Название: Briefgeschichte(n) Band 1
Автор: Gottfried Senf
Издательство: Автор
Жанр: Историческая литература
isbn: 9783961450442
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Lieber Dr. Senf,
herzlichen Dank für Ihren Brief vom 11.12.91 sowie für die vielen interessanten Beilagen, die vor einigen Tagen hier ankamen. Sie leben in einer großen Umbruchzeit und sind noch jung genug, um richtig daran teilzunehmen und, durch Ihre Tätigkeit, die Entwicklung zu beeinflussen. So wie 1945 die Weichen für alles gestellt wurden, was dann später geschah, so werden die Jahre seit 1990 für die gute oder miserable Entwicklung der neuen Länder zu bürgen haben. Und all dies hängt wiederum mit der Entwicklung in Europa und der Welt zusammen. Die Welt ist jetzt so klein, dass alles von allem abhängt. Da sind große Männer und Frauen gefragt, die weiter sehen können als ihre eigenen Interessen. Leider ist es im Kapitalismus so, dass der Eigennutz der einzige Motor des menschlichen Handelns ist. Der Sozialismus als Korrektur ist also im Kapitalismus durchaus notwendig. Wenn wir im September (wie wir hoffen) nach Sachsen kommen, wäre es schon interessant, sich über diese Dinge zu unterhalten. Ich finde zum Beispiel, dass jedwede Rückgabe von Höfen und Grundstücken vorerst untersagt sein sollte. Wenn einmal die östlichen Länder auf dem wirtschaftlichen Niveau des Westens sind, dann natürlich sollten die früheren Eigentümer für den Verlust ihres Besitzes entschädigt werden, und zwar durch Steuern, die die neuen Eigentümer von ihren Gewinnen abzweigen können.
Ich lege Ihnen eine weitere Fortsetzung der 1945-Saga bei. Diese Erinnerungen habe ich vor etwa 20 Jahren zuerst aufgeschrieben. Doch ist es am Ende dieser Folge nicht mehr ganz klar, ob die Einsiedel-Töchter damals mit ihrer Mutter in Stralsund waren. Ich hätte Frau Martin im Mai 90 danach fragen sollen. Was Sie über die Frau aus Kohren-Sahlis schreiben, die nach 1945 mit Robert Reiner Verbindung hatte, ist sensationell. Darüber wüsste ich gern mehr. Ich bin ja in dieser Sache bisher nicht weitergekommen.
Meine 1945-Erinnerungen sind sehr subjektiver Art. Doch sind sie vielleicht gerade deshalb von Wert. Sie können sie als Quelle benutzen oder auch das Ganze veröffentlichen, wenn daran ein Interesse besteht. Natürlich halte ich das „Copyright“, wenn es einmal zu einer kommerziellen Veröffentlichung kommen sollte. Ich würde gern mit den Mitgliedern des Geithainer Heimatvereins zusammentreffen. Vielleicht sind auch diese daran interessiert, mich zu treffen und meine Ansichten darüber zu hören, was 1945 mit uns „im Namen des Volkes“ gemacht wurde. Das war schon ein sehr übler Trick der kommunistischen Machthaber von Moskaus Gnaden, und wenn man das nicht geistig verarbeitet, wird es auch weiterhin in Osteuropa schief gehen. Es fing damit an, dass man 1945 nach dem Sündenbock suchte, dem man die Hitler-Schweinerei in die Schuhe schieben konnte. Der Sündenbock waren wir alle, einschließlich der Kommunisten. Wie auch jetzt wieder. Es gab natürlich STASI-Agenten und Parteibonzen, die besonders wild unter dem Kommunismus agiert haben (Hilde Benjamin!), doch fing es damit an, dass 1945 den Kommunisten, wie dem Herrn Kopp, Glauben geschenkt wurde. Wie 1933 den Nazis. Man kann, was geschah, nicht ungeschehen machen, man kann aber daraus lernen und eine Wiederholung verhindern.
Heute also die 6. Fortsetzung und demnächst mehr, mindestens noch vier weitere. Ursprünglich schrieb ich das in Englisch und ich nehme das Übersetzen zum Anlass, das Ganze in etwas bessere Form zu bringen.
Was sich in Osteuropa anbahnt, weiß keiner. Vielleicht haben wir Glück, vielleicht entwickelt sich in diesen geplagten Ländern so etwas wie Demokratie. Wenn man einen Stein ins Rollen bringt, dann weiß man meist nicht, wo er wieder zur Ruhe kommt. Gorbatschow, wohl der größte Staatsmann unseres Jahrhunderts, wusste, dass das, was bestand, des Erhaltens nicht wert war. Er hatte den Mut, den Damm, hinter dem sich alles gestaut hatte, zu brechen. Nun ist es unser aller Aufgabe, ein neues Flussbett zu bauen. Unsere Nachkommen werden uns richten.
