Die Belagerung von Krishnapur. James Gordon Farrell
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Название: Die Belagerung von Krishnapur

Автор: James Gordon Farrell

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783957571229

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СКАЧАТЬ Griff zu entwinden und in den verführerischen grünen Dschungel des Anwesens abzutauchen. Ohne seine Rufe zu beachten, raste sie, die Nase am Boden, davon. Er verfolgte sie verzweifelt und fand sie nach einer langen Jagd versuchsweise den braunen Bauch eines Babys leckend, das sie ziemlich weit entfernt bei den Hütten der Dienerschaft im Dreck spielend aufgestöbert hatte. Unter Schlägen und Schimpfen schleifte er sie zurück. Harry war wieder da.

      »Was war eigentlich los?«

      »Ich dachte, Sie hätten es gehört. Der khansamah sagte, eine Frau versuche sich umzubringen.« Harry legte eine Pause ein, er sah erschüttert aus. »Anscheinend ist sie … also ja, ich glaube, man würde ›betrunken‹ sagen, um es nicht zu beschönigen.«

      »Eine Hindu?«, riskierte Fleury mittelmäßig sicher. Er hatte sich erinnert, dass Mohammedaner nicht trinken.

      »Also, das ist es ja. Sie scheint Engländerin zu sein, fürchte ich. Das heißt, ich wollte sagen, sie ist tatsächlich Engländerin. Ich habe früher schon mal von ihr gehört. Wie es scheint …« Harry räusperte sich gekünstelt. Seine bereits geröteten Wangen wurden röter, und er warf einen verlegenen Blick in Richtung Miriam. »Anscheinend hat ihr irgendein Offizier ihre Tugend geraubt. Dann hat er sie natürlich verlassen, sonst hätte er Ärger mit seinem Oberst bekommen. Sie hat das schon einmal gemacht, wissen Sie. Ich meine, einen Selbstmordversuch. Man weiß wirklich nicht so richtig, was man tun soll.«

      Die Sonne ging unter, als Fleury und Miriam zum Bungalow des Joint Magistrate gelangten. Er erwies sich als ein gelb verputztes Gebäude, umgeben von einer Veranda und um der Kühle willen strohgedeckt. Träger tauchten aus der Dämmerung auf, um sich mit ihren Kisten abzumühen, während sie in die Innenräume spähten. Es gab zwei Schlafzimmer, jedes mit direktem Zugang zu einem eigenen Bad, und zwei weitere Räume, die statt Türen durch Stücke roten Baumwolltuchs voneinander getrennt waren. Miriam, die sagte, sie sei müde, verschwand alsbald mit ihren Kisten im leersten der beiden Schlafzimmer, während sie Fleury sich selbst überließ. Er nahm es ihr übel, ihn so abrupt an diesem unbekannten Ort allein zu lassen; so war sie seit dem Tod ihres Ehemanns.

      Melancholie überkam ihn beim Gedanken an den einsamen Abend, der vor ihm lag. Obgleich der Joint Magistrate fortgegangen war, um in den Bergen zu sterben, hatte er es nicht für angebracht gehalten, seine Sachen mitzunehmen. Einer der Räume hatte als Büro gedient; überall waren Papiere angehäuft. Fleury stieß mit der Spitze seines Stiefels an einen Stapel von Schriftstücken, der ins Rutschen kam und Staub ausdünstend umfiel; das Licht war gerade noch hell genug, um zu erkennen, dass es eine Sammlung der mit dem morschen, ausgeblichenen roten Band des offiziellen Indien-Handels gebündelten Salzberichte war. Es gab auch Blaubücher, Kodizes und zahllose Briefe, manche geordnet, andere wahllos gestapelt. Es schien unvermeidlich, dass niemand je aus den Bergen zurückkehren würde, um diese Masse an amtlichen Papieren zu sortieren. Von der Wand aus starrte ihn missfällig der Kopf eines sehr kleinen Tigers an; zumindest glaubte er, es müsse ein Tiger sein, obwohl er eher einer gewöhnlichen Hauskatze glich.

      Inzwischen war der größte Teil seines Gepäcks in sein Schlafzimmer gebracht worden und wurde unter den Augen des khansamah ausgepackt, wobei dieser seinerseits von Harry überwacht wurde, der hilfsbereit wieder aufgetaucht war und eine Einladung zum Abendessen in der Residenz mitgebracht hatte. Nach und nach wurde der Inhalt seiner Kisten ausgeleert: Bücher und Kleidung, Havannas, Brown Windsor Seife, Konfitüren und Konserven in wundersamerweise unzerbrochenen Gläsern, ein Fass Branntwein, Seidlitz Pulver, Kerzen, eine Zinnblechwanne für Fußbäder, Jahresbände von Bell’s Life, noch mehr Kerzen, auf Leisten gespannte Stiefel und ein erfinderisch gestaltetes Möbelstück, das in häuslichen Notlagen, welche Fleury niemals zu erleben hoffte, als Wasch- und Schreibpult in einem dienen konnte. Nach einer kurzen Diskussion auf Hindustani wurden seine Bücher auf den Tisch, und dessen Beine in irdene, mit Wasser gefüllte Untersetzer gestellt. Dadurch sollten sie vor Ameisen geschützt werden, erklärte Harry. Fleury nickte ruhig, aber ihm kam ein schrecklicher Gedanke: Was, wenn Schlangen zum Trinken an die Untersetzer kröchen, während er schlafend im Bett lag? Etwas warnte ihn jedoch, diese Angst Harry gegenüber zu erwähnen. Harry würde es nicht verstehen. Dann, als er sich in der zunehmenden Dunkelheit genauer umsah, bemerkte Fleury, dass nicht nur die Tischbeine, sondern auch die Schränke und sogar das Bett selbst in randvoll mit Wasser gefüllten Untersetzern standen.

