Название: Schuldrecht Allgemeiner Teil II
Автор: Achim Bönninghaus
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: JURIQ Erfolgstraining
isbn: 9783811476523
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Beispiel[20]
V vermietet dem M im Jahr 2005 eine Wohnung. Die vereinbarte Miete beträgt monatlich 500 €. Darin sind monatliche Vorauszahlungen auf Betriebskosten in Höhe von 150 € enthalten. Den Nebenkostenabrechnungen für die Jahre 2005, 2006 und 2007 fügte der V trotz wiederholter Aufforderung des M keine Rechnungsbelege zu den einzelnen Kostenpositionen bei. Vielmehr bot er dem M an, die Rechnungen bei ihm einzusehen. Daraufhin teilte der M auf Empfehlung seines Rechtsanwalts R, einem Fachanwalt für Mietrecht, dem V mit, die Nebenkostenvorauszahlungen ab Januar 2008 bis zur Übersendung der Belege für die vergangenen Nebenkostenabrechnungen einzubehalten.
Befindet sich M mit der Zahlung dieser Beträge in Verzug?
Der Mietzins ist einschließlich der Nebenkostenvorauszahlungen nach § 556b Abs. 1 spätestens zum dritten Werktag eines Monats im Voraus zur Zahlung fällig. Der Verzugseintritt setzt angesichts dieser gesetzlichen Bestimmung der Fälligkeit nach dem Kalender keine Mahnung voraus, § 286 Abs. 2 Nr. 1. Bei Erreichen dieser Termine steht dem V auch ein durchsetzbarer Anspruch auf die einbehaltenen Beträge zu. Das von M geltend gemachte Zurückbehaltungsrecht aus § 273 Abs. 1 besteht hier nicht, da dem Mieter grundsätzlich kein Anspruch auf Überlassung der Abrechnungsbelege im Original oder Fotokopie zusteht. Vielmehr ist er nur zur Einsichtnahme in den Räumen des Vermieters berechtigt.[21]
Fraglich ist, ob M den Eintritt der objektiven Verzugsvoraussetzungen auch zu vertreten hat, § 286 Abs. 4. Daran könnte man deshalb zweifeln, weil M bei Zurückhaltung der Vorauszahlungsbeträge davon ausging, berechtigterweise von einem Zurückbehaltungsrecht Gebrauch zu machen.
Nach § 276 hat der Schuldner eigenen Vorsatz und eigene Fahrlässigkeit zu vertreten. Ein vorsätzliches Verhalten scheidet hier aus, da M irrigerweise keine Pflichtverletzung angenommen hatte und ihm damit das für den Vorsatz erforderliche Bewusstsein der Pflichtwidrigkeit fehlte. In Betracht kommt damit nur ein fahrlässiges Verhalten. Fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. Der umsichtige Schuldner muss die Rechtslage sorgfältig prüfen, bei Unsicherheit Rechtsrat einholen und die höchstrichterliche Rechtsprechung beachten. M ist hier den Empfehlungen seines Rechtsanwalts R gefolgt. M durfte auf die Kompetenz des R als Fachanwalt für Mietrecht vertrauen und musste daher davon ausgehen, R habe die Empfehlung in Einklang mit höchstrichterlicher Rechtsprechung erteilt. Aus diesem Grunde bestand für den M kein Anlass, noch einmal anderweitigen Rechtsrat einzuholen. Ihn trifft an der pflichtwidrigen Nichtleistung folglich kein Verschulden. Fraglich ist aber, ob er sich ein etwaiges Verschulden seines Rechtsanwalts zurechnen lassen muss.
Wir werden an dieses Beispiel nachher[22] wieder anknüpfen!
2. Korrektur bei bestimmten Personengruppen
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Bei Jugendlichen, hilfsbedürftigen und behinderten Menschen wird das Vertretenmüssen für eigenes Verschulden nicht nur über die Zurechnungsfähigkeit nach § 276 Abs. 1 S. 2 i.V.m. §§ 827, 828 korrigiert. Vielmehr ist anerkannt, dass diese Personen sozusagen „besondere Verkehrskreise“ bilden, bei denen abgeschwächte Sorgfaltsanforderungen gelten. Diese Personen schulden nur die Sorgfalt, die andere Personen ihres Alters bzw. ihres geistigen und physischen Zustands vernünftigerweise beobachten.[23] Auch das ist kein individueller, sondern ein objektiver Maßstab, der jedoch den Sorgfaltsmaßstab zugunsten dieser Personen erheblich abschwächt.