Bitte grüßen Sie Frau Thiemann und Heinrich Engert, den guten Herrn Mühlbach sowie Herrn Weise von uns.
Alles Gute und herzliche Grüße an Sie und Ihre Familie,
Ihr Ulrich J. Sommer und Frau Gisela
Georgetown, 16. Januar 1992
Lieber Dr. Senf,
gerade erhielt ich Ihren Eilbrief vom 4. Januar. Sehr herzlichen Dank dafür. Sie haben sich ja eine erstaunliche Arbeit damit gemacht, meine Erinnerungen zur Veröffentlichung in der LVZ zu kürzen. Ja, so kann man das machen. Sie haben großes Geschick darin. Doch werde ich Ihnen weiterhin meine sehr ausführlichen Erinnerungen des Jahres 1945 zukommen lassen. Als Historiker sind Sie sicherlich an denen interessiert.
Zur Veröffentlichung: Sie sollten erwähnen, dass diese Artikel sehr gekürzt und oft auch „umschrieben“ sind, also eine Bearbeitung des originalen Materials sind. Sehr persönliche Dinge und Namensnennungen lässt man für diese Veröffentlichung besser weg, es seien denn Namen, die zur Ortsbestimmung nötig sind (wie Münsters in Königsfeld). Andere wie Dr. Bernstein, Bürgermeister Müller, Angers, Wüstners usw. sollten erwähnt werden, da diese Menschen in vieler Beziehung exemplarisch waren.
Einige Fehler: In der Villa am Standpark wohnten die Eltern von Frau Magnussen. Magnussens selbst hatten eine große Wohnung an der Fabrik (im 1. Stock), und aus der kamen die Möbel, die in der Kommandantur waren.
Rochlitz hatte zu meiner Zeit eine Oberschule, kein Gymnasium.
Frau Münster? Ich finde, man sollte ihr den Titel „Gräfin“ lassen. Diese Adelsnamen gehören zur deutschen Geschichte. Es hat ja auch wenig Sinn, jetzt überall die Marx- und Lenin-Statuen herunterzureißen. Es waren ja wir Menschen, die diesen Leuten bei der Machtausübung geholfen haben.
Die Mulde war Grenzfluss? Möglicherweise haben Sie recht. Ich werde das in meinem Manuskript ändern.
„Festsetzung und Freilassung waren aber eigentlich durch Deutsche und nicht durch Russen veranlasst.“ Der eigentliche Grund meiner Festnahme war, dass wir scheinbar nicht den Befehlen des Landwirtschaftsoffiziers gefolgt waren. Das sollte erwähnt werden. Die Idiotie der solcherart geplanten Wirtschaft war unglaublich.
Was Herr Dr. Bernstein zu mir sagte, finde ich besser, weil härter und unverschönter als Ihre Umschreibung. Ich würde es so lassen, wie ich es Ihnen geschickt habe.
Persönliches: Wenn es Betrachtungen sind, die mich damals beschäftigten, die mir halfen, mit dem Erbe der Nazizeit fertig zu werden, sollten sie erwähnt werden.
Ich glaube, ich schrieb Ihnen vor einigen Tagen, was ich über „Rückgabe vor Entschädigung oder umgekehrt“ halte. Lassen Sie mich noch etwas näher darauf eingehen. Man kann die fünf Länder der früheren DDR nicht wieder so herstellen wie sie vor dem Kriege waren. Da ist etwas zerstört worden, das unwiderruflich dahin ist. Die Bodenreform war ein ganz tiefer Einschnitt, der die Struktur der Gesellschaft völlig verändert hat. Ich kann nicht sehen, wie „Rückgabe“ etwas daran ändern könnte. Alle die, die vor 46 Jahren aus den Ostländern fliehen mussten, haben sich unterdessen in anderen Ländern, mit neuen Verhältnissen und oft auch ganz neuen Kulturen, vertraut gemacht. Unsere eigentliche Heimat ist jetzt dort, wo wir ein Leben lang gelebt haben. Wollte ich wieder in Geithain leben, wäre ich dort ein Fremder. Die, die jetzt zum größten Teil auf diesen Höfen sich angesiedelt haben, wissen kaum noch, wie es dazu kam, dass sie jetzt dort leben, wo sie leben. Wie die Polen im früheren deutschen Gebiet östlich von Ihnen, sind diese Leute jetzt dort zu Hause und haben nach dieser langen Zeit ein Recht darauf, dort bleiben zu können wo sie sind.
Es ist mir unverständlich, warum Bonn das nicht ganz klar ausspricht. Wenn die Ostländer einmal wieder eine starke Wirtschaft haben, dann und erst dann, finde ich, sollten wir oder unsere Nachkommen für das Verlorene entschädigt werden. Unterdessen sollte man herauszufinden versuchen, wem was gehört hat, um dann eine Grundlage für diese zukünftigen Zahlungen zu haben. Wenn ich von „Zahlungen“ СКАЧАТЬ