Der mondhelle Pfad. Petra Wagner
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Название: Der mondhelle Pfad

Автор: Petra Wagner

Издательство: Автор

Жанр: Историческая литература

Серия:

isbn: 9783867779579

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СКАЧАТЬ er es: Er konnte den Wald fühlen, mit allen Sinnen erfahren.

      Umsichtig stieg er über knorrige Wurzeln, die so dick waren, dass sie tief hinabreichen mussten in die unterirdische Welt. Bewundernd betastete er die raue Borke von uralten Bäumen, die so warm und vielschichtig war wie das irdischen Leben. Andächtig lauschte er dem leisen Wispern von Bruder Wind, der so sachte durch die Wipfel streifte wie Viviane, als sie gestern die Frauen zum Tanzen geholt hatte … und so erhoben sich auch die vielen grünen Blätter und wiegten sich im Takt zu einer seufzenden Melodie … so anmutig … so weit oben … so erhaben … überirdisch.

      Loranthus hätte nicht sagen können, wie lange er zwischen den Welten gewandert war, doch unvermittelt war der Wald zu Ende und vor ihm erstreckte sich eine Hochebene.

      Kein Baum und kein Strauch stand darauf, aber dafür wurde sie von etwas anderem dominiert: Einem riesigen Steinring, in dem lange Holzstämme steckten. Oben, am Kopfende, waren sie durch Querstämme miteinander verbunden. Ein imposantes Bauwerk, fand er und dachte an einen gigantischen runden Käfig, bei dem die Gitterstäbe zu weit auseinander standen.

      Der steinerne Sockel war aus Basaltbrocken, wie alles hier in der Gegend. Er war auch nur kniehoch und daher nichts Besonderes, die gesamte Konstruktion dagegen schon.

      Die stehenden Stämme ragten alle pfeilgerade aus dem Sockel und hatten immer den gleichen Abstand zueinander. Damit sie schön senkrecht blieben, brauchten sie natürlich nicht nur Halt am Fuß, sondern auch am Kopfende, und diese aufliegenden Querstämme passten so exakt, dass kaum Fugen zu sehen waren.

      Anerkennend schürzte er die Lippen.

      Wie er die keltischen Holzhandwerker kannte, hatten sie alles sehr stabil gemacht, durch Spundung und Verzapfung. Selbst bei Sturm, Regen, Eis und Schnee würde dieser Ring stehen bleiben, weil es sich gegenseitig stützte. Ein perfekter, riesiger Kreis aus Stein und Holz, keine Ecken oder Kanten. Ja, warum eigentlich nicht?

      Bei näherem Hinsehen bemerkte Loranthus, dass die Aufliegerstämme eine leichte Krümmung aufwiesen. Womit bewiesen wäre, dass die Keltoi alle Hölzer krumm bekamen, wenn sie auch noch so dick waren, und am Ende passte es immer noch zusammen, es sei denn sie wollten mit Absicht eine Spirale machen, was die zweitbegehrteste Figur gleich nach dem Kreis war.

      Loranthus wurde plötzlich ganz aufgeregt, weil er in dem Kreis noch einen zweiten erblickte, genau im Zentrum, deshalb war dieser wesentlich kleiner. Er hatte keinen Steinsockel, die Stämme standen von alleine und waren viel dicker, extrem dick, um genau zu sein. Diesmal ragten allerdings immer nur zwei hoch und einer lag quer auf, dazwischen war nichts. Es schien fast so, als stünden die enormen Stämme nur durch ihr eigenes Gewicht. Vielleicht waren sie auch irgendwie in der Erde verankert.

      Loranthus reckte den Kopf, damit er besser sehen konnte und zählte schnell durch: Es waren fünf wuchtige Dreiergruppen, und sie waren untereinander wirklich nicht verbunden. Eigentlich bildeten sie auch keinen richtigen Kreis, sondern eher ein Hufeisen. Eine Stelle war nämlich weit offen geblieben und gab den Blick frei auf ein steinernes Becken genau im Mittelpunkt.

      „Komm!“, sagte Silvanus und führte Loranthus auf die hölzernen Pfeiler zu. „Der Weg führt uns genau zum Osteingang. Wir müssen das geweihte Land aber erst einmal umrunden. Dann dürfen wir eintreten und stellen uns an der Westseite auf.“

      „Aha“, murmelte Loranthus gedankenverloren und seine Augen huschten vom Trampelpfad um den Steinsockel herum zur gegenüberliegenden Seite. „Dort ist also Westen. Aber in welche Richtung müssen wir gehen? Rechts herum oder links herum?“

      Silvanus schmunzelte und sah bedeutsam drein, gab aber keine Antwort. Loranthus betrachtete ihn erwartungsvoll von der Seite und achtete nebenbei auf seinen Weg. Das war gar nicht so einfach, und er war gerade dabei, seine Ungeduld in Worte zu fassen, plus seine Miene passend zu verfinstern, da hatte er einen erhellenden Gedanken.

