Das Öl, die Macht und Zeichen der Hoffnung. Klaus Stieglitz
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Das Öl, die Macht und Zeichen der Hoffnung - Klaus Stieglitz страница 9

СКАЧАТЬ Mongalla-Gazelle, Elen-Antilopen, Afrikanische Elefanten und Schuhschnabel-Störche. Riesige durchziehende Säugetierherden sind vom Grasangebot der Feuchtgebiete während der Trockenzeit abhängig.27

      Um eine Vorstellung von dem Artenreichtum in diesem Gebiet entwickeln zu können, kann man aktuelle wissenschaftliche Befunde heranziehen. Als 2007 in New York die südsudanesische Teilregierung und die amerikanische Umweltorganisation Wildlife Conservation Society gemeinsam das Ergebnis der ersten Bestandsaufnahme der südsudanesischen Tierwelt seit 25 Jahren veröffentlichten, erzählte einer der beteiligten US-Forscher, er habe beim Anblick des Tierreichtums seinen Augen nicht getraut.28 »Ich dachte, ich halluziniere«, erzählte er der »New York Times«.29 Bei der Zählung sei man auf hochgerechnet fast anderthalb Millionen Gazellen und Antilopen gekommen, darunter gesunde Populationen der nur hier und in Uganda vorkommenden Weißohr-Moorantilopen. Die Forscher beobachteten aus der Luft Tierherden, die dicht an dicht eine Kolonne von etwa 80 Kilometern Länge und 50 Kilometern Breite bildeten.30 Sogar die hier schon als ausgerottet geltenden Oryx-Antilopen wurden gesichtet, dazu Elefantenherden, Giraffen, Löwen, Leoparden.31 In Lagunen und Seen tummeln sich Krokodile und Flusspferde.32

      Nach den Erfahrungen aus den Bürgerkriegen in Mozambique und Angola, wo Wilderer die Tierpopulationen so gut wie vernichtet hatten, war man mit schlimmsten Ahnungen in den Südsudan gereist.33 Auch im Nordwesten des Südsudan wurde die Tierwelt durch Wilderer extrem in Mitleidenschaft gezogen, ebenso wie im südöstlichen Boma-Nationalpark. Einstmals hier vorkommende riesige Büffel- und Zebraherden wurden ausgelöscht.34 Immer wieder werden auch Berichte bekannt von Dschandschawid, die bis in die Nachbarländer eindringen und dort wegen des Elfenbeins ganze Elefantenherden abschlachten.35 Die Undurchdringlichkeit des Sudd verhinderte offenbar das weitere Vordringen der Wilderer. So wurde der Sumpf zum Schutzschild der Fauna des Südsudans.36

      Die Straßen, die zu den Ölquellen gebaut wurden, durchschneiden die traditionellen Wanderwege der Tiere, geben die Naturschützer 2007 zu bedenken. Was vor den Zerstörungen durch den Krieg wie durch ein Wunder gerettet wurde, droht nun doch noch Opfer zu werden. Dabei hat der Sudd noch eine ganz andere Funktion, die ihn so unersetzlich macht: Hydrologisch ist der Sudd ein riesiger Filter, der die Wasserqualität kontrolliert und normalisiert und wie ein riesiger Schwamm die Strömung des Wassers stabilisiert. Er ist die Hauptwasserquelle für Menschen und Tiere und zudem ein reicher Fischgrund. Die Bewohner des Sudd oder seines Einzugsgebiets gehören vorwiegend zu den Ethnien Dinka, Nuer und Shilluk. Ihre sozioökonomischen und kulturellen Aktivitäten sind völlig abhängig vom typischen Wechsel der Trocken- und Regenzeit im Sudd, durch den die Wiesen für ihre Rinderherden regeneriert werden. Sie kommen zu Beginn der Trockenzeit aus ihren festen Wohnsitzen im Hochland in die Niederungen, um ihr Vieh dort zu weiden und kehren mit Beginn der Regenzeit im Mai oder Juni in ihre Dörfer zurück.37 Einer der Gründe für den erneuten Ausbruch des Bürgerkriegs zwischen Norden und Süden war auch die Absicht, den Sudd durch einen Kanal trockenzulegen, um die Wassermassen des Nil in die nördlichen Regionen fließen zu lassen.38 Damit wären die Menschen im Süden von ihrer Lebensader getrennt worden. Schon 2006 wurde die Erschließung der Ölvorkommen als Bedrohung dieses einzigartigen Ökosystems benannt. Im selben Jahr wurde erstmals Öl industriell gefördert. Hat sich die Gefahr so schnell verwirklicht? Wir werden dem auf den Grund gehen.

      Zunächst tauchen am Straßenrand verrostete Hinweisschilder auf die Ölfelder auf, dann völlig unvermittelt Hochspannungsleitungen. Immer öfter passieren wir mit Stacheldraht umzäunte Ölpumpen. Wir sind mitten in den Ölfeldern von Thar Jath. Und ganz plötzlich, wie aus dem Nichts, erheben sich vor uns sechs rot-weiß geringelte Schlote in den Himmel.

img_4x.jpg

      Sie gehören zu der Raffinerie, die vor ein paar Monaten errichtet wurde und erst vor wenigen Wochen in Betrieb ging. Aus zweien der Schlote steigen dunkle Abgaswolken auf. Blanke Metallflächen an Rohren, Tanks und Gebäuden spiegeln das gleißende Sonnenlicht. Die Anlage ist umzäunt, die Wachtürme an den Ecken wirken einschüchternd.

