Die Belagerung von Krishnapur. James Gordon Farrell
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Название: Die Belagerung von Krishnapur

Автор: James Gordon Farrell

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 9783957571229

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СКАЧАТЬ ganz so, wie es sein sollte; jeder hätte mit seinen privaten Mitteln das Gleiche getan. Aber Hopkins war weiter gegangen. Nicht nur, dass er voller Ideen über Hygiene, Fruchtwechsel und Entwässerung nach Indien zurückgekehrt war, sondern er hatte in dem Glauben, das Gleiche zu tun, was die Römer einst in Britannien getan hatten, einen substanziellen Teil seines Vermögens darauf verwendet, Beispiele europäischer Kunst und Wissenschaft ins ferne Indien zu bringen. Diejenigen, die es gesehen hatten, sagten, die Residenz in Krishnapur sei voller Statuen, Gemälde und Maschinen. Vielleicht konnte man nichts anderes erwarten, als dass diese Bemühungen des Collectors, den Eingeborenen die Zivilisation zu bringen, in Kalkutta verspottet wurden; aber jetzt war er, fast ebenso unterhaltsam, in der Rolle des Unkenrufers wieder da.

      Binnen kürzester Zeit wurde er, ständig durch Kalkutta eilend, um bei diversen Würdenträgern vorzusprechen, eine stadtbekannte Figur. Wer auch immer ihn zufällig die Chowringhee entlangschreiten sah, sagte zu sich selbst: »Da geht Hopkins. Fragt sich nur, wen er diesmal warnen will.« Seine Vorhersage des kommenden Unheils, die, wie die Leute sagten, größtenteils darauf beruhte, dass er die gefundenen Chapatis tatsächlich gegessen hatte, war bald eine sprudelnde Quelle der Belustigung. Fleury gehörte zu denen, die sein Treiben mit Erstaunen und Genuss verfolgten. In Regierungskreisen kam es sogar in Mode, vom Collector aufgesucht zu werden, und nicht selten unterhielt ein Gastgeber seine Tafelgesellschaft mit Erzählungen, wie der Collector diesen oder jenen in ein Gespräch verwickelt hatte, um die Katastrophe zu prophezeien. Und wenn er einen besuchte, stürzte er sich in wirre Reden über die Notwendigkeit, den Eingeborenen die Zivilisation näherzubringen oder etwas Ähnliches, gemischt mit den üblichen düsteren Vorhersagen. Doch während die Tage vergingen und die Leute in Kalkutta ihn weiter hierhin und dorthin fahren oder mit einsamer Würde über die nicht mehr sehr grüne Fläche des Maidan* stolzieren, wenn nicht gar tief in Gedanken versunken am Fluss stehen sahen, ungefähr an der Stelle, wo heute die große Howrah Bridge drohend über dem Wasser schwebt, kam die Zeit, da sie ihn kaum noch bemerkten.

      Allmählich, als das Wetter heißer und die Liste jener Würdenträger, die ohne Warnung zu lassen er offensichtlich für unklug hielt, nicht kürzer wurde, begann der Collector eine heruntergekommene Erscheinung anzunehmen, obwohl sein Hemd immer noch genauso weiß und sein Cut genauso sorgfältig gebügelt war. Dann, im April, ging eine andere Geschichte über den Collector um, wenngleich es ein Geheimnis blieb, woher sie stammte. Es wurde gesagt, dass er, auch wenn man ihn noch kreuz und quer durch die Stadt ziehen sah, niemanden mehr besuche. In den ersten Tagen nach der Abreise seiner Frau hatte jeder, den Fleury traf, wenn nicht persönlich Besuch bekommen, so doch zumindest einen Freund oder einen Freund eines Freundes, der von dem Collector besucht worden war, »um ihn auf die ernstzunehmende Unruhe unter den Eingeborenen hinzuweisen«. Doch jetzt, wenn man in irgendeinem der Gesellschaftszimmer fragte, in denen man verkehrte, gab es jede Menge Leute, die den Collector auf der Straße gesehen hatten, aber niemand hatte gehört, dass er irgendwo an ein Ziel gelangt wäre.

      Außerdem wurde der Collector jetzt, da die Sonne während der Mittagszeit vom Himmel brannte, oft am Straßenrand im Schatten eines Baumes gesehen (auch Sie hätten ihn dort stehen sehen, wenn Sie damals in Kalkutta gewesen wären), gedankenverloren stand er da (über eine Möglichkeit nachdenkend, kicherten die Leute, die Zivilisation mit der Eisenbahn ins Mofussil* zu bringen, um die Eingeborenen zu beruhigen), wie ein Mann, der auf das Ende eines Regenschauers wartete, obwohl natürlich keine Wolke in Sicht war. Aber welche Gründe auch immer zu den langen Pausen unter Bäumen führten, sie nährten mit Sicherheit den Glauben, der Collector habe seine warnenden Besuche aufgegeben. Nur warum er in diesem Fall nicht einfach zu Hause blieb, konnte keiner erklären.

      Selbstverständlich gab es eine andere Erklärung, die niemand vermutete. Jetzt, da es nicht mehr der neuste Schrei war, vom Collector besucht und gewarnt zu werden (inzwischen fand man es in der Tat eher lächerlich, denn wenn er mit seinem Besuch so lange gewartet hatte, rangierte man offensichtlich nicht sehr weit oben auf seiner Liste einflussreicher Personen), wurde er zweifelsohne von vielen, die er besuchen wollte, mit der Ausrede abgewiesen, sie seien zu beschäftigt.

