Mars. Asja Bakić
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Название: Mars

Автор: Asja Bakić

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: kurze form kf

isbn: 9783957324887

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СКАЧАТЬ Über mir verbreitete sich das Schwarz. Ich konnte nicht erkennen, wo genau ich gerade war. Als wäre ich aus der Tiefe aufgetaucht.

      »Wo sind wir?«, fragte ich die Person neben mir. Ich konnte ihr Gesicht in der Dunkelheit nicht erkennen.

      »Ich glaube, dass wir in Montenegro sind«, sagte eine Frauenstimme.

      Mein Kopf tauchte auf, ich sah mich um. Ich war noch nie in Montenegro.

      »Der Durmitor«, rief jemand.

      Ich befand mich im Wasser. Ich sah Tristessa.

      »Wo sind wir aufgetaucht?«

      »Im Teufelssee«, sagte sie und lachte.

      Über uns schien der Vollmond. Ich sah mein Spiegelbild auf der Oberfläche des Sees. Natürlich war ich ein Zombie. Niemand kehrt unversehrt aus dem Reich der Toten zurück.

      »Du hast mich nicht gewarnt«, sagte ich zu Tristessa.

      »Was meinst du, warum Zombies Menschenhirne essen?«, fragte sie. »Sicher nicht deshalb, weil sie, als sie am Leben waren, Genitalien und Füße am meisten schätzten.«

      Sie hatte selbstverständlich recht. Der große Ansturm der Schriftsteller auf das menschliche Gehirn begann. Alle beeilten sich, aus dem Wasser zu kommen. Irgendwo vor mir erblickte ich Njegoš.

      Ihm steht sicher die Ehre zu, als erster zuzubeißen, dachte ich enttäuscht.

      Auch Zombies halten sich leider an irgendeine Ordnung und beachten die Hierarchie. Ich wollte die Hand zur Faust ballen, aber es ging nicht. Jenes Lasso hielt mich auch weiterhin fest. Wer am Seil zog, wer mich zu einem fremden Gehirn leitete – ich erfuhr es nicht.

       DER VERGRABENE SCHATZ

      1.

      Der Tote blieb liegen. Morgen käme jemand vom städtischen Dienst, um ihn abzuholen. In der Zwischenzeit versuchte man, seine Witwe, eine Frau, die an langjährigem Tablettenmissbrauch litt, zu beruhigen, man gab es aber bald auf – normale Dosen der Beruhigungsmittel wirkten nicht: Sie krümmte sich auf der Couch, sichtbar aufgebracht.

      »Gebt ihr eine höhere Dosis«, sagte der Arzt.

      Die Schwester las zwischen den Zeilen und gab ihr eine ganze Handvoll Tabletten. Die Witwe verlangte, dass man sie ins Bett bringe, gleich neben den Verstorbenen: Ihr Gefühl sagte ihr, dass der Mann neben ihr lebt. Die Enkel rannten aus dem Zimmer hinaus und wieder herein, ohne sich um die Oma zu kümmern – nur manchmal blieben sie stehen, um die Leiche zu berühren.

      »Vielleicht lebt er wirklich noch«, sagte die älteste Enkelin.

      Aus dem Nachttopf, der unter dem Bett stand, verdunstete der Urin des Verstorbenen und verbreitete einen beißenden Geruch.

      Die Älteren trauerten jeder auf seine eigene Art, aber die Kinder hatten nicht allzu viel Zeit für Trauer, da sie im Begriff waren, ihre Sexualität zu entdecken, was ihre Eltern – hätten sie es gewusst – mehr getroffen hätte als Großvaters Tod.

      Den Kindern war es egal, dass Großvater nur Dinge hinterlassen hatte, die für Erwachsene bestimmt waren, da man sie immer in etwas Nützliches verwandeln konnte: Aus den Büchern wurden Treppen für Puppen gebaut, die Medaillen wurden zu Glasuntersetzern, und am interessantesten war das Schicksal einiger Bleistifte aus Holz, die Großvater in einer Schublade aufbewahrte. Kurz nach Großvaters Tod erwischte die älteste Enkelin ihre Cousine dabei, wie sie hinter einem Sessel hockend mit einem der Bleistifte ihr eigenes Genital erforschte. Obwohl sie nicht überrascht war, entschied sie, dass diese Bleistifte – und zwar alle – nicht mehr zum Schreiben und Zeichnen dienen konnten, vielleicht hatte die Cousine ja nicht nur den einen, sondern alle Bleistifte für ihr privates Vergnügen benutzt. So landete also ein Teil von Großvaters Erbe im Müll. Die Eltern waren jedoch nicht einverstanden, sie forderten, dass die Bleistifte wieder aus dem Mülleimer herausgeholt und weiter benutzt werden sollten, da sie glaubten, dass die Mädchen sie aus lauter Übermut weggeworfen hatten. Die Kinder sagten nichts dazu, nicht einmal, als einer der Erwachsenen nervös an der Spitze eines der Bleistifte knabberte, während er einen wichtigen Brief verfasste.

