Название: Land des Geldes
Автор: Oliver Bullough
Издательство: Bookwire
Жанр: Зарубежная деловая литература
isbn: 9783956143762
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Das war nur eine von vielen Vorkehrungen, die in den Dreißiger- und Vierzigerjahren getroffen wurden, um Vollbeschäftigung, Stabilität und Wohlstand zu sichern. In den Vereinigten Staaten schob die Gesetzgebung des New Deal der Spekulation einen Riegel vor, und in Großbritannien und anderen westlichen Ländern garantierte der Wohlfahrtsstaat die medizinische Versorgung und kostenlose Schulbildung für alle. Diese Neuerungen waren erstaunlich erfolgreich: Während der Fünfziger- und Sechzigerjahre erlebte der Westen ein nahezu ungebrochenes Wirtschaftswachstum, die Infrastruktur und Volksgesundheit verbesserten sich dramatisch. Das war allerdings nicht ganz billig und wurde mit Steuergeldern finanziert: Beatlesfans erinnern sich an George Harrisons »Taxman«, den Steuereintreiber, der 19 Shilling einsteckte und ihm nur einen einzigen ließ. Das entsprach tatsächlich ziemlich genau dem, was das Finanzamt von den Einnahmen der Beatles behielt. Für die Reichen war es nicht einfach, ihr Geld vor dem Zugriff des Finanzamts in Sicherheit zu bringen – dank der Einzeltanks des Öltankers. Steuern ließen sich kaum vermeiden, es sei denn man wechselte den Wohnsitz (wie die Rolling Stones, die nach Frankreich zogen, um Exile on Main Street aufzunehmen).
Was man von dem innovativen Tanker hielt, hing davon ab, ob man zu den Leuten gehörte, die Steuern zahlten, oder zu denen, die in den Genuss eines noch nie da gewesenen Lebensstandards kamen. Die Beatles und die Rolling Stones konnten dem jedenfalls nicht viel abgewinnen, genauso wenig wie Rowland Baring, ein Spross der Dynastie der Barings Bank, Dritter Earl von Cromer und von 1961 bis 1966 Direktor der Bank von England. »Die Kontrolle der Wechselkurse stellt einen Eingriff in die Rechte der Bürger dar«, schrieb er 1963 an die britische Regierung. »Daher halte ich sie für ethisch falsch.« Seiner Ansicht nach sollten die Bürger mit ihrem Geld machen können, was sie wollten, und die Regierung dürfe ihre Rechte, dieses Geld im Ausland anzulegen, nicht beschneiden. Den neuen Öltanker hielt er für einen Irrweg. Kapitäne sollten das Öl nicht daran hindern dürfen, dahin zu schwappen, wo sein Besitzer es haben wollte, egal wie sehr es das Schiff beutelte.
»M« sah das interessanterweise genauso. Im Roman Goldfinger erklärt er James Bond, er verstehe gar nicht, wovon Colonel Smithers da rede. »Ich persönlich würde meinen, dass die Stärke des Britischen Pfunds davon abhängt, wie viel wir alle arbeiten, und nicht davon, wie viel Gold wir haben«, sagt er mit der Überheblichkeit eines Mannes, der glaubt, seine Ansichten stünden über der Politik. »Aber diese Antwort ist wahrscheinlich zu einfach für Politiker. Oder eher zu kompliziert.« Diese Ansicht war auch in der City of London verbreitet, wo die Banker glaubten, die Bewertung einer Anlage solle dem Markt überlassen werden, und nicht der Politik.
In der City war diese Ansicht vor allem deshalb so verbreitet, weil das System von Bretton Woods die Verdienstmöglichkeiten der Banker einschränkte. Vor dem Ersten Weltkrieg war das Britische Pfund die wichtigste Währung der Welt gewesen, und die Banker der City hatten mit der Finanzierung des Welthandels gute Geschäfte gemacht. Mit ein bisschen Einsatz und den richtigen Beziehungen konnte man ein gewaltiges Vermögen verdienen. Doch zwei Weltkriege später war Großbritannien verarmt, der Dollar war die neue Leitwährung, und die Banker der City drehten Däumchen.
»Es war, als würde man einen Sportwagen mit 30 Stundenkilometern fahren«, klagte ein Banker über seine Zeit an der Spitze einer britischen Großbank. »Die Banken waren gelähmt. Es war, als würde man im Traum leben.« Die Leute kamen spät zur Arbeit und gingen früh wieder nach Hause, und die Zeit dazwischen vertrödelten sie im Pub. Ein Banker erinnert sich an seine Mittagspausen auf der Themse. Mit der Fähre fuhr er flussabwärts nach Greenwich, aß an Bord Sandwiches und trank Bier, dann nahm er die nächste Fähre zurück, verdrückte noch ein paar Sandwiches, trank mehr Bier, und ging wieder ins Büro. Der Ausflug dauerte zwei Stunden, doch das interessierte niemanden, denn es gab sowieso kaum etwas zu tun. Auf diese Weise kam er wenigstens an die frische Luft. Die Banker der City verdienten nicht viel, aber ihre Arbeit war ja auch nicht sonderlich anspruchsvoll. Die Banken hielten es für anrüchig, einander die Kunden wegzuschnappen, und die wenigen Kunden, die sie hatten, konnten mit ihrem Geld nicht viel unternehmen. Bis weit in die Sechzigerjahre hinein trug die City die Narben der Bomben, die die Deutschen zwei Jahrzehnte zuvor über der Stadt abgeworfen hatten. In den Ruinen, in denen einst emsige Börsenmakler gewirkt hatten, wuchs das Unkraut und spielten die Kinder. Warum sollte man diese Gebäude auch wiederaufbauen, wenn sie doch zu nichts gebraucht wurden?
