Название: Gustaf Gründgens
Автор: Thomas Blubacher
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
isbn: 9783894877422
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Gustaf Gründgens und Erika Mann
© Monacensia. Literaturarchiv und Bibliothek München
Die 14tägige Hochzeitsreise führt das Ehepaar Gründgens am nächsten Morgen nach Friedrichshafen ins mondäne Kurgartenhotel, 1910 als Renommierprojekt der Luftschiffbau Zeppelin GmbH errichtet. »Nun sitzen wir beiden Glücklichen hier am Bodensee in einem traumhaft schönen Hotel mit Zimmer direkt aufs Wasser. Und werden sehr verwöhnt und haben uns sehr lieb«, berichtet Gründgens seinen Eltern – und bittet sie wie schon so oft um Geld, diesmal um 150 Mark: »Es wäre auch bestimmt das allerletzte, was ich noch von Euch brauchte.«7 Erika Gründgens hingegen teilt Pamela Wedekind mit, daß »groß und klein« im Hotel die jungen Eheleute »frivol« behandeln zu müssen meine, »da niemand und der Klügste nicht, den Ehestand uns glauben kann«. Ohnehin vermisse sie ihre Freundin, die sie »eben doch über die Maßen liebe«8 – und mit der sie noch einen Monat zuvor im selben Hotel abgestiegen war, in der Kurliste aufgeführt als die Schauspielerin Erika Mann und Herr Wedekind aus München. So bleiben die Flitterwöchner nur die erste Woche alleine, dann treffen die von Erika sehnlichst erwartete Pamela und Klaus Mann, der sein Kommen schon länger angekündigt hatte, in Friedrichshafen ein. Ergänzt wird dieses seltsame Quartett (das zwischenzeitlich auch noch von Klaus’ und Erikas jüngerem Bruder Golo besucht wird) durch Hermann Kleinhuber9, den die vier zufällig kennenlernen, als der Amateur-Leichtathlet einige Runden auf dem Sportplatz des VfB Friedrichshafen zieht, und ins Kurgartenhotel einladen – und dem sie bei der Abreise Hans Carossas RUMÄNISCHES TAGEBUCH schenken, »zur Erinnerung an Gustaf Gründgens, Erika Mann, Klaus Mann«10, so die Widmung vom 10. August 1926. Gründgens findet an dem gutaussehenden, mit seinem dunklen Haar fast südländisch wirkenden, bisexuellen jungen Mann Gefallen und freundet sich mit Kleinhuber an: Die beiden treffen sich 1928 in München, fahren nach Innsbruck und von dort im Paddelboot über Kufstein nach Rosenheim, verbringen 1930 gemeinsam Ferien am Lago Maggiore und sehen sich in den 30er Jahren regelmäßig in Berlin, als Kleinhuber dort an der Handelshochschule studiert.
Gleich nach dieser etwas merkwürdigen Hochzeitsreise eilt Gründgens, welcher längst als »einer der interessantesten Schauspieler Hamburgs« gilt, »der zweifellos noch eine große Zukunft hat«11, zurück an die Kammerspiele, wo am 1. September seine Inszenierung von Frank Wedekinds FRÜHLINGS ERWACHEN Premiere hat; er selbst gibt darin den Moritz Stiefel, Victor de Kowa den Melchior Gabor, Ruth Hellberg die Wendla. Dreieinhalb Wochen später steht Gründgens als Weißgardist Sawin in Alfons Paquets STURMFLUT auf der Bühne, inszeniert von Erwin Piscator. Diese Zusammenarbeit zwischen dem Avantgardisten des politisch-dokumentarischen Theaters und Gründgens wird indes ebenso einmalig wie folgenlos bleiben. Piscator hatte das Stück über die Revolution in St. Petersburg im Februar an der technisch wesentlich besser ausgestatteten Berliner Volksbühne uraufgeführt, mit Filmprojektionen als integralem Bestandteil der Inszenierung. Nun werden die Kammerspiele durch die Kosten, die der von Piscator verlangte Einbau eines Projektionsapparates verursacht, wieder einmal an den Rand des finanziellen Zusammenbruchs getrieben.
»Daß wir links waren, das war ja klar, das waren wir alle«12, wird sich Ruth Hellberg erinnern, andere Zeitzeugen werden Gründgens indessen als apolitisch charakterisieren, Klaus Mann ihn hingegen in seinem Roman MEPHISTO als Salonkommunisten porträtieren. Paquets Paraphrase über die Russische Revolution ist nur eines aus einer ganzen Reihe von Werken, deren Ankündigung durch Gründgens im Juli für Aufsehen in Hamburg gesorgt hatte: »Gustaf Gründgens, der Spielleiter der Hamburger Kammerspiele, wird im Winter unter dem Titel REVOLUTIONÄRES THEATER eine Reihe von Vorstellungen an Sonntagvormittagen in den Hamburger Kammerspielen veranstalten, an denen neben ersten Darstellern sämtlicher Hamburger Theater auch Mitglieder der Arbeiter- und Jugendverbände mitwirken werden. Es werden nur solche Dichter aller Nationen zu Wort kommen, deren Schaffen – im strengen Gegensatz zu der tendenzlosen Gleichgültigkeit des bürgerlichen Theaters – den Forderungen unserer Zeit entspricht, die zu dem heutigen Unterhaltungstheater keine Beziehung mehr hat. Die erste Vorstellung wird am 19. September Tollers MASSE MENSCH sein. Die Reihe der Aufführungen wird u.a. mit Werken von Paquet, Rolland, einer modernen Bühnenbearbeitung des Büchnerschen DANTON und einer politischen Revue fortgesetzt.«13 Außer dem Stück Paquets kommt jedoch keine weitere Aufführung zustande, DANTONS TOD wird auf die kommende Spielzeit verschoben.
Gründgens führt statt dessen Regie bei Oscar Wildes Komödie BUNBURY mit sich selbst in der Rolle des Algernon Moncrieff, der als Ausrede für ausgedehnte Aufenthalte auf dem Land einen Freund namens Bunbury erfindet, und bei George Bernard Shaws Komödie ANDROCLUS UND DER LÖWE mit seiner Frau Erika als Lavinia. Als nicht sie, sondern Ruth Hellberg die erhoffte Titelrolle in Schillers Bearbeitung von Carlo Gozzis TURANDOT erhält, lehnt Erika Mann die ihr zugedachte Nebenrolle leichtfertig ab und entschwindet in den Skiurlaub. Gründgens, dessen hohem Berufsethos solche Kapricen zutiefst zuwider sind, bleibt selbstredend in Hamburg und spielt unter der Gastregie Renato Mordos den Prinzen Kalaf, »jeder Satz eine schwärmerische Arabeske«14. Die Ehe zwischen Gründgens und Erika Mann beginnt zu kriseln. Kurz darauf macht Gründgens die Jacques-Offenbach-Operette ORPHEUS IN DER UNTERWELT zu einem enormen Publikumserfolg, der das Theater zumindest kurzfristig saniert. Die musikalische Leitung obliegt Karl Salomon (der in der Emigration als Karel Salmon am Aufbau des Musiklebens Palästinas mitwirkt), sämtliche Rollen sind mit Schauspielern besetzt: Erika Mann reüssiert als Polyhymnia, die Muse der Musik, die in Gründgens’ Bearbeitung die »öffentliche Meinung« des Originals ersetzt, Paul Kemp gibt den Orpheus, seine Gattin Eurydike ist Grete Walter, die Tochter des berühmten Dirigenten Bruno Walter – 1939 wird sie von ihrem Ehemann, dem Filmproduzenten Robert Neppach, erschossen. СКАЧАТЬ