Übungen im Fremdsein. Olga Tokarczuk
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Название: Übungen im Fremdsein

Автор: Olga Tokarczuk

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783311703044

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СКАЧАТЬ wie seine Existenz in einen ebenso seltsamen wie atemberaubenden Schwebezustand geriet. Nichts von alledem versteht er, hier gehört er nicht dazu, niemanden kümmert sein Dasein.

      Käme uns heute die verrückte Idee in den Sinn, eine ähnliche Reise zu unternehmen – wie viele Krisenzonen, wie viele Kriegsgebiete müssten wir durchqueren? Ein Blick auf die Landkarte würde genügen – und sofort müsste uns die Frage bedrängen, ob das überhaupt möglich sei.

      Eine irreale Show

      Dass jene sichere Welt ihr Ende fand, lag nicht nur an den Kriegen und Konflikten. Es hatte auch damit zu tun, dass bestimmte, potenziell attraktive Gegenden der Erde einander auf eigentümliche Weise ähnlich wurden – hinsichtlich der Kleidung, des Essens, in der Allgegenwart des Plastiks, durch die lokalen Souvenirs chinesischer Produktion. Den Touristen blieben bestimmte Bereiche vorbehalten, vergleichbar den Wirtschaftszonen oder den Vergnügungsparks für Kinder – selbstverständlich mit einem riesigen Parkplatz für die Reisebusse. An anderen Orten, an denen große Summen in den Tourismus investiert werden, sitzen die Urlauber am Strand unter der diskreten Bewachung uniformierter Wachschutzkommandos, die mit scharfen Waffen ausgerüstet sind. Von der vorgesehenen Besichtigungsroute abzuweichen, wird nicht nur zunehmend schwierig, es ist auch kostspielig. Ein Vergnügen für die Reichen. Weniger wohlhabende Touristen bekommen einen sicheren Durchschnittsstandard, das übliche Fast Food, das überall gleich schmeckt und so gut wie nichts vermittelt – im Grunde leere Kalorien.

      So ist die Rückkehr von einer weiteren exotischen Reise oft genug mit einer Enttäuschung verbunden, die man sich möglichst zu verbergen bemüht – da haben wir allerlei Souvenirs und irgendwelchen glitzernden Plunder zusammengekauft (zu Hause weiß man dann nicht, was anfangen mit dem Zeug), alle Sehenswürdigkeiten besichtigt, die der Reiseführer empfiehlt, haben einheimische alkoholische Getränke probiert und lokale Gerichte (viele gibt es in einer eigenen Touristenversion), haben folkloristische Tänze gesehen. Doch wenn wir wieder zu Hause sind und mit den Koffern im Flur stehen, beschleicht uns das Gefühl, an einer irrealen Show teilgenommen zu haben. Als hätten wir durch eine Scheibe ein Eis essen wollen.

      Eine Frage der Freiheit

      Eine Reise zu unternehmen, war in unserer westlichen Kultur ein Akt der Freiheit. Phileas Fogg ist ein freier Mensch. Als freier Mensch geht er eine Wette ein, stellt sich einer Herausforderung und entscheidet damit über sein Leben. Reisen wurde zu einem Symbol der Freiheit, und vermutlich ist es auch deshalb für uns so attraktiv. Vielleicht verstehen wir, die wir von Natur aus Nomaden sind und nur angehalten haben auf unserem Weg, auf eben diese atavistische Weise die Freiheit – in Bewegung sein, die Orte wechseln, irgendwohin ziehen …

      Wenn der Entschluss, sein Land zu verlassen – und sich auf den Weg zu machen –, eine Frage der freien Entscheidung ist, vergleichbar der Redefreiheit, wie könnten wir sie dann, wenn wir selbst darüber verfügen, anderen verbieten wollen? Für manche Menschen stellt die Emigration die einzige Alternative dar angesichts des Freiheitsverlusts und wird damit Teil des unantastbaren Rechts des Menschen auf eine freie Entscheidung. Wer soll bestimmen dürfen, wo jemandes Platz sei? In Zeiten, in denen Tausende Menschen in unseren Ländern Schutz suchen, bitten Herr al-Halabi und Frau Marrousch nicht um unsere Hilfe. Sie wollen nicht wie Flüchtlinge behandelt werden, sondern wie freie Menschen, denen es zusteht zu entscheiden. Paradox ist es, dass es den Ortswechsel erleichtern würde, wenn sie sich als Ware deklarieren, einen Lieferschein ausfüllen und sich selbst per Flugzeug expedieren würden. Sie hätten es leichter, Grenzen zu überwinden, hätten es leichter zu reisen.

      Fremde Freiheit ist immer heikel. Die sich der Freiheit erfreuen dürfen, wollen sie anderen häufig nicht gönnen.

