Lieber für die Ideale erschossen werden, als für die sogenannte Ehre fallen. Christoph Regulski
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СКАЧАТЬ Stelle. Kann der Verlauf als gerecht bezeichnet werden? Standen den Angeklagten genügend Möglichkeiten zu einer angemessenen Verteidigung zur Verfügung? Wie erlebten die Angeklagten das Verfahren19? Bei einer Wertung der deutschen Hochseeflottenbewegung wird auch auf die Ereignisse der offenen Rebellion der österreichisch-ungarischen Marine in Cattaro vom Januar 191820 einzugehen sein. Bei diesem Vergleich kann die Frage nach einem »vollendeten Aufstand« schärfer abgegrenzt werden21.

      Um die Matrosenbewegung des Jahres 1917 in ihrer Gesamtheit würdigen zu können, ist es erforderlich, die Entstehung und den Verlauf möglichst genau nachzuzeichnen. Damit ist sehr eng die Frage verbunden, inwieweit sich die Matrosen organisiert hatten und welcher Führung sie sich anvertrauten. Gab es eine zwingende, kontinuierliche Entwicklung von den ersten Essensverweigerungen22 über die vom Marinestaatssekretariat gebilligten Menagekommissionen zu einer Auflehnung gegen die Autoritäten der Marine? Was genau forderten die Matrosen im Juli 1917? Wie weit waren sie bereit zu gehen? Wollten sie die monarchische Staatsform beseitigen? Lag ein lokaler bewaffneter Aufstand im Bereich des Denkbaren? In diesem Zusammenhang ist zu fragen, wie sich die Marineführung gegen die ihr höchst unwillkommenen Entwicklungen zu wehren versuchte und welcher Mittel sie sich dazu bediente.

      Von besonderer Bedeutung wird das Verhältnis der Flottenbewegung zur Politik, und hier ganz besonders zu der erst im Frühjahr 1917 gegründeten USPD23, sein. Gab es Rückendeckung seitens der Partei für die beabsichtigten Proteste? Wollten die Matrosen die Partei stärken, die sich am nachhaltigsten für einen schnellen Friedensschluss aussprach? Wie ist der Einfluss des Spartakusbundes und seiner Schriften auf die Matrosen einzuschätzen?

      Auch nach der Niederschlagung des Aufstandes im Sommer 1917 blieben die Wilhelmshavener Ereignisse ein gewichtiges innenpolitisches Thema, das im Reichstag eingehend diskutiert wurde24. Wie verliefen die Argumentationen der Parteien, und wie stellten sie sich zur politischen Führung? Welche Fehler unterliefen der Regierung, die schließlich dazu führten, dass Reichskanzler Michaelis jedes Vertrauen der Parteien verlor und zurücktreten musste?

      Über das Jahr 1917 hinaus blieb die Auflehnung der Matrosen und die Erschießung von Albin Köbis und Max Reichpietsch bis zur Revolution des Jahres 1918 in steter Erinnerung. Es ist kein Zufall, dass die entscheidenden Impulse zur Beendigung des Deutschen Kaiserreiches von Kiel und Wilhelmshaven ausgingen. Am Schluss der Untersuchung wird daher betrachtet, wie der Marineaufstand von 1917 und seine bedeutendsten Vertreter Albin Köbis und Max Reichpietsch aus der historischen Perspektive eingeordnet werden können.

       Die Quellenlage

      Zu der deutschen Hochseeflottenbewegung des Sommers 1917 sind noch zahlreiche, ganz unterschiedliche archivalische Quellen vorhanden. Die Prozessunterlagen gegen die Matrosen Köbis und Reichpietsch sind nicht mehr erhalten25. Wichtige Aussagen von Max Reichpietsch, Albin Köbis und Hans Beckers finden sich im Nachlass Alfred v. Tirpitz’26. Die dort gemachten Angaben werden aber durch die Berichte von Willi Sachse27 und Hans Beckers über die Praktiken der Justiz relativiert. Zu sehr sind den Angeklagten Unwahrheiten und belastende Behauptungen in die Protokolle diktiert worden, als dass sich anhand dieser Akten ein getreues Bild der Vorgänge hätte gewinnen lassen28. Willi Weber sagte 1927 ausdrücklich, »daß das, was in den Akten steht, für mich nicht beweiskräftig ist.«29 Bemerkenswert ist, dass diese Einsicht von einzelnen Abgeordneten des Untersuchungsausschusses geteilt wurde30.

      Als wichtige Akten sind die Unterlagen des Marinestaatssekretariats erhalten und der Forschung im Bundesarchiv in Freiburg im Breisgau zugänglich31. Insbesondere die Akte RM 47-140 beinhaltet ganz zentrale Dokumente, die über Entstehung und Verlauf der Matrosenbewegung Auskunft geben und die Beziehungen zwischen den Matrosen und der USPD thematisieren32. Die ebenfalls dort verwahrten Nachlässe Eduard von Capelles und Reinhard Scheers enthalten jedoch keine relevanten Aufzeichnungen33.

