Название: Land des Geldes
Автор: Oliver Bullough
Издательство: Bookwire
Жанр: Зарубежная деловая литература
isbn: 9783956143762
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1996, nach einem guten Jahrzehnt in seiner Position, erhielt Christensen einen Anruf von einem Reporter des Wall Street Journal, der ihn nach einem Börsenhändler mit Sitz auf Jersey fragte. Eine Gruppe überwiegend amerikanischer Anleger warf einem Mann namens Robert Young vor, er habe 27 Millionen Dollar von ihrem Geld verzockt, aber fälschlich Gewinne ausgewiesen; die Behörden von Jersey weigerten sich, etwas dagegen zu unternehmen. Young hatte bei der Privatbank Cantrade gearbeitet, die zur UBS gehörte.
Christensen stellte eigene Nachforschungen an. Dabei erfuhr er, dass der Vorsitzende des Ausschusses, der die Beschwerden ignoriert hatte, vier Jahre lang Direktor von Cantrade gewesen war. Der Regierungschef der Insel war Seniorpartner der Anwaltskanzlei von Cantrade gewesen. Und die Prüfer von Cantrade selbst hatten den Auftrag bekommen, zu ermitteln, ob sich die Bank etwas zuschulden hatte kommen lassen. Diese kamen zu dem überraschenden Schluss, dass alles seine Ordnung hatte. Das sah nicht gut aus. Als Ermittler schließlich einen Durchsuchungsbefehl für Youngs Haus bekamen, fanden sie vierzig Taschen von Gucci und fünf Armbanduhren von Rolex. Allein im Dezember 1993 wies seine Kreditkartenabrechnung Ausgaben in Höhe von 144.000 Dollar aus.
Young und sein Wirtschaftsprüfer wurden 1998 zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, und Cantrade zahlte außergerichtlich eine beträchtliche Summe an die hintergangenen Anleger. Doch ausländischen Beobachtern reichte das nicht. John Moscow, der damalige Bezirksstaatsanwalt von New York, erklärte gegenüber Journalisten, er sei bei seinen Ermittlungen jedes Mal frustriert über die mangelnde Kooperationsbereitschaft von Jersey. »Es ist unerhört, dass diese britischen Dependancen als Schutzgebiete für Transaktionen dienen, die nicht einmal vom Schweizer Bankgeheimnis geschützt würden«, zürnte er.
Genau über diesen Fall sprach Christensen mit dem Reporter des Wall Street Journal. Nach seiner Meinung zu den Gesetzen der Insel gefragt, bat er den Journalisten, ihn nicht namentlich zu nennen. »Ich habe das Gefühl, sie sind hoffnungslos überfordert.« Es dauerte nicht lange, bis man auf Jersey dahinterkam, wer der Informant des Wall Street Journal war. Es war unverzeihlich. Christensen musste die Insel verlassen und aufs Festland ziehen, wo er beim Aufbau des Tax Justice Network beitrug, einer NGO, die gegen Steuerparadiese kämpft. Zwanzig Jahre später behauptet man auf Jersey immer noch, Christensen habe sich rächen wollen, weil er bei einer Beförderung übergangen wurde. »Das hat er bis heute nicht verkraftet, das wurmt ihn immer noch«, erklärte mir der Leiter der Bankaufsicht von Jersey.
Jersey hat knapp über 100.000 Einwohner und neigt wie jeder kleine Ort zu Klatsch. Die Saga um Christensen, das Wall Street Journal und Cantrade mag wie eine Provinzposse erscheinen, bis man sich die Zusammenhänge vor Augen führt. Wenn die Banker gleichzeitig die Politik, die Justiz und die Aufsichtsbehörden lenken, dann sind Insidergeschäfte vorprogrammiert. Die Autonomie der Insel wird zum Feigenblatt für die Gaunereien der Reichen auf der Insel und darüber hinaus. Der Rechtsstaat verkommt zum Witz. Wie zwei ehemals leitende Polizeibeamte erklären, die nach langen Berufsjahren von Großbritannien auf die Insel gewechselt waren, gelten die Gesetze von Jersey nicht für Menschen, die reich genug sind, sie zu ignorieren.