      Und dann, eines Tages, ziemlich plötzlich, war er verschwunden. Offenbar hatte er beschlossen, Kalkutta seiner Unwissenheit zu überlassen, und war nach Krishnapur zurückgekehrt, um seinen Pflichten nachzugehen. Eine Zeitlang hörte man nichts mehr von ihm.

      Der Friedhof, auf dem Fleurys Mutter begraben lag, ist in Kalkutta immer noch zu sehen, an der Park Street, nicht weit vom Maidan entfernt. Heutzutage ist es ein erstaunlicher, einsamer Ort, verwahrlost und verwildert. Viele der erhabensten viktorianischen Grabsteine stehen schief, andere sind umgefallen oder wurden absichtlich zertrümmert. Sehr oft sind auch die Bleibuchstaben aus den Inschriften geklaubt worden, eine kleine, den Toten von den Lebenden auferlegte Steuer. Nahe dem Tor drängen sich ein paar arme Familien unbehaglich in Hütten, die sie aus Stöcken und Lumpen errichtet haben; kein Wunder, dass sie sich so unwohl fühlen, denn sogar für einen Christen herrscht hier eine unheilvolle Atmosphäre.

      Zu Fleurys Zeiten jedoch war das Gras geschnitten und die Gräber waren gut gepflegt. Abgesehen davon war er, wie man es erwarten mag, ein Liebhaber von Friedhöfen; er liebte es, dort zu sinnieren und seinen Herzensregungen zu lauschen, indem er die abgekürzten Biographien auf sich wirken ließ, die er in die Steine eingemeißelt fand … so beredt, so bündig! Gleichwohl, nachdem er ein oder zwei Stunden am Grab seiner Mutter gegrübelt hatte, beschloss er, es genug sein zu lassen, denn schließlich will man das Herumschleichen auf Friedhöfen ja auch nicht übertreiben.

      Der Entschluss war kein sehr plötzlicher. Seit dem Alter von sechzehn Jahren, als er erstmals begann, sich für Bücher zu interessieren, hatte er, sehr zur Betrübnis seines Vaters, körperliche und sportliche Dinge gering geschätzt. Er war von einer melancholischen und lustlosen Gemütsverfassung gewesen, ein Opfer der Schönheit und Traurigkeit der Welt. Im Lauf der letzten zwei oder drei Jahre jedoch hatte er bemerkt, dass seine düstere und schwindsüchtige Art nicht mehr ganz so wirkte, wie sie einmal gewirkt hatte, insbesondere auf junge Ladies. Sie fanden seine Blässe nicht mehr so interessant, sie wurden ungeduldig mit seiner Melancholie. Die Wirkung, oder die verfehlte Wirkung, die man auf das andere Geschlecht ausübt, ist insofern wichtig, als sie einem verrät, ob man in Fühlung mit dem Zeitgeist steht, dessen Hüter unveränderlich das andere Geschlecht ist. Um die Wahrheit zu sagen, war die Welle der Empfindsamkeit für das Schöne, für Sanftmut und Melancholie allmählich abgeflaut und hatte Fleury zappelnd auf einer Sandbank zurückgelassen. Dieser Tage waren junge Ladies mehr an den Vorzügen von Tennysons »großem, breitschultrigem, leutseligem Engländer« denn an bleichen Dichtern interessiert, dämmerte es Fleury. Louise Dunstaples Vorliebe, mit lustigen Offizieren herumzutollen, die ihn am Tag des Picknicks bestürzt hatte, war keineswegs die erste Abfuhr dieser Art gewesen. Sogar Miriam fragte ihn manchmal laut, warum er so »hündisch« blicke, wo sie einst geschwiegen und »seelenvoll« gedacht hätte.

      Trotzdem, man ändert seinen Charakter nicht über Nacht, nur um ihn der Mode anzupassen, auch nicht, wenn man will. Manche eigensinnige Menschen in Fleurys Dilemma bleiben lieber so, wie sie angefangen haben, und geben sich damit zufrieden, ihre Epoche als philisterhaft oder verweiblicht oder was auch immer sie selbst nicht sind zu betrachten. Ein wirkliches Problem wird es erst, wenn man sich verliebt, wie Fleury, und attraktiv sein will.

      Einen oder zwei Tage lang wurde Fleury ziemlich aktiv. Er musste sein Buch über den Fortschritt der Zivilisation in Indien voranbringen, und das war auch ein Grund, warum er Interesse am Verhalten des Collectors entwickelte. Er stellte viele Fragen und kaufte sich sogar ein Notizbuch, um einschlägige Informationen festzuhalten.

      »Wenn die indischen Völker unter Ihrer Herrschaft glücklicher sind«, fragte er einen Beamten der Schatzkammer, »warum bleiben sie dann in einheimischen Staaten wie Hyderabad, die so miserabel regiert werden, und wandern nicht aus, um hierherzukommen und in Britisch-Indien zu leben?«

      »Die Apathie des Eingeborenen ist allgemein bekannt«, erwiderte der Beamte steif. »Er ist nicht unternehmerisch.« Fleury schrieb »Apathie« in schnörkeliger СКАЧАТЬ