Название: Achtsames Selbstmitgefühl unterrichten
Автор: Кристин Нефф
Издательство: Bookwire
Жанр: Зарубежная психология
isbn: 9783867813242
isbn:
Manche Menschen fürchten, Selbstmitgefühl sei ein Zeichen von Schwäche oder Feigheit oder zumindest von Passivität. In diesem Fall wird das Empfinden von Mitgefühl mit »immer nett sein« verwechselt. Doch wie bereits erwähnt wurde, kann Selbstmitgefühl in seinem Yang-Aspekt sehr beherzt und kraftvoll sein und eine starke und resolute Haltung gegenüber allem einnehmen, was Schaden anrichtet. Anstatt eine Schwäche zu sein, ist Selbstmitgefühl eine wichtige Ressource der Bewältigung und Resilienz. Wenn wir große Lebenskrisen wie eine Scheidung, eine schwere Krankheit oder ein Trauma durchleben, macht Selbstmitgefühl den entscheidenden Unterschied im Hinblick auf unsere Fähigkeit, zu überleben und sogar angesichts widriger Umstände zu erstarken (Brion, Leary und Drabkin, 2014; Hiraoka et al., 2015; Sbarra, Smith und Mehl, 2012). Nicht nur das, womit wir im Leben konfrontiert werden, sondern wie wir mit uns selbst in Beziehung treten, wenn es hart auf hart kommt – als innere Verbündete oder Feinde –, bestimmt unsere Fähigkeit, Schwierigkeiten erfolgreich zu meistern.
Eine weitere falsche Vorstellung über Selbstmitgefühl ist die, dass es zu übertriebener Nachsichtigkeit führen könnte. Bedeutet Freundlichkeit gegenüber uns selbst denn nicht, dass wir uns geben, was wir wollen, und uns alles durchgehen lassen? (»Ich fühle mich traurig. Hm. Diese Packung Eiscreme sieht gerade ziemlich verlockend aus.«) Wir müssen uns daran erinnern, dass beim Selbstmitgefühl der Blick auf das Ziel gerichtet ist – die Linderung von Leiden. Übergroße Nachsicht führt hingegen dazu, dass wir uns kurzzeitiges Vergnügen gönnen, das uns langfristig schadet. Eine mitfühlende Mutter würde ihrer Tochter nicht einen Becher Eis nach dem anderen geben und ihr Kind nicht die Schule schwänzen lassen, wann immer es wollte, nicht wahr? Das wäre unangemessene Nachsichtigkeit. Stattdessen fordert eine mitfühlende Mutter ihr Kind auf, seine Hausaufgaben zu machen und sein Gemüse zu essen. Selbstmitgefühl vermeidet Genusssucht, weil diese uns schadet, während langfristiges Wohlergehen oft ein Aufschieben der Belohnung erfordert.
Viele Menschen zweifeln am Wert des Selbstmitgefühls, weil sie sich fragen: »Aber müssen wir denn nicht manchmal selbstkritisch sein?« In diesem Fall wird harte Selbstverurteilung mit konstruktiver Kritik verwechselt. Selbstmitgefühl verzichtet auf herabsetzende, demütigende Selbstverurteilung wie »Ich bin ein fauler, nichtsnutziger Loser«. Wenn wir uns selbst am Herzen liegen, werden wir konstruktive Wege finden, die Dinge besser zu machen. Solche Kritik bezieht sich jedoch immer auf konkrete Verhaltensweisen und geht nicht mit pauschaler Selbstverurteilung einher. Beispielsweise könnte eine mitfühlende innere Stimme sagen: »Die Tatsache, dass du seit sechs Monaten nicht im Fitnessstudio warst, hat dazu geführt, dass du dich müde und abgeschlagen fühlst. Vielleicht solltest du etwas daran ändern.« Das ist eine nutzbringendere Form der Rückmeldung als »Du bist ein fauler Hund!« (Und sicherlich weniger verletzend.) Oft bestimmt auch der Ton der Botschaft, ob eine Kritik konstruktiv oder destruktiv ist.
