Die Ungerächten. Volker Dützer
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Название: Die Ungerächten

Автор: Volker Dützer

Издательство: Автор

Жанр: Триллеры

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isbn: 9783839268742

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СКАЧАТЬ waren ein beliebter Treffpunkt, sie ersetzten außerdem eine Tageszeitung. Man tauschte Neuigkeiten aus, handelte und knüpfte Verbindungen. Es kostete Pawel die letzten beiden Zigaretten, um mehr über das sogenannte DP-Camp in Zeilsheim zu erfahren. Die Amerikaner brachten dort displaced persons unter. Das waren hauptsächlich Juden, die das Land verlassen wollten, aber auch ehemalige KZ-Häftlinge und Flüchtlinge aus allen Teilen Europas. Über Mitschke erfuhr er ebenfalls mehr. Er traf einen Landsmann, den der Schrotthändler um seinen Lohn betrogen hatte. Pawel spendierte ihm einen Muckefuck, woraufhin der Pole ihm bereitwillig Auskunft gab. Mitschke hieß eigentlich Fischer. Es war ihm gelungen, unter Angabe eines falschen Namens aus einem Kriegsgefangenenlager entlassen zu werden. Nun besaß er neue Papiere und war rasch auf die Füße gefallen. Mitschke kaufte von den Amerikanern ausrangierte Jeeps, Panzerwagen und unbrauchbare Geschütze. Das Altmetall verhökerte er für Höchstpreise an deutsche Stahlkocher im Ruhrgebiet, die unter britischer Kontrolle standen. Binnen eines Jahres hatte er ein kleines Vermögen gemacht.

      Gegen Abend opferte Pawel einen Teil seiner schwindenden Barschaft, um sich eine Busfahrkarte zu kaufen. Es dämmerte bereits, als er in der Nähe des Schrottplatzes aus dem Bus stieg. Er besaß ein gutes Gedächtnis und prägte sich die Lage des weitläufigen Grundstücks ein. Eine mannshohe Mauer, unterbrochen von einem stabilen Stahltor, durch das er gestern den Hof betreten hatte, schützte das Gelände zur Straße hin vor Schrottdieben. Der hintere Teil grenzte an eine Bahntrasse und war von einem Maschendrahtzaun umgeben. Der Anblick des Stacheldrahts auf der Zaunkrone ließ Pawel unwillkürlich an Sachsenhausen denken.

      Geduldig schritt er Zaun und Mauer ab und fand schließlich ein Schlupfloch, durch das er ins Innere gelangte. Er wartete, bis es dunkel geworden war. Mit der Nacht kehrte die beißende Kälte zurück. Diesmal machte sie Pawel nichts aus, denn er hatte ein Ziel vor Augen. Die erregende Aussicht, Mitschke für seine Verbrechen bezahlen zu lassen, die er unweigerlich als SS-Offizier begangen hatte, ließ ihn alles andere vergessen. Er wusste nicht genau, wie er das Versprechen einlösen sollte, das er seinem Vater gegeben hatte, aber das spielte in seinem Denken keine Rolle. Endlich tat er etwas, und das genügte.

      Pawel verharrte in der Finsternis, bis im ersten Stock des schmucklosen Bürogebäudes neben der Werkshalle das Licht ausging. Er löste sich aus dem Schatten eines ausgebrannten Sherman-Panzers und verschmolz mit der Nacht. Als er sich dem Haus näherte, dachte er an das Hundegebell, das er am Tag zuvor gehört hatte. Er lauschte eine Weile, diesmal blieb alles ruhig.

      Der Hof wurde von vier Bogenlampen schwach erhellt. Am Rande ihrer Lichtkegel schlich Pawel auf die Tür zu, durch die der Schrotthändler gestern herausgekommen war. Überall lagen ausrangierte Maschinenteile, Eisenbahnschienen und rostige Überbleibsel der Wehrmacht herum. Pawel zog ein stabiles Rohr aus einem Stapel Schrott, das an einem Ende wie ein Brecheisen geformt war, und hebelte das einfache Schloss der Blechtür auf. Dann schlüpfte er ins Haus und wartete, bis sich sein rasender Herzschlag beruhigt hatte.

      Vor ihm lag ein Flur, von dem mehrere Türen abgingen. Bereits das erste Zimmer entpuppte sich als Mitschkes Büro. Durch das Fenster fiel das fahle Licht der Bogenlampen und enthüllte Aktenschränke, einen wuchtigen Schreibtisch und zwei Stühle. Pawel begann, den Raum systematisch zu durchsuchen. Hinter einem hässlichen Ölgemälde stieß er auf einen Wandtresor, dem er jedoch mit dem improvisierten Brecheisen nicht zu Leibe rücken konnte.

      In einer der Schreibtischschubladen fand er eine Geldkassette. Er stellte sie auf den Tisch und hebelte sie nach mehreren missglückten Versuchen auf. Darin befanden sich zweihundert Reichsmark und ein Bündel Dollarnoten.

      Bevor er das Geld in die Manteltasche stopfen konnte, flammte das Deckenlicht auf. Erschrocken fuhr er herum. Mitschke stand in der Tür. Er trug einen gestreiften Schlafanzug und zielte mit einem Trommelrevolver auf ihn.

