Warnung vor Büchern. Erzählungen und Berichte. Ханс Фаллада
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СКАЧАТЬ im Elend und Verbrechen zu wühlen hat, er wird zu sehr geneigt sein, leichte, auch leichtsinnige, tänzerische Schritte junger Menschen für das zu nehmen, was sie nicht sind, doch sein könnten: Vergehen, Verbrechen, Vorboten dieser beiden.

      Auch er hatte gemeint, das Rechte zu tun, einem alle Verachtenden war es nicht gegeben, Halt zu machen in seiner Verachtung vor dem eigenen Kinde.

      Doch nun schiebt sich in meinem nächtlichen Schattentheater – man erinnert sich doch, in einer fingierten Welt, mit Durchschnittsfiguren, spiele ich mir eine Dutzendgeschichte ab, man erinnert sich doch? –, nun schiebt sich zwischen die Parteien eine dritte Figur, wächst, wird riesengroß, von ihr wird die Lösung erwartet, muss sie kommen: der Richter.

      [73]Alles ist ja so einfach. Da ist ein Amtsgericht mit so und so viel Richtern für so und so viel Bezirke, und der und der Richter ist von Scheines wegen zuständig in dieser Sache, er hat zu entscheiden.

      Wenn es auch Nacht ist, der Schlaf noch immer nicht kommt, ins Ungemessene wollen wir darum doch nicht phantasieren.

      Keine Furcht! Wir wissen zu gut, derartig unwägbare Dinge sind erst recht in keinem Prozess zu wägen, es ist auch gar nicht Sache eines Prozesses, sie zu wägen. Der Richter hat festzustellen, ob eine Körperverletzung stattgefunden hat oder nicht, das ist alles.

      Nein, die Klägerin wird wohl doch nur für sich handeln, nie für die toten beiden Schwestern. Nein.

      Aber etwas anderes ereignet sich nun, ein grotesker Gedanke kommt mir, nach so viel Schwulst etwas sehr Triviales: ein Bedenken. Ja, sage ich in mir, wird man denn, kann ich denn dieser Tochter völlig glauben? Der Vater hat ihr Liederlichkeit vorgeworfen, sie wird also einen Liebhaber haben, sie ist nicht verheiratet, davon ist nichts bekannt, also –? Sie ist mündig, zweifelsohne, den Vater ging das eigentlich nichts mehr an, sicher, aber schließlich ist er doch der Vater. Das kann man am Ende verstehen, so ein Mädchen, gestern war sie unmündig, da durfte ich sie noch schlagen, heute ist sie mündig, wenn da die Hand noch einmal ausrutscht …

      Sie ist unsittlich, und wer unsittlich ist, der lügt auch. Ihre Glaubhaftigkeit ist vermindert, ihre Angaben sind mit Vorsicht aufzunehmen, sie will sich entlasten.

      Nun spricht wieder etwas anderes: Manches Jahr ist es schon her, dass Alfons Kerr sagte, die Zeiten des [74]geschlechtlichen Alleinbesitzes gingen vorüber, seien beinahe schon vorbei, es mehrten sich die Anzeichen … Mancher ist seiner Ansicht geworden. Aber hundert Jahre dauert das noch, bis es anerkannt wird, in den Kreis offizieller Betrachtungen einbezogen.

      Wir, wir sind noch hundert Jahre zurück. Wir halten immer noch bei der Virginität des jungen Mädchens. Ein Mädchen, das keinen Liebhaber gehabt hat, ist anständig (und glaubwürdig), aber ein Mädel, das einen Liebhaber gehabt hat, ist unanständig (und vermindert glaubwürdig). Wer illegitim besessen worden ist, ist im Wert herabgesetzt.

      Alte Geschichten? Uralte! Und doch sehen wir immer wieder und werden es auch diesmal wieder sehen, unsere ganze Umwelt steht auf und schreit: Unsittlich! Recht ist ihr geschehen!

      Wer kann da richten –? Einer jener, die auf Moral schwören, täte der Tochter Unrecht, und einer von denen – muss ich der Probabilität halber sagen, die auf Unmoral schwören –? – dem Vater!

      Eine Sackgasse, nicht wahr, hier geht es nicht weiter, wenn der Urfall dieses Falls entschieden werden soll, so kann er eben nicht entschieden werden.

      Dieser Dutzendfall für alle Fälle. Richter, die wie Kaufleute waren, entrüsten sich über einen, der einen Wechsel unterschreibt, für den noch keine Deckung da ist, der erst aus späteren, immerhin nicht mathematisch sicheren Einnahmen gedeckt werden soll, Richter, die politisch entschieden Partei sind, entscheiden politische Prozesse, Richter, deren künstlerische Bedürfnisse sich nicht über das Ullsteinbuch erheben, urteilen über Kunst. Wie kann das [75]sein? Sind sie keine Menschen? Werden sie nicht ihre Töchter zu verteidigen meinen gegen jene Tochter?