      Bis Fleury die Residenz erreichte, war es viel zu dunkel, als dass er die wütenden Löwenmäulchen, die die Beete neben der Einfahrt bewachten, hätte sehen können, aber er roch den schweren Duft der Rosen … der Geruch störte ihn; wie Weihrauchduft war er stärker, als ein Engländer gewohnt ist. In diesem Moment, müde und entmutigt, hätte er viel darum gegeben, die frische Brise der Sussex-Downs zu riechen. Das sagte er zu Harry Dunstaple.

      »Ja, ich sehe, was Sie meinen«, stimmte Harry vorsichtig zu.

      »Und das, was ist das alles hier?«

      Bei ihrer Annäherung an das Tor waren zwei bedrohlich aufragende Erdwälle aus der Dunkelheit hervorgetreten und hatten sie wie eine Flutwelle verschlungen.

      »Entwässerungsgräben«, sagte Harry steif.

      »Entwässerungsgräben!«

      »Nun ja, eigentlich nicht wirklich zur Entwässerung. Es sind Befestigungsanlagen für den Fall, dass die Residenz verteidigt werden müsste. Eine Idee des Collectors, wissen Sie.« Harry klang missbilligend. Das Militär in Captainganj sah die Erdarbeiten des Collectors gar nicht gerne, eine Sicht, die Harry teilte. Manche, wusste Harry, hätten es unverblümter ausgedrückt und gesagt, der Collector sei verrückt geworden. Jeder in Captainganj glaubte, es bestehe selbstverständlich überhaupt keine Gefahr, doch das, was an Gefahr bestehe, werde durch die zur Schau gestellte Ängstlichkeit des Collectors maßlos geschürt. Gleichwohl, der Collector hatte die höchste Gewalt in Krishnapur inne, noch höher als die General Jacksons. Der General konnte in Captainganj tun und lassen, was er wollte, aber das war die Grenze seines Reichs; seine Autorität war ringsum eingebettet in die des Collectors, dessen Herrschaft sich in alle Richtungen bis zum Horizont erstreckte. Aus Harrys Sicht hatte die Autorität des Collectors Ähnlichkeit mit der eines römischen Kaisers, so fehlbar ein Collector als Mensch auch sein mochte, als Repräsentant der Company gebot er Respekt. Es lag in der Natur der Dinge, dass ein römischer Kaiser oder ein Collector gelegentlich verrückt wurde, darauf bestand, sein Pferd zum General zu befördern, und man ihn bei Laune halten musste; so etwas droht in jeder starren Hierarchie. Aber in Captainganj herrschte die Meinung, dass es zu keinem schlechteren Zeitpunkt hätte passieren können; das Militär wurde lächerlich gemacht. Die Kunde vom Verhalten des Collectors in Kalkutta hatte die Kasernen schon erreicht, zusammen mit spöttischen Kommentaren von Offizierskameraden anderer Standorte. Niemand mag Gespött, auch nicht verdientermaßen, aber für einen Soldaten ist es wie ein Teppich aus glühenden Kohlen. Die Residenz war nicht ihr Zuständigkeitsbereich, aber die Leute würden es glauben oder so tun, als glaubten sie es; die Leute würden sagen, sie »unkten«! Das ängstliche Verhalten des Collectors würde auf sie abfärben.

      Und doch, obwohl Harry all das dachte, brachte er es nicht über sich, es auszusprechen … jedenfalls nicht gegenüber Fleury; unter vier Augen mit einem Offizierskameraden würde er sich vielleicht erlauben, über den Collector zu lästern, aber gegenüber einem Fremden, auch wenn es fast ein Vetter war, hätte es sein Ehrgefühl verletzt. So war ein missbilligender Tonfall das Äußerste, was er sich bezüglich der Entwässerungsgräben erlauben konnte … wie auch immer, inzwischen hatten sie die Gräben hinter sich gelassen und ihre Stiefel klackten auf den Stufen des Portikus.

      Die Residenz war um diese Abendzeit von Lampen erleuchtet. Die Marmortreppe, die sich Fleurys Blick gleich am Eingang darbot, vermittelte ihm das köstliche Gefühl, ein heimatlich zivilisiertes Haus zu betreten; seine Augen, ausgehungert nach solcher Nahrung, seit er Kalkutta verlassen hatte, folgten gierig dem geschwungenen Geländer, bis es sich unten wie СКАЧАТЬ