Lieber für die Ideale erschossen werden, als für die sogenannte Ehre fallen. Christoph Regulski
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      Broschüre Wilhelm Dittmanns aus dem Jahre 1926

      Nach Gründung zweier deutscher Staaten verlief auch die Geschichtsschreibung auf getrennten Wegen. In der Deutschen Demokratischen Republik wurde der Aufstand der Matrosen als vorbereitende Tat der Novemberrevolution 1918 gewürdigt. Die Studien Bernhards betonen den Wunsch nach Frieden in der Marine und die Nähe zu den Zielen des revolutionären Spartakusbundes50. In seiner Leipziger Dissertation aus dem Jahre 1958 geht Bernhard sehr detailliert auf die Bewegung um Max Reichpietsch und Albin Köbis ein und setzt einen weiteren Schwerpunkt der Arbeit auf die Matrosenbewegung nach den Verhaftungen auf der Prinzregent Luitpold und der Friedrich der Große51. In der Geschichte des ersten Weltkrieges stellen ostdeutsche Historiker die mutigen Leistungen der Matrosen und ihre an sozialistischen Idealen ausgerichteten Forderungen heraus52. Mit dem Buch Rebellion in der Hölle aus dem Jahre 1976 liegt eine sehr anschauliche, literarische Schilderung um die aufbegehrenden Matrosen vor53. Sie basiert auf Tatsachen und zeichnet sich durch ein fundiertes Nachwort, das auch die Familien und Freunde von Köbis und Reichpietsch zu Wort kommen lässt, aus.

      Anders sieht es in der westdeutschen Geschichtsschreibung aus. Der Flottenbewegung haftete aus Sicht der bundesdeutschen Marine das Stigma der »Schande«54 an, was ihr in der Historiografie einen wenig bedeutsamen Platz zuwies. Das Buch Legahns über die Meuterei in der Kaiserlichen Marine stellt die Matrosen als Rechtsbrecher dar, die eine gerechte Strafe erhielten55. In den meisten relevanten Büchern wird die Flottenbewegung nur sehr kurz, fast beiläufig erwähnt56. Die Namen Köbis und Reichpietsch werden oftmals nicht genannt57. Erst mit der Neuveröffentlichung des Buches von Hans Beckers in der Reihe »Verboten und verbrannt« 1986 lag wieder ein zentraler Text über die Marineereignisse des Jahres 1917 vor58.

      Es ist bezeichnend, dass sich mit Daniel Horn ein Historiker aus den Vereinigten Staaten in seinem Buch The German Naval Mutinies of World War I eingehend mit den wieder zugänglichen Quellen des Reichsmarineamtes beschäftigt59. Horn untersucht die Grundlagen und Ereignisse der Flottenbewegung des Sommers 1917 auf breiter Quellengrundlage und ordnet sie in das Gesamtgeschehen des Weltkrieges und der Novemberrevolution ein.

      In der Bundesrepublik werden Max Reichpietsch und Albin Köbis nach 1990 nur vereinzelt in Gesamtdarstellungen des Ersten Weltkrieges und des Kaiserreichs erwähnt60. Ein Eintrag im Großen Brockhaus ist ihnen verwehrt61. Besonders bedauerlich sind die fehlenden Artikel zu Albin Köbis und Max Reichpietsch in dem ansonsten Maßstäbe setzenden Standardwerk Enzyklopädie Erster Weltkrieg62. Dies zeigt umso mehr, dass eine eigene Schrift zu ihren Taten und denen der Soldaten im Sommer 1917 ein Forschungsdesiderat blieb.

      2. DAS FLOTTENBAUPROGRAMM DES DEUTSCHEN REICHS

      Deutschland war nie eine große Seefahrernation63. Der schmale Küstenstreifen an der Nordsee hatte lediglich lokale Bedeutung, die Entwicklungsmöglichkeiten auf der beinahe vollständig eingeschlossenen Ostsee waren äußerst begrenzt. Auch nach dem Regierungsantritt des Preußischen Königs und Deutschen Kaisers Wilhelm II. im Jahr 188864 trug Deutschland dem Rechnung und verzichtete auf den Aufbau einer nennenswerten Flotte65. Kaiser Wilhelm II. befürwortete erst nach 1894 einen massiven Schlachtschiffbau, um Deutschland von einer wichtigen Kontinentalmacht zu einer Weltmacht zu machen66. Durch die Lektüre des 1890 erschienenen Buches The Influence of Sea Power Upon History 1660–1783 des amerikanischen Seeoffiziers und Marineschriftstellers Alfred Thayer Mahan angeregt67, förderte der junge Kaiser massiv alle navalen Bestrebungen des Reiches68. Dieses Standardwerk erlebte 50 Auflagen und wurde in sechs Weltsprachen übersetzt69. Die deutsche Übersetzung durch Vizeadmiral Karl Batsch lag 1896 vor. Die grundlegende Denkschrift Nr. IX von Alfred Tirpitz70 zum Aufbau der Seestreitkräfte vom 16. Juni 1894 geht direkt auf Mahans Überlegungen zurück71. Demnach sollte die deutsche Flotte offensiv ausgerichtet und dem möglichen Gegner um mindestens ein Drittel in der Schlachtstärke überlegen sein72. In der strategischen Überlegung kam der Entscheidungsschlacht zwischen den Flotten ein ganz zentraler Stellenwert zu73. Tirpitz erkannte damit von Anfang an das Schicksal einer deutschen Flotte: Sie müsse den Entscheidungskampf auf offener See suchen oder sie sei zur Untätigkeit und damit zur moralischen Selbstvernichtung verurteilt74.

