Название: Übungen im Fremdsein
Автор: Olga Tokarczuk
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783311703044
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Faszinierende Dekoration
In der Form des Pastiches kehrt der Verne’sche Standpunkt häufig in der Popkultur wieder, zum Beispiel in den Indiana-Jones-Filmen. Hier ist die Welt nur ein exotisches Bühnenbild für die Heldentaten des Protagonisten, deren Struktur an ein Computerspiel denken lassen. Und wie faszinierend die Kultur auch wäre, auf die der Held träfe – er wird sich nicht ändern, wird bis zum Schluss derjenige bleiben, der er im Moment seiner Ankunft war. Eingeschlossen in der dichten Kapsel der westlichen Identität, zeigt er sich wie imprägniert gegen alles Fremde, auch wenn er als Archäologe agiert, der in dieser Hinsicht aufgeschlossen sein sollte. Fixiert auf sein Ziel (den Schatz zu finden, das Geheimnis zu lüften), knüpft er keine engeren Beziehungen zu den Eingeborenen, nimmt keinen kulturellen Dialog auf. In der festen Überzeugung, dass die Menschen ihn verstehen müssten, spricht er Englisch oder Französisch mit ihnen. Er hält an seinen Standards fest, lässt sich auf keine engeren Verhandlungen ein, behandelt alles und jeden von oben herab, seiner zivilisatorischen (und damit seiner menschlichen) Überlegenheit sicher. Wir haben die legendäre Szene vor Augen, in der Indiana Jones von einem Ismailiten zu einem Duell herausgefordert wird. Wir befinden uns auf einem Basar, inmitten der Menge, die beiseitetritt, um den Kämpfenden Platz zu machen. Als der traditionell gekleidete Krieger seinen Säbel wirbeln lässt, um seine Fertigkeiten zu zeigen, zückt Indiana Jones, der es eilig hat, seine Pistole und erschießt ihn. Ende des Duells.
Überrumpelt von dieser Wendung, muss der Zuschauer lachen, auch wenn ihn die eigene Reaktion überrascht. Die Nonchalance, ja Dreistigkeit des Indiana Jones wirkt imponierend, zugleich spricht sie jedem Reflex politischer Korrektheit Hohn.
Im Grunde nimmt der Reisende des Westens die Welt als nicht wirklich wahr. Gleich einem ewig eilenden Schatten bewegt er sich durch die Länder und Kulturen, die er besucht. Nichts berührt er, in nichts ist er einbezogen, er bleibt verkapselt in seinem Überlegenheitsgefühl.
Die unschuldige exotische Welt, in die der westliche Reisende vom Schlage eines Indiana Jones gelangt, geht zumeist am Ende der Geschichte auf dramatische Weise unter. Der Untergang vollzieht sich mit einem Donnerschlag – als sollte diese Welt, wenn das Ziel erreicht, das Geheimnis aufgedeckt ist, ihre Existenzberechtigung verlieren. Der Zuschauer muss einstürzende Pyramiden sehen, zusammenfallende unterirdische Verliese, Vulkanausbrüche und ähnliche apokalyptische Bilder. Hier gilt die alte römische Formel: veni, vidi, vici. Was gesehen und erfahren (benutzt) wurde, ist abgehakt, mit anderen Worten: bezwungen. Und hört damit auf zu existieren.
Exotisch, aber in Maßen
Das Paradigma des Reisenden im 19. Jahrhundert erfuhr seine industrialisierte Vermassung durch den modernen Tourismus. Erbe des Phileas Fogg und des Indiana Jones ist heute der Tourist, der im Reisebus in zwölf Tagen Mexiko durchquert auf einer Tour, die natürlich in Cancún enden muss, dem scheußlichsten Ort, den ich je gesehen habe – monströse Hotelanlagen und abgeteilte Strandabschnitte. Oder er erholt sich all-inclusive in türkischen Seebädern und gibt sich alle Mühe, nicht daran zu denken, dass ein paar Hundert Meter weiter die Leichen von Flüchtlingen an den Strand gespült werden.
Der blasse und vom langen Sitzen steif gewordene Reisende knipst verwackelte Bilder durch die Scheibe des Busses, und die Beine kann er erst dort wieder ausstrecken, wohin ihn der Wille und der Geschäftssinn des Reiseleiters bringen. Während des kurzen Aufenthalts sieht er dann mit eigenen Augen, was die Reiseführer empfehlen, und befriedigt vermerkt er in Gedanken, dass dies alles tatsächlich existiert. An den Abenden bekommt der Tourist ein exotisches real life geboten, das alles andere als real ist und mit life eigentlich gar nichts zu tun hat.