      Warum kann ich in das Land Frau Marrouschs, das Land Herrn al-Halabis fahren und dort so lange bleiben, wie ich möchte – wahrscheinlich könnte ich mich dort sogar niederlassen –, Frau Marrousch aber und Herr al-Halabi dürfen dies in meinem Land nicht? Warum wollen meine Landsleute, die seinerzeit in Libyen und Syrien Geld verdient haben beim Bau von Brücken und Fabriken, um im Leben vorwärtszukommen, heute den Libyern und Syrern keine Chance in Polen geben – selbst dann nicht, wenn deren Leben auf dem Spiel steht?

      Habe ich noch das Recht zu reisen? Wenn Menschen an Grenzen festgehalten und in Flüchtlingslager gesteckt werden, wird Reisen zunehmend zum ethischen Problem.

      Ehrlich gesagt, ich habe die Lust am Reisen verloren. Und das nicht aus Angst vor Anschlägen oder Kriegen. Die Lust am Reisen ist mir vergangen, weil es mich beschämt, über eine Freiheit zu verfügen, die andere nicht haben.

      Ich möchte keine Touristin mehr sein in den Ländern des armen globalen Südens. Hilflos das Elend der Menschen und das Leiden der Tiere zu sehen, ist mir unerträglich.

      Die Lust am Reisen ist mir vergangen, seit ich im Südchinesischen Meer schwimmende Inseln aus Plastik gesehen habe. Wollte man sich am Strand hinsetzen, musste man sich den Platz zuerst freiräumen.

      Ich möchte nicht mehr mit dem Flugzeug reisen, seit Flugzeuge als Taxis zwischen den Citys dienen, die bei einem Flug so viel Treibstoff verbrennen wie zig Reisebusse auf der gleichen Strecke.

      Die Lust am Reisen ist mir vergangen, seit es auf Facebook Blogs gibt, auf denen heutige Reisende ihre Fotos posten und in allen Einzelheiten darüber informieren, was sie an jedem Tag ihrer exotischen Reise unternommen haben. Und wer möchte, kann mit ihnen so einfach in Kontakt treten, als wären sie zu Hause. Ich habe den Eindruck, sie wären nie wirklich aufgebrochen.

      Bücher vom Zuschnitt »Ich erzähle euch, wo ich war« und Festivals, die dem Reisen gewidmet sind, reizen mich nicht mehr. Auch der Reisende als Flaneur, der ohne Eile unterwegs ist, mit leicht schleppendem Schritt, als Verkörperung des reinen Schauens gleichsam, über die Straßen der Welt streift, um sein unersättliches, ewig nach Erfahrungen gierendes Ego zu zelebrieren, bereitet mir keine Freude mehr.

      Die Lust am Reisen ist mir vergangen, seit Dschihadisten Buddha-Statuen gesprengt und Palmyra zerstört haben. Vielleicht ist es besser, diese Orte virtuell zu besuchen, denn im Internet existieren sie noch, dort sind sie sicher.

      Ich verspüre nicht mehr das Bedürfnis, fremde Städte zu besuchen, seit man in jeder Straße der Welt die gleichen in China produzierten Souvenirs findet.

      Ich werde in fremden Städten keine Museen mehr besuchen, solange ich nicht in den Museen meiner eigenen Stadt gewesen bin.

      Kann man noch ein unschuldiger Reisender sein in einer Welt der Konflikte, der explodierenden Bomben, der entführten Flugzeuge und der ständigen Angst vor Anschlägen? Kann man Urlaubsfreude empfinden an einem Strand, den die Einheimischen nicht betreten dürfen? Kann man sich im Flugzeug bequem zurücklehnen, wenn in der Gegenrichtung Menschen unterwegs sind, die sich in Containern drängen?

      Was würden Phileas Fogg und Indiana Jones dazu sagen?

      Vielleicht sollten wir jetzt einfach einmal zu Hause bleiben, um andere Reisende zu begrüßen.

      Deutsch von Lothar Quinkenstein

      Die Masken der Tiere

      Das Leiden eines Menschen ist für mich leichter zu ertragen als das Leiden eines Tieres. Der Mensch hat einen eigenen, ausgearbeiteten und allseits propagierten ontologischen Status, was ihn zu einer privilegierten Gattung macht. Er hat Kultur und Religion, die ihm im Leiden beistehen sollen. Er hat seine Rationalisierungen und Sublimierungen. Er hat seinen Gott, der ihn am Ende erlöst. Das menschliche Leiden hat einen Sinn. Für das Tier gibt es weder Trost noch Linderung, denn auf das Tier wartet keine Erlösung. Für das Tier gibt es auch keinen Sinn. Sein Körper gehört СКАЧАТЬ