      Admiral Alfred v. Tirpitz

      Das Dogma der Entscheidungsschlacht vertraten fast alle späteren Admirale wie auch Richard Scheer und Magnus v. Leventzow. Zwei Admiralstabschefs erkannten jedoch noch vor Kriegsbeginn die Gefahren des deutschen Konzeptes. Vizeadmiral Friedrich v. Baudissin und Admiral Max v. Fischel wiesen darauf hin, dass die eigene Strategie nur bei einem Angriff Englands aufgehen könne75. Kapitän zur See Curt von Maltzahn empfahl aus diesem Grund bereits 1898 ein ausgewogenes Defensivkonzept mit Kreuzern. Sein Konzept besaß aber gegen das Tirpitzsche Dogma keine realistische Chance76. In der Tat lag der Fehler des deutschen Entwurfes in der Missachtung zweier Vorbedingungen, die Mahan formulierte. Eine Seemacht benötige zwingend eine günstige geographische Lage, um über einen freien Zugang zum Meer zu verfügen77. Zudem sei es ausgeschlossen, dass eine Nation zugleich See- und Landmacht ersten Ranges sein könne78. Kritische Stimmen wurden in der Literatur bereits in den 1930er Jahren laut, als beispielsweise der Leiter des Marinearchivs Eberhard v. Manthey schrieb, Deutschland habe sich zu sehr in den Flottenbau und dabei auch in den Gedanken der offensiven Kriegsführung verrannt. Sein Mitarbeiter Herbert Rosinski betonte, durch die fixen Vorgaben sei zudem das strategische Denken stark verkümmert79.

      Ein ganz entscheidender Fehler war es, in der eigenen Konzeption die Reaktionen des Gegners, der in diesem Fall nur England sein konnte80, zu vernachlässigen81. Selbstverständlich erkannten die englischen Offiziere die deutsche Strategie einer Entscheidungsschlacht dort, wo die deutsche Marine ihre Kraft voll entfalten konnte, umgehend. Sie wichen deshalb einer Schlacht zwischen Themse und Helgoland82 aus und verfolgten das Konzept einer weiten Absperrung Deutschlands von den Weltmeeren83, indem die englische Flotte den Ärmelkanal und den Zugang um Schottland blockierte84. Damit besaß die deutsche Marine keine Möglichkeit, offensiv gegen England vorzugehen85. Auch wenn diese Strategie den englischen Offizieren, die im offensiven Geist von Trafalgar geschult waren86, wenig Spielraum ließ, befürworteten sie sie unter ganz pragmatischen Gesichtspunkten87.

      Damit war klar, dass die deutschen Schiffe keine großen Aktionsmöglichkeiten besaßen und in ihren Heimathäfen blieben, was zu großen Spannungen an Bord führte88. Es schien sich zu bewahrheiten, was Tirpitz befürchtete: Die Flotte würde an moralischer Selbstvernichtung als Folge der eigenen Untätigkeit zu Grunde gehen89.

      Da diese Bedenken nicht gesehen oder von den Verantwortlichen ausgeblendet wurden, kam es nach 1897/98 zu einem ehrgeizigen und äußerst kostspieligen Flottenbauprogramm. Das erste Flottengesetz von 1898 ermöglichte den Bau von zwei Geschwadern mit je acht Schlachtschiffen. Mit der ersten Flottennovelle des Jahres 1900 beschritt Deutschland den Weg zu einer maritimen Großmacht. Mit vier Geschwadern zu je acht Schlachtschiffen, zwei Flaggschiffen, acht großen und 24 kleinen Kreuzern plus einer Auslandskreuzerflotte rüstete das Kaiserreich massiv auf90. Durch den Bau von Großkampfschiffen mit bis zu 25.000 Bruttoregistertonnen91, den sogenannten »Dreadnoughts«92, stieß England in eine neue Dimension des Schlachtflottenbaues vor93, auf die Deutschland 1906 wiederum reagierte94. Das Kaiserreich baute nun ebenfalls Dreadnoughts und legte drei weitere Schlachtschiffe und sechs große Kreuzer auf Kiel. Deutschland beschleunigte das Tempo 1908 in der dritten Flottennovelle erneut. Von 1908 bis 1912 sollten jährlich vier neue Großkampfschiffe gebaut werden. СКАЧАТЬ