      Wir fahren an der Anlage vorbei sechseinhalb Kilometer weiter nach Rier. Dort protokollieren wir die mit vielen Bewohnern geführten Gespräche. Dieses Rier ist das neue Rier. Dort, wo das alte lag, befindet sich nun eine Rohölförderanlage. Die 3500 Einwohner wurden 2005 von der nordsudanesischen Regierung gezwungen, von einem Tag auf den anderen ihr Dorf zu verlassen. Nach Angaben der Dorfbewohner kontrollierte der Nordsudan die Gegend bis Anfang des Jahres. Es gab weder Entschädigungen noch Hilfen beim Aufbau des neuen Dorfs.

      Der neue Wohnort mutet eher wie ein Flüchtlingslager an, kaum wie eine gewachsene Heimat. Es wurden hier nicht – wie sonst in dieser Gegend üblich – zuerst die Tukul-Lehmhütten gebaut und dann die Verbindungswege zwischen den verstreuten Behausungen. Hier wurden mit Lineal und rechtem Winkel erst die Straßen gezogen und dann die Verschläge für Menschen entlang dieser Pisten gebaut. Die Vertreibung dieser Menschen ist eine weitere eklatante Missachtung grundlegender Menschenrechte.

      Besonderen Grund zur Klage gibt es wegen der Trinkwasserqualität. Eine Handpumpe soll frisches Grundwasser aus dem Boden fördern. Doch nutzen die Einwohner von Rier dieses Wasser nicht mehr. Sie vermuten, dass das Wasser von den Ölfirmen mit Chemikalien verunreinigt ist. Ein junges Mädchen berichtet: »Das Wasser schmeckt bitter. Wir waschen damit nicht einmal mehr unsere Kleidung, weil es die Farben angreift und die Stoffe zerstört.« Sie bestätigt damit die zahlreichen Aussagen, die unseren Kontaktmann derart beunruhigt haben, dass er sich an uns wandte.

      Am 13. Februar nehmen wir in Rier an dieser Handwasserpumpe unsere erste Wasserprobe. Anschließend fahren wir weiter in das 23 Kilometer von der Raffinerie entfernte Koch. Das Thema Umweltverschmutzung scheint allgegenwärtig. Viele unserer Gesprächspartner, die von Viehsterben und schlechtem Wasser berichten, wollen aus Angst vor Repressalien ihre Namen nicht nennen. »Uns sind alle möglichen Versprechen gemacht worden, Schulen, Straßen, Versorgung. Aber was haben wir davon? Sehen Sie hier irgendwo Schulen? Was wir brauchen, ist gesundes Land und sauberes Wasser, damit wir unsere Herden grasen lassen können«, sagt ein junger Mann.

      Später treffen wir auf den amtierenden Commissioner des Landkreises Koch, Oberst Peter Bol Ruot, der in einem schön ausgebauten Tukul seltsam altmodisch Hof hält. Es ist sehr sauber, aufgeräumt. In der Mitte des Hofes steht ein schattenspendender Akazienbaum. In von der Sonne ausgebleichten Plastikstühlen dürfen wir Platz nehmen. Hinter einem kleinen Tisch steht der Stuhl des Hausherrn. Auf dem Tischchen liegt sein Satellitentelefon – das Statussymbol schlechthin in diesem abgelegen Landstrich. Es ist fast, als erhielten wir eine Audienz.

      Freundlich beantwortet der Commissioner unsere Fragen. Was wir erfahren ist alarmierend. Im Jahr 2006, so erzählt er, seien 27 Erwachsene und drei Kinder gestorben, weil sie mit Chemikalien verseuchtes Wasser getrunken hätten. Derzeit seien bis zu 1000 Menschen krank davon. Zahlreiches Vieh sei verendet, nachdem es verseuchtes Wasser getrunken hätte. Er habe die Klagen aus der Bevölkerung zusammengetragen und sich an das Ölkonsortium gewandt, das Lizenznehmer in diesem Block 5A genannten Fördergebiet sei. In drei Fällen seien Entschädigungen geleistet worden, »ohne Anerkennung eines Verschuldens seitens des Betreibers«, wie ein anderer Behördenvertreter »AFP« gegenüber später anmerkt. Weiter sei nichts geschehen, trotz der vielen Fälle.

      Kurz nach dem Gespräch mit dem Commissioner treffen wir einen Mann,39 der für eine der Ölfirmen arbeitet. Er erzählt freimütig, dass Männer mit Handschuhen und Atemschutzmasken in zuvor ausgehobene Gruben Chemikalienabfälle werfen. Jetzt sei Trockenzeit, aber in der Regenzeit würden diese Gruben geflutet. Wir nehmen sowohl Proben aus dem Brunnen von Koch als auch aus den Sümpfen entlang der Straße von Koch nach Thar Jath um die Raffinerie und weiter südlich aus dem Brunnen der Ortschaft Mirmir und dort aus dem Sumpf. Der geringste Abstand zur vermuteten Quelle der Verunreinigungen – der Raffinerie – sind 600 Meter, der größte 32,7 Kilometer.

      Mit den Proben im Gepäck reisen wir zurück nach Leer und sprechen mit dem dortigen Commissioner. СКАЧАТЬ