Название: Der mondhelle Pfad
Автор: Petra Wagner
Издательство: Автор
Жанр: Историческая литература
isbn: 9783867779579
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Ein melodiöser Hornstoß schallte über die Hochebene, ein zweiter setzte ein, ein dritter, ein vierter … Dreizehn Bläser wechselten sich so gekonnt ab, dass man nicht hörte, wie sie Luft holten. Ihr Signal dauerte an, bis die Sonne ihren Scheitel über den Horizont der Thuringer Berge geschoben hatte und in einem gleißenden Kranz aus Licht erstrahlte. Von überall her auf den Bergen hallte Hörnerklang zu ihnen herüber, mal mehr, mal weniger laut. Loranthus stellten sich die Nackenhaare auf, so majestätisch hörte es sich an. Ein Raunen ging durch die Menge, als der erste Strahl über einem spitzen Felsen aufglomm, der am äußersten Rand der Hochebene aufragte. Dieser Finger aus Licht ging exakt zwischen den beiden Pfeilern am Osteingang hindurch und traf den vordersten der goldenen Stäbe auf dem Stein. Sofort flammte der zweite Stab auf und warf seinen Glanz geradewegs auf den dritten, dann strahlte der dritte den vierten an.
Loranthus hätte schwören können, auf den wuchtigen Dreiergruppen Bilder zu sehen, die ihm vorher nicht aufgefallen waren, aber das Licht am Horizont, das Licht auf dem Becken, das Licht der Reflektion, Afals goldener Hut … alles zusammen gleißte derart hell, dass er die Augen fest zusammen kneifen musste.
„Der Sonnenkorridor!“ rief er aufgeregt und schielte mit gesenktem Kopf zu Silvanus. „Beim Pfeil und Bogen von Apoll! Ich glaub, ich werd irre! Ihr habt hier oben auf dem Berg ein Observatorium, ein Kalendarium wenn man so will. Und heute ist die Sommersonnenwende. Da steht die Sonne in ihrem Jahresverlauf am nördlichsten! Ist der Felsensporn dort vorne natürlichen Ursprungs oder habt ihr ihn auf diesem Platz eingegraben? Egal! Jedenfalls geht über diesem Felsen heute die Sonne auf und Apollo schießt seinen Pfeil direkt hierher.“
„Arcturus. Und das Horn ist echt.“
„Was?“
„Der Felsen ist natürlichen Ursprungs“, betonte Silvanus und brüllte fast, damit Loranthus bei dem lauten Hörnerklang auch alles gut verstand. „Und Arcturus schießt seinen Pfeil direkt hierher.“
„Arcturus − Apollo … hört sich für mich einerseits verschieden, andererseits doch ähnlich an! Da gibt es so viele Namen für ein und dasselbe!“, schrie Loranthus zurück.
„Aber weißt du, Silvanus, was mich am meisten verwundert?“
„Sag’s laut!“
„Dass die Symbole gleich sind!“, brüllte Loranthus.
„Ich schätze mal, das ist der Sinn von Symbolen! Hat irgendwie den selben Zweck wie Zeichensprache!“
„Zeichensprache?“, fragte Loranthus verblüfft und vergaß zu schreien, dafür versuchte er ein Auge zu öffnen. Gequält verzog er sein Gesicht, kniff das Auge wieder zu und hob den Daumen. „Zeichensprache.“
Die Hörner vereinten sich zu einem letzten langen Crescendo und verstummten abrupt. Die plötzliche Stille hallte auf eine ganz besonders anrührende Weise nach. Loranthus konnte das erhabene Schweigen nicht nur hören, sondern auch fühlen und jetzt sogar wieder einigermaßen sehen.
Afal, in gleißendes Licht gehüllt, breitete die Arme aus.
„Lasst − die Weihe − beginnen!“
König Gort und Gardan erhoben sich und trugen eine mannshohe Holzstatue zu Afal. Loranthus hatte sie bis jetzt noch gar nicht bemerkt, aber er erkannte sofort, dass es die Figur war, die Noeira bei seiner Ankunft hier, in diesem Land, behauen hatte. Jetzt war sie fertig und irgendwie kam sie ihm bekannt vor. Es war eine Frau mit langen wallenden Haaren. Sie streckte die Hände aus, als wolle sie dem Betrachter einen Schluck Wasser darbringen.
„Hiermit gebe ich dir den Namen ‚Quellgöttin Sünna‘. Möge deine göttliche Gabe allzeit bestehen und all jenen, die dich achten und ehren, zum Wohle gereichen.“
Afal tauchte Birkenzweige in das steinerne Becken und besprengte Sünna mit geweihtem Wasser, bis sie von oben bis unten nass war.