      Die Großmutter erholte sich nur langsam, doch bald kehrte sie zu ihren alten Gewohnheiten zurück. Sie versteckte weiterhin diverse Tabletten im Wäscheschrank, schob heimlich Nahrungsmittel unter die Wintermäntel und erlaubte den Kindern, »Twin Peaks« zu sehen, obwohl die Eltern es ausdrücklich verboten hatten.

      Im schnellen Vorwärtsspulen ihrer Kindheit erkannten die Enkel, dass die herabhängenden Hoden des Großvaters, die aus dem Hosenbein der kurzen Shorts herausspähten, nicht das Lustigste waren, das sie in ihrem Leben sehen würden, da einige Etagen unter der Wohnung der Großeltern Nataša lebte, ein Mädchen, deren Vater ein großer Verehrer japanischer Pornografie war. Einige Stunden beim gemeinsamen Spielen in ihrer Wohnung hatten genügt, um Großvaters Schande vergessen zu machen.

      Natašas Vater sammelte erotische Comics und Zeitschriften, und Nataša hatte auch ein kleines Schaukelpferd, auf dem die Kinder abwechselnd schaukelten, eine Art Simulation der sexuellen Handlungen der Erwachsenen. Sehr bald schon wurden sie erwischt, und die gesamte Kollektion der pornografischen Zeitschriften und Comics landete auf dem leeren Parkplatz, dort hingeworfen, als hätte man den Armen ein Bündel Geldnoten von einem Luxusbalkon zugeworfen. Natašas Mutter beendete mit dieser Geste einen recht angenehmen Frühling, danach gab es keine Rückkehr mehr. Die Kinder hatten merkwürdige Dinge gesehen, »Twin Peaks« war dagegen Pipifax. Sie wurden empfindsam gegenüber Geheimnissen. Alles, was verborgen war, wollten sie fortan erforschen und kennenlernen. Sie ertrugen die Lügen der Erwachsenen nicht, obwohl sie selbst häufig und völlig ohne Grund logen, das Wichtigste aber war – sie blieben naiv. Wäre es nicht so gewesen, wäre das, was sich in den folgenden Ferien abspielte, nicht möglich gewesen.

      2.

      Als Oma endlich aufgehört hatte, Opa zu beweinen und Abfall und Tabletten überall im Haus zu horten, fuhren die Kinder zusammen mit ihr und mit ihrem Onkel nach Smoluća, jenem Dorf, in dem die Großmutter geboren und aufgewachsen war, um dort die Sommerferien zu verbringen. Nach ihrer Ankunft wechselte der Onkel sogleich vom Fahrersitz auf die Bank unter einem Walnussbaum, öffnete eine Flasche Bier und betrachtete die Wiese vor dem benachbarten Ferienhaus. Die Kinder umkreisten ihn, drei Mädchen, die alles wissen wollten. Der Onkel trank in großen Schlucken.

      »Willst du später in dem Fass baden?«, fragten die Kinder.

      »Natürlich«, sagte der Onkel.

      Am selben Tag sollten Verwandte in das benachbarte Ferienhaus einziehen. Sobald sie einträfen, würden alle auf die Bäume klettern und sich gegenseitig mit unreifen Früchten, zumeist Pflaumen, bewerfen. Der Onkel würde ihnen helfen, sich dünne, gezwirbelte Schnurrbärte ins Gesicht zu malen. Sie würden Maiskolben von dem benachbarten Feld klauen und den Dorfkindern dafür die Schuld in die Schuhe schieben. Die älteste Cousine würde vermutlich zu viel unreifes Obst und Mais essen und anschließend – wie im letzten Jahr – zwei Stunden auf dem Plumpsklo verbringen. Die anderen Kinder würden lachen und ihr angewidert neue Rollen Toilettenpapier anreichen. Alles wäre wie immer.

      »Der Brunnen ist ausgetrocknet«, hörten sie die Großmutter vom Fuß des Hügels rufen. »Es gibt keinen Tropfen Wasser.«

      Der Onkel trank weiter sein СКАЧАТЬ