      Im Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde befinden sich je eine Akte des Reichsamtes des Innern »betreffend Umtriebe in der Marine« und der Reichskanzlei über »Parteien/Sozialdemokratie«34 sowie bedeutende Berichte der am Aufstand beteiligten Matrosen35. Anhand ihrer Erinnerungen können Details nachgezeichnet und Einschätzungen verglichen werden.

      Neben den archivalischen gibt es eine große Anzahl bereits edierter Quellen, die die Ereignisse von 1917 und das Umfeld erhellen. Hier steht an erster Stelle das Werk des Untersuchungsausschusses der Verfassunggebenden Nationalversammlung mit den für das Thema relevanten Bänden neun und zehn, die jeweils in zwei Halbbänden vorliegen. In dieser groß angelegten Ausgabe finden sich Zeugenaussagen der an den Geschehnissen Beteiligten36 ebenso wie Gutachten zu einzelnen Aspekten der Hochseeflottenbewegung37.

      Das von der Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien 1970 herausgegebene Werk Militär und Innenpolitik ist mit seinen zahlreichen Quellen bedeutend für die Vorgänge auf den Schiffen und ihre Auswirkungen auf die Politik in Berlin38. Auch die in den 1950er Jahren erschienenen Bände Dokumente und Materialien zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung39 weisen ebenso wie die Bücher der Reihe Ursachen und Folgen40 viele wertvolle Quellen aus. Eine wichtige, bislang weitgehend unbeachtete Quelle ist der Band Der Dolchstoß-Prozeß aus dem Jahr 192541. In diesem Buch finden sich zahlreiche Aussagen der vereidigten Zeugen des Prozesses zu den Unruhen in der Marine 1917. Für die Flugblätter und Broschüren der revolutionären Spartakusgruppe liegt mit der Ausgabe Spartakusbriefe aus dem Jahre 1958 eine verlässliche Edition vor. Wertvolle Dokumente zur Rolle der Hochseeflotte im Ersten Weltkrieg finden sich auch bei Tirpitz42, wenngleich der Autor bei seiner Auswahl in Hinblick auf seine vormals herausragende Stellung sehr selektiv verfahren ist. Von großer Bedeutung ist auch, in welchen zentralen Quellen und vermeintlichen Fundstellen nichts über die Marinebewegung zu entdecken ist. So verwundert es, dass in dem Protokoll des SPD-Parteitages in Würzburg vom 14. bis 17. Oktober 1917 die Marinebewegung und die zum Kanzlerwechsel führende Reichstagsdebatte vom 9. Oktober nicht erwähnt werden43.

      Insgesamt kann die Quellenlage als günstig bezeichnet werden und befördert das Vorhaben, seit sehr langer Zeit wieder ein Buch über Albin Köbis und Max Reichpietsch und die Proteste der Matrosen im Sommer 1917 zu schreiben.

       Stand der Forschung

      Die Erforschung der Matrosenbewegung vom Sommer 1917 ist eng mit der deutschen Geschichte verknüpft. In der Weimarer Republik erlebte die Erforschung der Marineunruhen einen ersten Höhepunkt. Neben der bereits erwähnten Veröffentlichung der Bände des Untersuchungsausschusses zur Verfassunggebenden Nationalversammlung, die eine Reihe von Gutachten enthalten44, bildete sich eine breit gefächerte Literatur heraus. Von dem ehemaligen USPD-Abgeordneten Wilhelm Dittmann stammt die Schrift Die Marine-Justizmorde von 1917 und die Admirals-Rebellion von 191845.

      Der Titel macht bereits deutlich, wie Dittmann die Todesurteile der Justiz bewertete. Für ihn handelte es sich um Mord und somit um vorsätzliche Tötung der Matrosen, die keinerlei Chance in einem Schauprozess besaßen46. Dem steht die Schrift War es die Marine?47 gegenüber, in der weitgehend monarchistisch eingestellte ehemalige Soldaten48 die Schuld bei den Matrosen suchen und sie für ihr Schicksal verantwortlich machen. Qualitativ ist sie der sehr fundierten Analyse Dittmanns unterlegen. In der Tendenz steht ihr die Untersuchung von Neu nahe, die sich aber auf die 1930 bereits veröffentlichten Quellen und Schriften bezieht49. Während des Nationalsozialismus erschien keine Schrift über die Ereignisse in der Flotte. Allerdings durfte Willi Richard Sachse sein Erinnerungswerk Rost an Schiff und Mann veröffentlichen, in dem er sich eindeutig von den Vorgängen auf den Schiffen distanzierte.

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