Loranthus überlegte, dass sie auch in das Becken gepasst hätte, wenigstens bis zum Bauchnabel. Aber das hätte wohl zu komisch ausgesehen, wenn sie die Statue dann umgedreht und kopfüber hinein getaucht hätten. Obwohl? Auf dem steinernen Becken wurde auch eine Gestalt kopfüber in einen Kessel getaucht. Sie sah aus wie ein … Mensch. Loranthus sah genauer hin.
Ganz eindeutig: In den Stein waren Symbole und Figuren gehauen. Es waren Krieger. Das erkannte er an ihren Helmen. Der eine hatte Hörner auf seinem, ein anderer eine borstige Wildsau, der nächste einen Hahn. Sie saßen auf Pferden und hielten Schwerter, Äxte und Schilde in den Händen. Hinter ihnen reihten sich Krieger zu Fuß. Sie sahen alle nach vorne zu einem gehörnten Wesen, das einen Krieger an einem Bein gepackt hielt und kopfüber in einen Kessel tauchte.
Loranthus stellten sich die Haare auf und er bekam Gänsehaut. Ihn hatte nicht so sehr die dargestellte Szene erschreckt, sondern mit welch gleichmütigen Mienen die nachstehenden Krieger darauf warteten, dass sie auch dran kämen. Und dieser Gehörnte … dieses Hirschgeweih da auf seinem Kopf … Das konnte doch nur Cernunnos sein. Ganz eindeutig: In der einen Hand hielt er eine Schlange und seinen Torques, den er sonst immer mit der anderen hoch hielt, trug er um den Hals. Das lag wohl daran, dass seine andere Hand schon besetzt war.
Loranthus schluckte laut, als sich Noeira und Taberia erhoben und ihre Babys zu Afal trugen. Conall und Tarian gingen neben ihnen. Loranthus sah ihnen nach, als wolle er sie am liebsten aufhalten, doch gleichzeitig erkannte er, wie stolz sie über den Platz auf das steinerne Becken zu schritten. Auch andere Mütter und Väter betraten den Kreis und Gardan ordnete sie.
Zuerst kam Wahedon mit seiner Frau Mirja und seinem Sohn. Afal machte mit dem Daumen das Zeichen der vier Himmelsrichtungen auf seiner Stirn und sprach: „Hiermit gebe ich dir den Namen ‚Hattu‘, der Behütete. Achte die Götter und sie werden dich achten.“
Wahedon nahm seinen nackten Sohn aus dem Tuch und reichte ihn Afal. Der tauchte ihn komplett, bis über den Kopf, in das Becken mit den seltsamen Bildern und gab ihn zurück. Der Kleine schrie nicht einmal und Wahedon schwoll die Brust, als er ihn der Sonne entgegenstreckte und wieder in das Tuch zurücklegte. Mirja schlug ihn fürsorglich ein und sie machten einen Schritt zur Seite.
Noeira und Conall waren an der Reihe und Belisama bekam nun ganz offiziell ihren Namen. Sie beschwerte sich aber lauthals über das Bad, was alle Zuschauer zum Lachen brachte.
Conall küsste seine strampelnde Tochter und hob sie strahlend in die Höhe. Belisama quittierte seine Freude mit energischen Fußtritten und pinkelte los, was Conalls Arme zusehends länger werden ließ. Geduldig wartete er in gestreckter Vorhalte, und als sie fertig war, versuchte er sie wieder in ihr Tuch zurück zu legen. Noeira kam aus dem Lachen nicht mehr heraus, weil sie einige Mühe hatte, ihre agile Tochter wieder einzuwickeln. Alle Umstehenden freuten sich mit.
Die nächste, die sich über zu viel Wasser beschwerte, war Armanu, und auch Tarian hob seine Tochter lachend der Sonne entgegen. Sie hatte aber keinen Wasserüberschuss, beziehungsweise: Sie hatte schon vorher ihr Einschlagtuch nass gemacht, aber Taberia hatte wohlweislich für Ersatz gesorgt.
Viele Babys schrien und strampelten, ein besonders kräftiges gähnte gelangweilt und reckte seine Fäuste gen Himmel, eins hatte Afal am Daumen erwischt und seinen einzigen Zahn hineingeschlagen, der nächste wollte sein Wickeltuch partout nicht loslassen … alle hatten viel Spaß.
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