JURIQ-Klausurtipp
Auf der Ebene „Fahrlässigkeit“ fragen Sie, ob der – objektive – Sorgfaltsmaßstab eingehalten wurde. Auf der Ebene der Zurechnungsfähigkeit nach § 276 Abs. 1 S. 2 ist dann zu fragen, ob die Person – individuell – die Einsichtsfähigkeit hatte, die Sorgfaltsmaßstäbe zu erkennen.
Beispiel[24]
Der 9 Jahre alte A und der 12 Jahre alte B beteiligen sich mit Gleichaltrigen an einem „Ritterspiel“, bei der eine Gruppe eine Mauer („Burg“) erstürmen soll, die von der anderen Gruppe verteidigt wird. Die Kinder „bewaffnen“ sich mit Holzlatten und spitzen Stöcken. A schleudert seinen Stock in den Rücken des ihm abgewandten und weglaufenden B. Als der Stock bereits durch die Luft fliegt, dreht sich der B plötzlich um und wird vom Stock im Auge getroffen. Ein Fahrlässigkeitsvorwurf im Rahmen einer Haftung des A aus § 823 Abs. 1 kommt nicht in Betracht, da Kinder im Alter des A nicht erkennen können, dass durch ein solches Spiel derartige Verletzungen hervorgerufen werden können. Gleiches gilt für das Werfen von Stöcken in den Rücken weglaufender Personen. Minderjährige in diesem Alter können üblicherweise nicht vorhersehen, dass durch plötzliches Umdrehen weglaufender Personen und dem damit verbundenen Überraschungseffekt die Gefahr besonders schwerer Schäden durch Wurfgeschosse besteht. Auf die individuelle Einsichtsfähigkeit des A nach § 828 Abs. 3 kommt es deshalb nicht mehr an. Zu denken ist aber an eine Haftung aus § 829.
2. Teil Vertretenmüssen › C. Vertretenmüssen wegen Verschuldens des Schuldners › III. Eigenes Verschulden bei „unnatürlichen“ Schuldnern
1. Verschulden eines Repräsentanten
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Menschen können selbst handeln und sich daher – unter den Voraussetzungen der §§ 276 Abs. 1 S. 2, 827, 828 – selbst schuldhaft verhalten. Juristische Personen und rechtsfähige Personengesellschaften können als abstrakte Gebilde hingegen nicht als solche handeln. Ihre reale Handlungsfähigkeit in der Lebenswirklichkeit wird erst durch die sog. Organe hergestellt. Diese Rechtsträger handeln durch ihre Organe. Organhandeln ist Eigenhandeln des jeweiligen Rechtsträgers, dem das Organ angehört.
Beispiel für Organe
Vorstand eines Vereins (§§ 26 ff.), einer Aktiengesellschaft (§§ 76 ff. AktG) und einer Genossenschaft (§ 24 ff. GenG); der Geschäftsführer einer GmbH (§§ 35 ff. GmbHG); die Gesellschafter einer OHG (§§ 125 ff. HGB); die Komplementäre einer KG (nicht die Kommanditisten, vgl. §§ 125 ff., 161 Abs. 2, 170 HGB); die Partner einer Partnerschaftsgesellschaft (§ 7 Abs. 3 PartGG i.V.m. § 125 HGB).
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Deswegen ist beim Punkt „eigenes Verschulden“ auf das Verhalten der jeweiligen Organe, Organmitglieder bzw. sonstiger Repräsentanten abzustellen. Dies folgt für den Verein ausdrücklich aus § 31.
Hinweis
§ 31 ist keine Anspruchsgrundlage, sondern eine Hilfsnorm, mit der das Verhalten einer Person einem anderen Rechtsträger zugerechnet wird. Die Haftung selbst ergibt sich aus der jeweiligen Anspruchsgrundlage.
Die Regel des § 31 wird außerhalb des Vereinsrechts auf jedes Organhandeln angewendet.[25] Die Einbeziehung der „sonstigen Repräsentanten“ folgt daraus, dass § 31 nicht nur auf den (mehrköpfigen) Gesamtvorstand, sondern auch auf die einzelnen Vorstandsmitglieder und „andere verfassungsmäßig berufene Vertreter“ i.S.d. § 30 abstellt. Das sind solche Personen, denen kraft Satzung wichtige Aufgabenbereiche innerhalb einer rechtsfähigen СКАЧАТЬ