Der Tourist möchte es exotisch, aber in Maßen. Er möchte, dass es echt wirkt, aber bitte nicht um den Preis der Dusche am Morgen. Er möchte ein bisschen Nervenkitzel, aber nicht so, dass es ihn beunruhigen müsste. Er möchte Kontakt mit den Einheimischen, solange er oberflächlich bleibt und unverbindlich. Einmal hörte ich ein Gespräch meiner Landsleute im mittleren Alter, sie wollten gemeinsam nach Kuba reisen und bestärkten einander darin, die Reise zu unternehmen, solange Fidel noch lebe. Solange dort noch Armut herrsche. Denn später wäre es dann »wie überall«. Der Geschäftssinn hat auch im Tourismus die Grenzen der Ethik verschoben.
Verschiedene Welten
Eine Reise ist immer auch eine Eroberung. Wenn wir uns auf den Weg machen, begleitet uns unser Ozean an Bedeutungen, Begriffen, Klischees, mentalen Gepflogenheiten. Seine Wellen überspülen, was wir außerhalb unseres Selbst vorfinden. Was wir bereits wissen, bereits begriffen haben, ergießt sich auf diese andere Welt. Derlei Eroberungen werden möglich dank der Reiseführer, die immer besser wissen, welche Orte wir besuchen, was wir besichtigen sollten. Willkürlich stecken sie die Grenzen unserer Wahrnehmung ab, denn was im Reiseführer nicht vermerkt ist, existiert auch nicht. So absolvieren wir festgelegte Touren, auf denen wir fieberhaft suchen, was wir sehen müssen. Und sehen dann auch nichts anderes.
Reiseführer sind nach wie vor ein Thema für eine eigene Monographie. Ihnen ist zu entnehmen, wie wir uns das Fremde anzueignen versuchen, indem wir es in unseren Erkenntnisradius integrieren. Allem Anschein zum Trotz richten sie sich nicht an die Allgemeinheit, sondern immer an eine bestimmte Zielgruppe mit spezifischen Eigenschaften, und diesen Aspekt ebenso wie die politischen Implikationen sollten wir nie aus den Augen verlieren. Eben hier sollten wir ansetzen nachzudenken, was wir denn eigentlich betrachten.
Ich habe einmal zwei Reiseführer durch eine bestimmte Region Polens durchgesehen – einer verfasst von Katholiken, der andere von Juden. Sie waren völlig voneinander verschieden. Reisende der beiden Gruppen würden wahrscheinlich wie Schatten aneinander vorübergleiten, womöglich, ohne einander zu bemerken. Die Routen hätten keine Schnittpunkte, weil die Reiseführer so gänzlich verschiedene Erfahrungen, so gänzlich verschiedene Blicke auf die Vergangenheit vermitteln. Ja, wir dürfen sagen, dass die Reisetagebücher dieser beiden Gruppen – so sie denn welche führen würden – von zwei verschiedenen Welten sprechen müssten.
Existiert denn überhaupt die eine Welt, unus mundus, die die Philosophen sich zurechtgeträumt hatten? Ein großes, neutrales Universum, in dem wir die Möglichkeit haben, einander zu begegnen und im anderen den Nächsten zu erkennen. Oder leben wir, die wir uns in der einen räumlichen Sphäre befinden, in Wahrheit in den jeweils eigenen Phantasmen?
Kilometer um Kilometer
Vor Kurzem erzählte mir ein Siebzigjähriger, wie Reisen in der Zeit der Blumenkinder ausgesehen hatten. Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts kaufte sich der rebellisch farbenfrohe Mensch des Westens einen billigen Gebrauchtwagen, am besten einen Bulli, und machte sich auf den Weg nach Indien. Dafür brauchte man damals entschieden mehr Zeit, als wir im 21. Jahrhundert bereit wären, für einen solchen Ortswechsel aufzubringen. Indem wir heute an Bord einer Boeing gehen, vollziehen wir eine Art Zaubertrick. Ein großes »Klick« – und in wenigen Stunden steigen wir in einer völlig anderen Wirklichkeit aus. Jene Reisenden damals haben die Welt Kilometer um Kilometer durchmessen, und Tag um Tag veränderten sich der Geschmack des Wassers, des Essens, die Temperatur, das Klima. Der Körper hatte die Möglichkeit, sich den Veränderungen anzupassen. Unterwegs erlebten die Menschen allerlei Abenteuer, zumal man gerade entlang dieser Route günstig gutes Gras und gutes Hasch kaufen konnte.
Eine Reise war damals (und sie wäre es wohl besser auch geblieben) eine Übung im Fremdsein. Marco Polo empfand es, als er an den Hof des Herrschers von China gelangte, und ebenso spürte СКАЧАТЬ