Wer die lange Geschichte Londons kannte, dem konnte das nicht gefallen. Noch vor Ankunft der Römer war der Hügel am Nordufer der Themse ein wichtiger Handelsplatz. Die Römer hatten die Sache einfach in geordnete Bahnen gelenkt, als sie hier die Provinzhauptstadt errichtet und Londinium genannt hatten (wenn es Sie interessiert und Sie sonst nichts Besseres vorhaben, können Sie sich ja an einem verregneten Nachmittag im Keller der Guildhall die Ruinen des römischen Amphitheaters ansehen). Es war eine gute Wahl, denn London ist perfekt für den Handel. Die Stadt ist trocken, leicht zu verteidigen und mit Schiffen gut zu erreichen. London blickt hinaus in die Welt, nicht hinein ins Land. Hier können Sie Ihre Fracht löschen und Ihre Waren an die Provinzler aus dem Hinterland verkaufen. Oder Sie können sie an ausländische Kaufleute verkaufen. Die City ist die Schnittstelle zwischen England und dem Rest der Welt. Die Themse und das Meer haben London reich gemacht, und reich zu werden war die Bestimmung Londons. Im Grunde ist London gar nicht die Hauptstadt von England – das ist Westminster, eine ganz andere Stadt weiter flussaufwärts, die zwar räumlich, aber nie geistig mit London zusammengewachsen ist. Westminster verzettelte sich im Kleinkram des britischen Alltags, aber London hatte immer seine eigene Politik und wurde von großen Banken beherrscht, die eher nach Manhattan oder Mumbai blickten als nach Machynlleth oder Maidenhead.
Es waren Londoner Unternehmer, die Indien, Afrika und Nordamerika eroberten, nicht der britische Staat. Sie finanzierten die Eisenbahnen und Dampfschiffe, die Kontinente miteinander verbanden, und sie versicherten die Fracht, die auf ihnen transportiert wurde. Und wenn die City unter den Bestimmungen von Bretton Woods keinen Handel mehr finanzieren, kein Geld mehr verdienen und nicht mehr überall auf der Welt bei Geschäften mitmischen durfte – und so war das in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg –, wozu war sie dann überhaupt noch da?
Das Ärgerliche war nur, dass New York brummte. Viele der Geschäfte, die früher in London abgewickelt wurden – Handelskredite, Versicherungsgeschäfte und alles andere, das man in London als angestammtes Recht ansah –, gingen nun an diese lästigen Emporkömmlinge an der Wall Street. London war zusammengeschrumpft auf das Finanzzentrum Großbritanniens und einer immer kleiner werdenden Zahl von Überseegebieten und ehemaligen Kolonien, die so konservativ waren, dass sie sich an den Sterling klammerten. Das machte keinen Spaß.
Wer heute die Schluchten aus glitzerndem Glas und Stahl sieht oder in der Abenddämmerung zwischen dem Heer der Pendler über die London Bridge geht, kann sich kaum vorstellen, dass London als Finanzzentrum beinahe vor die Hunde gegangen wäre. Aber in den Fünfziger- und Sechzigerjahren kam die City in nationalen Angelegenheiten tatsächlich kaum noch vor. Sozialgeschichten der Swinging Sixties gehen mit keinem Wort darauf ein, was in dem alten römischen Handelslager passierte, was umso seltsamer ist, als sich etwas Bedeutsames zusammenbraute – etwas, das die Welt weit mehr verändern sollte als die Beatles, Alan Sillitoe oder David Hockney, und das die vornehme Zurückhaltung des Systems von Bretton Woods über den Haufen werfen sollte. Hier öffnete sich der Tunnel von Moneyland zum ersten Mal, und die ersten Menschen erkannten, dass am Ende dieses Tunnels eine Menge Geld zu verdienen war.
Als Ian Fleming seinen Roman Goldfinger veröffentlichte, hatten die vermeintlich sicheren Tanks des Öltankers der Weltwirtschaft bereits erste Lecks bekommen. Nicht alle Länder vertrauten darauf, dass die Vereinigten Staaten ihre Selbstverpflichtung ernst nehmen und den Dollar als unparteiische internationale Währung respektieren würden, denn Washington verhielt sich nicht immer wie ein unparteiischer Schiedsrichter. In den Jahren unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg hatten die Vereinigten Staaten die Goldreserven des kommunistischen Jugoslawien beschlagnahmt, woraufhin die Länder des Ostblocks ihre Dollars in europäischen Banken hinterlegten, СКАЧАТЬ