      „Jetzt wird mir alles klar wie ein Gebirgsbach! Wir gehen natürlich von Osten über Süden, nach Westen und Norden! Und aufstellen tun wir uns im Westen, damit wir die Sonne sehen können, die nach der Sonnenwende das erste Mal wieder aufgeht.“

      „Das hat aber lange gedauert, du Gast aus dem Lande der Kultur und Gelehrsamkeit. Komm! Ich zeige dir den Stamm, den Noeira letztes Jahr behauen hat. Der alte war morsch geworden und da musste natürlich ein neuer her. Mal sehen, ob du errätst, für welchen Festtag er steht!“

      „Was bekomme ich, wenn ich es errate?“

      „Dann hast du einen Wunsch bei mir frei. Aber darüber muss ich mir keine Sorgen machen, Grieche aus dem fernen Kreta“, feixte Silvanus mit einem besonders spöttischen Zug um die Lippen.

      Loranthus konnte schon gar nicht mehr hinsehen.

      Beim Anblick der ersten Pfeiler vergaß er allerdings, dass er ein wenig schmollen wollte. Er war nämlich jetzt mit wichtigeren Dingen beschäftigt. Er musste staunen.

      Die Schnitzereien waren so detailgetreu aus den Stämmen herausgearbeitet, dass sich seine Hände ganz von alleine ausstrecken, um die glatten Strukturen zu betasten. Ohne Mühe konnte er die abgebildeten Dinge erkennen, ganz alltägliche wohlgemerkt: ein Pflug, eine Sense, ein Mähwerk, das von einem Ochsen über ein Kornfeld geschoben wurde, Ährenbündel, eine Drehmühle, ein Backofen und ein Weib, dass dem Betrachter ein Brot entgegenstreckte; ein Schwarm Bienen, Blumen, Klotzbeuten, Gerste, Dinkel, Fässer, Trinkhörner, Harfen, Flöten, Trommeln, Hörner und Kinnaren. Es gab auch Schnitzereien von tanzenden Weibern mit hervorquellenden Brüsten und Männer mit übertrieben erigiertem Phallus. An denen hätte er Klimmzüge machen können, sie wären nicht abgebrochen. Und wenn doch, wäre er schließlich bei einem Tanzpaar hängen geblieben, das in eindeutiger Pose miteinander verschlungen war.

      Loranthus sah plötzlich ein Bacchusfest vor sich, wo es auch nicht anders zuging; seltsame Wehmut überkam ihn. Schnell lenkte er sich mit den nächsten Bildern ab: Leute beim Hausbau, Kinder in hängenden Wiegen oder mit einem Napf in der Hand, Weiber die webten oder töpferten, Männer die Schafe schoren oder schlachteten, ein Rennofen, ein Dreifuß über dem Feuer … alle Tiere, die es hierzulande gab und auch welche, die es nicht gab, Löwen, zum Beispiel; dazu immer wieder Bäume, Sträucher, Obst, Gemüse, Getreide, Kräuter und Runen.

      Er machte sich den Spaß und verglich sie mit den griechischen Schriftzeichen. Einige sahen sich wirklich verblüffend ähnlich: Beta, zum Beispiel, oder Delta, Jota, Ypsilon; wenn man ein Auge zudrückte auch Kappa, Ny, Omikron und wenn man zwei Augen zudrückte …

      Hinter Loranthus hatten sich die Leute aufgestaut und Medan löste das Problem ganz praktisch, indem er ihn mit ziemlich viel Schwung zum nächsten Pfeiler beförderte.

      Loranthus konnte sich gerade noch abfangen, sonst wäre er mit ein paar Kriegern zusammen geprallt − keinen echten, zum Glück. Ihre geschnitzten Abbilder waren zu Fuß unterwegs und mit Schleudern sowie mannshohen Schilden gewappnet. Andere hoben schussbereite Bögen und duckten sich dabei hinter hohe Schilde. Reiter hoch zu Ross streckten dagegen kleine runde Schilde vor und sahen mächtig stolz aus. Noch majestätischer wirkten die Krieger in Streitwagen. Letztere trugen Helme mit verschiedenen Tierfiguren als Schmuck und hielten Doppeläxte oder Speere kampfbereit. Einer hob eine Carnyx an den Mund … Das war der einzige Pfeiler, an dem sich Loranthus nicht länger aufhielt.

      Dafür musterte er Noeiras Schnitzereien umso akribischer, denn er erkannte einen Vollmond und Menschen, die Tierbälger über sich gezogen hatten, sogar die Schädel und die Beine waren noch dran. Da gab es Ziegenböcke, Schafböcke, Stiere und Hirsche − also lauter Leute mit Hörnern auf dem Kopf und baumelnden Hufen, bis auf einen mit Eselsohren, aber Hufe hatte der auch. Einer hatte sich einen Hasenbalg СКАЧАТЬ