Da viele Menschen annehmen, Selbstmitgefühl sei nichts anderes als Selbstakzeptanz (Yin), ohne zu verstehen, dass es auch bedeutet, aktiv zu werden (Yang), fürchten sie, dass Selbstmitgefühl ihre Motivation, sich weiterzuentwickeln, untergraben würde. Sie denken, dass sie automatisch einem trägen Defätismus erlägen, wenn sie sich nicht dafür kritisierten, dass sie den Ansprüchen, die sie an sich selbst stellen, nicht gerecht geworden sind. Leider ist dies ein wichtiger Hinderungsgrund für Selbstmitgefühl. Aber denken wir einmal kurz darüber nach, wie mitfühlende Eltern ihre Kinder erfolgreich motivieren. Wenn Ihr jugendlicher Sohn eines Tages mit einer schlechten Englischnote nach Hause kommt, könnten Sie angewidert schauen und zischen: »Dummer Kerl. Aus dir wird nie etwas werden. Ich schäme mich für dich.« (Das lässt Sie zusammenzucken, nicht wahr? Aber es ist genau das, was wir zu uns selbst sagen, wenn wir die hohen Erwartungen, die wir an uns selbst haben, nicht erfüllen.) Anstatt Ihren Sohn zu motivieren, würde dieser kalte Guss der Beschämung höchstwahrscheinlich dazu führen, dass er das Vertrauen in sich selbst verliert, äußere Umstände verantwortlich macht (»Der Test war nicht fair«) und schließlich aufgibt.
Alternativ könnten Sie einen mitfühlenden Ansatz wählen, indem Sie sagen: »Oh, schade, bestimmt ärgerst du dich jetzt. Komm, lass dich umarmen. So was passiert uns allen mal. Aber wir müssen versuchen, deine Englischnoten zu verbessern; denn ich weiß ja, dass du studieren möchtest. Was kann ich tun, um dich zu unterstützen und dir zu helfen, damit du es beim nächsten Mal besser machst? Du schaffst das schon.«
Beachten Sie, dass hier das Scheitern ehrlich benannt wird, Mitgefühl für den Schmerz des Sohnes ausgedrückt wird und die Ermutigung folgt, über dieses momentane Schlagloch auf dem Weg hinaus oder darum herumzugehen. Im Idealfall wird ihm diese Art der mitfühlenden Reaktion helfen, sein Selbstvertrauen zu bewahren und sich emotional unterstützt zu fühlen. Sie vermittelt auch das Gefühl der Sicherheit, das er braucht, um genau anschauen zu können, wo der Hase im Pfeffer liegt (vielleicht hätte er mehr lernen und weniger Videospiele spielen sollen), sodass er aus seinen Fehlern lernen kann.
Das ist sicher leicht einzusehen, wenn wir an einen gesunden Umgang von Eltern mit ihren Kindern denken, aber es ist nicht so einfach, diese Logik auf uns selbst anzuwenden. Wir sind fast süchtig nach unserer Selbstkritik, und auf einer bestimmten Ebene denken wir, dass der Schmerz hilfreich ist.
Selbstkritik wirkt in dem Maße als Motivator, in dem wir von dem Wunsch getrieben werden, im Falle unseres Scheiterns eine Selbstverurteilung zu vermeiden. Wenn wir aber wissen, dass das Scheitern eine Flut von Selbstkritik nach sich ziehen wird, kann das manchmal zu beängstigend sein, um überhaupt einen Versuch zu wagen. Deshalb gibt es einen Zusammenhang zwischen Selbstkritik und schwachen Leistungen oder Strategien der Selbstsabotage (Powers, Koestner und Zuroff, 2007). Wir benutzen Selbstkritik auch als Mittel, um uns durch Beschämung zum Handeln zu bewegen, wenn wir mit persönlichen Schwächen konfrontiert werden. Dieser Ansatz geht jedoch nach hinten los, wenn Schwächen nicht anerkannt werden, um Selbstzensur zu vermeiden (Horney, 1950). Mit Selbstmitgefühl wollen wir jedoch aus einem ganz anderen Grund etwas erreichen: einfach, weil es uns am Herzen liegt. Man könnte sagen, dass die Motivation hinter dem Selbstmitgefühl Liebe ist, während die Motivation hinter der Selbstkritik Angst ist. Wenn wir uns wirklich wichtig sind, werden wir Dinge tun, um uns glücklich zu machen, wie beispielsweise herausfordernde neue Projekte anzugehen oder neue Fertigkeiten zu lernen. Und weil Selbstmitgefühl uns die Sicherheit gibt, die wir brauchen, um unsere Schwächen anzuerkennen, werden wir in einer besseren Ausgangsposition sein, um sie zum Besseren ändern zu können.
Ein Weg zum Glücklichsein
Wie der im nächsten Kapitel vorgestellte Überblick über entsprechende Forschungsergebnisse zeigt, ist Selbstmitgefühl ein kraftvoller Weg, um Wohlbefinden und Zufriedenheit in unserem Leben zu erreichen. Indem wir uns selbst bedingungslose Freundlichkeit und Unterstützung geben und unsere Unvollkommenheiten als Teil des menschlichen Daseins akzeptieren, tragen wir dazu bei, schwierige psychische Zustände wie Depressionen, СКАЧАТЬ