      Und: es ist nun einmal nicht anders, für den Richter gibt es eine rein fiktive Welt, eine Welt der festgesetzten Normen, dort ist die Jungfräulichkeit des Mädchens festgesetzt, das normale Schamgefühl urteilt über Kunst und Kredit beansprucht nur, wer Deckung bereits hat. Eine irreale Welt, eine Welt, die nichts, nichts mit dem Leben gemein hat.

      Wenn dem aber so ist, warum erregen wir uns so, warum haben wir noch immer nicht gelernt, diese irreale Welt als etwas Gegebenes hinzunehmen? Warum schreien wir nach Gerechtigkeit?

      Es sitzt in uns – mit anderen Lügen – von der Kindheit, von der Schule her, dass Recht und Gerechtigkeit sich decken, sich wenigstens decken sollen. Ach, sie decken sich nicht, sie haben nicht einmal etwas miteinander gemein. Wir müssen von unsren ungerechten Ansprüchen ablassen.

      Kein Urteil, das gefällt wird, wird endgiltig gefällt. Es kommt eine andere Generation, mit ihr ein anderes Denken. Und jede Generation hat ihre Hexenprozesse gehabt und jede kommende wird sie haben. Doch bleibt zu wünschen, dass der Richter nicht gar zu hartnäckig seine Welt gegen das Leben verteidige. Urteilen, verwerfen ist nichts, verstehen alles.

      Doch auch dann noch kann kein Richter gerecht sein und kein Urteil irgend etwas entscheiden.

      [76]Geschlagene Pferde, gehetzte Menschen

      Eine Lehrerin wohnt gegenüber einem Neubau. Erde wird angefahren. Der Boden ist weich. Sie sieht beim Vorbeikommen ein Pferd, das über die Deichsel getreten, in der Kette verwirrt ist, der Kutscher schlägt roh auf das hilflose Tier ein. Sie erstattet Anzeige. Der Kutscher bekommt 30 Mark Geldstrafe. Sie war empört über seine Rohheit, sie konnte das Pferd nicht misshandelt werden sehen.

      Was sie nicht sah, kam in der Berufung zur Sprache. Das Pferd ist nicht grade fromm. Hat schon einmal den Vorderwagen zerschlagen, der Kutscher wurde dabei verletzt, hat wochenlang krank gelegen. Ist der Freund des Tieres nicht.

      Das Pferd hat sich nun eine Spielerei angewöhnt, beim Halten tritt es mit einem Vorderbein über die Deichsel, der Kutscher muss nach vorn laufen, das Pferd befreien, ehe er losfahren kann. Das Pferd tut das öfters. Und der Kutscher hat nicht viel Zeit. Hinter ihm drängt sein Kollege, der auch abladen, weiterfahren will. Hinter ihm steht der Fuhrherr, der eine bestimmte Menge Arbeit getan haben will. Steht die Familie, Frau, Kinder, die zu essen haben wollen. Droht, wie hinter jedem Arbeitenden heut, die erhobene Peitsche der Arbeitslosigkeit.

      Eben hat der Kutscher sein Pferd befreit, macht drei Schritte zur Leine, will losfahren, da hat der Gaul das Bein schon wieder über die Deichsel. Nun, wir sind Menschen, keine Lagerhäuser der Geduld. Er vertobackt das Pferd.

      Wir sind zu hart und zu fein. Wenn wir ein Pferd geschlagen sehen, treten uns die Tränen in die Augen, sehen wir einen Menschen gehetzt, sagen wir: »So ist das Leben«, und drehen die Daumen.

      [77]Die Strafe wird auf zehn Mark ermäßigt.

      (Anmerkung zur Sprachentwicklung: Der amtierende Richter nahm Anstoß daran, dass der Kutscher sein Kranksein als Krankspielen bezeichnete. »Ich musste ein paar Wochen krank spielen.« Tiefer Sinn, dass bei unsern lausigen Zeiten in Arbeiterkreisen Kranksein ganz allgemein als Krankspielen bezeichnet wird. Arbeit ist Hatz, Arbeit ist Angst, aber Krankheit, schwere Krankheit selbst, Ausruhen, Spiel. Soviel zur Geschichte der Sprache.)

      [78]Mein Freund, der Ganove

      Ich traf ihn im Wartesaal Vierter, nach Mitternacht, gegen Morgen schon. Er sortierte aus einem Fetzen Zeitungspapier Kippen. Jeder Zigarettenstummel wurde sorgsam aufgepult und der Tabak in eine Blechschachtel getan. Dies Geschäft war gut gegangen, СКАЧАТЬ