Aufgescheucht durch kritische Berichte, ernannte die Polizei von Jersey im Jahr 2000 einen Schotten namens Graham Power zum Polizeidirektor der Insel. Mit seiner Ernennung und der seines Stellvertreters Lenny Harper aus Nordirland sollte die Polizei von Jersey professionalisiert und ihr Image aufpoliert werden. Das Gegenteil trat ein, denn die beiden brachten die Probleme ans Licht, die sich im Cantrade-Skandal bereits abgezeichnet hatten.
Nach Ermittlungen in einem Fall von Kindesmissbrauch, der Jersey in die Schlagzeilen gebracht hatte, wurde Power 2008 vom Dienst suspendiert. Seine Beamten hatten Hinweise auf sexuellen Missbrauch in einem Kinderheim und einem Segelverein für Jugendliche gefunden, und einer der Angeklagten war ein Mann, der trotz früherer Sexualstraftaten als ehrenamtlicher Polizist tätig sein durfte. Power und Harper mussten weg. Doch es war kein leiser Abgang: Mit ihren Aussagen bei nachfolgenden Anhörungen machten sie deutlich, wie schwierig ihre Arbeit in dieser kleinen und reichen Gemeinde gewesen war. Power beschrieb etwas, das er als »Jersey-Methode« bezeichnete, inzestuöse Gepflogenheiten mit Hinterzimmer-Deals, die verhinderten, das unangenehme Themen an die Öffentlichkeit kamen.
»Die Praxis der gegenseitigen Gefälligkeiten war tief verwurzelt«, schrieb er in einer Stellungnahme. »Die Elite von Jersey rotiert durch einflussreiche Positionen. In der Kultur herrscht eine tiefe Abneigung dagegen, Staub aufzuwirbeln.« Als seine Beamten den Missbrauchsvorwürfen gegen geschätzte Angehörige der Gemeinschaft nachgingen, verlangten Politiker, die Ermittlungen einzustellen, weil sie den Ruf der Insel beschädigten. »Man geht davon aus, dass Regeln und Pflichten nur für die übrigen Inselbewohner gelten, nicht für die Mächtigen«, schrieb Power.
Die Zähigkeit der Elite von Jersey ist bekannt (Jersey ist vermutlich der einzige Ort in Europa, der vor, während und nach der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg dieselbe Regierung hatte), sie war nur noch nie von einem Kriminalermittler beschrieben worden. Powers Stellvertreter Harper, der die Ermittlungen im Missbrauchsskandal leitete, fand noch schärfere Worte. Er kam 2002 nach Jersey, nachdem er zuvor jahrelang in einigen der härtesten Polizeibezirke Großbritanniens gearbeitet hatte. »Es ist surreal. Ich habe an der Falls Road gearbeitet, in den Vernehmungszentren von Belfast, und in einigen der übelsten Gegenden von London und Glasgow«, sagte er mir am Telefon. »Aber das ist alles nichts im Vergleich zu dem, was ich auf Jersey erlebt habe.«
Er erzählte mir, die ehrenamtliche Polizei (die einer unabhängigen Leitung unterstand) habe ihn bedrängt, die Ermittlungen einzustellen. Er sei nicht in der Lage gewesen, korrupte Mitarbeiter zu entlassen. Daneben habe er einiges erlebt, was man an einem scheinbar so adretten Ort wie Jersey nicht erwarten würde. »Ich klinge jetzt wie ein Kommunist, aber ich bin keiner«, sagte er zu mir. »Diese Clique auf Jersey hat kein Interesse an neutralen Gesetzeshütern. Das ist das Letzte, was die wollen. Sie wollen, dass das Gesetz so durchgesetzt wird, wie es ihnen passt.«
Die Geringschätzung beruhte auf Gegenseitigkeit. Politiker von Jersey ließen kein gutes Haar an Harper und Power. Aber wenn man sich die Reaktion der Inselbewohner auf den Missbrauchsskandal ansieht, dann muss man der Einschätzung der Polizeibeamten zustimmen, dass die Elite von Jersey die Öffentlichkeit scheut. Der neue Polizeichef geißelte die Medien, weil sie über den Fall berichteten. »Der eigentliche Skandal ist die ungerechtfertigte und gnadenlose Schmierenkampagne gegen Jersey und seine Bewohner«, sagte Justizminister Philip Bailhache bei einer Feier zum Jahrestag der Befreiung von den Nationalsozialisten. Seine Worte kamen von Herzen, aber wenn Sie im nächsten Kapitel erfahren, wie Jersey russischen Politikern bei der Plünderung ihres Landes half, dann stimmen Sie ihm vielleicht nicht mehr zu.
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