgefühl als Ganzes messen, aber die sechs Subskalen der SCS können auch einzeln angewandt werden, um Aspekte des Selbstmitgefühls zu untersuchen, die mit positiverem und weniger negativem Umgang mit sich selbst in stressvollen Zeiten assoziiert werden.
Abbildung 3.1: Wissenschaftliche Publikationen über Selbstmitgefühl von 2003 bis 2017 (N = 1840, basierend auf Einträgen einer Google-Scholar-Suche mit dem Begriff »Selbstmitgefühl« im Titel).
Items auf den Subskalen sind beispielsweise Freundlicher Umgang mit sich selbst (»Ich versuche, liebevoll mit mir umzugehen, wenn ich emotionalen Schmerz erlebe«), Selbstverurteilung (»Ich urteile über meine eigenen Schwächen und Unzulänglichkeiten und missbillige sie«), Erfahrung gemeinsamen Menschseins (»Wenn die Dinge schlecht für mich laufen, betrachte ich die Schwierigkeiten als Teil des Lebens, die jeder Mensch durchmacht«), Isolation (»Wenn ich über meine Unzulänglichkeiten nachdenke, fühle ich mich eher vom Rest der Welt abgeschnitten«), Achtsamkeit (»Wenn ich mich niedergeschlagen fühle, versuche ich, meinen Gefühlen mit Neugier und Offenheit zu begegnen«) und Überidentifikation (»Wenn mich etwas aufregt, lasse ich mich von meinen Gefühlen hinreißen«; siehe auch Kapitel 2). Negative Items werden umgekehrt kodiert, sodass höhere Werte auf einen relativen СКАЧАТЬ