      »Schau an, das Diebsgesindel ist zurück«, sagte er.

      Pawel wich vor ihm zurück und stieß gegen die Schreibtischkante.

      »Hast wohl vergessen, was wir im Lager mit dem Pack gemacht haben, was?« Mitschke spannte den Hahn des Revolvers. »Wir hätten euch alle erledigen sollen. Aber das kann ich ja zumindest bei dir nachholen. Weg mit dem Stemmeisen!«

      Pawel wurde sich bewusst, dass er noch immer das Rohr umklammerte. Es war seine einzige Waffe, aber gegen Mitschkes Revolver konnte er damit nichts ausrichten. Vor wenigen Minuten hatte er sich großartig gefühlt, innerhalb eines Augenblicks verkehrte sich alles ins Gegenteil. Das Verlangen nach Vergeltung hatte seinen Verstand vernebelt. Er war völlig unüberlegt und ohne Plan vorgegangen und das rächte sich nun.

      Mitschke grinste. »Na, behalt das Ding mal lieber. Vielleicht ist es besser, ich knall dich ab, solange du mich bedrohst.«

      Pawel suchte panisch nach einem Ausweg. Mehr aus Angst und Verzweiflung als durch überlegtes Handeln schwang er das Eisenrohr und traf den Lampenschirm über seinem Kopf. Die Glühbirne zerplatzte, ein heißer Regen aus Glassplittern ergoss sich über ihn. Mitschke brüllte wütend auf und schoss. Pawel sah das Mündungsfeuer aufblitzen und spürte einen Luftzug. Klirrend zerbarst das Fenster zum Hof.

      Der Schrotthändler gab einen weiteren Schuss ab, aber Pawel hatte sich bereits auf den Boden geworfen. Im Fallen holte er mit dem Stemmeisen aus und traf Mitschkes Schienbein. Der schrie auf und taumelte. Pawel erhob sich auf die Knie und schlug zu. Diesmal traf er den Unterarm seines Gegners. Er hörte das Knacken, mit dem der Knochen brach. Mitschke ließ den Revolver fallen und sank in die Knie. Das kalte Licht der Bogenlampen fiel auf sein Gesicht, in seinen überraschten Blick mischten sich plötzlich Unsicherheit und Angst.

      Pawel kam taumelnd auf die Füße. Ein heißes Gefühl des Triumphes durchflutete ihn, gepaart mit einer Wut, die er nicht mehr kontrollieren konnte. Er sah sich selbst im Schlamm des Appellplatzes liegen, wie er verzweifelt versuchte, sich vor den Tritten der Wachmannschaften zu schützen. Wieder erniedrigte er sich vor Theissen, pries die Vorzüge seiner Schwester an und flehte ihn an, Milena zu seiner Hure zu machen, damit sie leben durfte.

      »Du hast jetzt eine Aufgabe, Pawel«, sagte sein Vater, bevor er für immer die Augen schloss.

      Die Menschen, die er liebte, waren tot. Verhungert, an Entkräftung gestorben, ermordet oder elendig verreckt. Pawel hatte überlebt. In diesem Augenblick, in dem Mitschke winselnd vor ihm auf dem Boden lag, wusste er, dass der Schmerz und die Wut, die in ihm wühlten, nicht nur das Ergebnis seines Verlustes waren. Oh ja, er vermisste Milena, seinen Vater und seine Mutter, von der er nicht einmal wusste, wo und wann sie gestorben war. Doch da war noch etwas anderes. Es fraß an ihm wie ein Geier, der seinen Schnabel in ein Stück Aas hackt. Pawel fühlte sich schuldig. Warum hatte er als Einziger die Verfolgung und Deportation, das Grauen der Lager und den Todesmarsch überlebt? Was hatte er getan, dass der Gott, an den er nicht mehr glaubte, ihn so furchtbar bestrafte, indem er ihn weiterleben ließ?

      Rasend vor Zorn begann er, auf den am Boden liegenden Schrotthändler einzuprügeln, der sich von einem atmenden Menschen in ein seelenloses Objekt verwandelte. Es tat so gut und gleichzeitig so weh. Hier war endlich jemand, der nicht mehr vor ihm davonlaufen konnte und der bezahlen musste für alles, was man ihm angetan hatte. Mit jedem Schlag, mit jedem Tritt spürte Pawel, wie das Schuldgefühl wich und einer tief empfundenen Erlösung Platz machte. Die Rache schmeckte bitter, aber sie war der einzige Weg, damit fertigzuwerden, dass er lebte, denn sie gab seinem armseligen Dasein einen Sinn.

      Mitschke rollte sich wie ein Igel zusammen, barg den Kopf in den Händen und wimmerte. Pawel schlug auf ihn ein, immer wieder, bis ihn die Kraft verließ und er das Eisenrohr von sich warf.

      Der Schrotthändler rührte sich nicht mehr. Pawel kniete neben ihm auf dem blutbesudelten Boden und lachte hysterisch, weil ihn der gestreifte Schlafanzug an die Häftlingskleidung in Sachsenhausen erinnerte. Noch immer war seine Wut nicht ganz verraucht und er riss СКАЧАТЬ