Mars. Asja Bakić
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Название: Mars

Автор: Asja Bakić

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: kurze form kf

isbn: 9783957324887

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СКАЧАТЬ sechs Jahre alt war, fiel ich von der Küchenanrichte auf meinen rechten Arm und brach ihn mir. In der Notaufnahme setzte ich mich neben ein Mädchen, deren Fuß bandagiert war. Sie erzählte, dass sie mit einer Axt gespielt habe und dass die Schneide ihr direkt auf den Fuß gefallen sei. Nie mehr beklagte ich mich danach, dass mir etwas wehtat. Der Schmerz wurde überflüssig. Er war anderen vorbehalten.

      Ich kann mich auch gut an die Wohnung erinnern, in der ich aufwuchs – es war eine Zweizimmerwohnung auf der dreizehnten Etage. Der Lift funktionierte nie, und ich ging immer zu Fuß. Ich teilte das Zimmer mit meiner Schwester, mit der ich eine Zeit lang nicht sprach, da sie mein Schreiben als widerlich bezeichnet hatte. Damals verletzte mich das sehr, doch sie hatte recht. Mein Schreiben war tatsächlich widerlich. Ich war außerdem ein ungehorsames Kind und bin auch so geblieben: unartig.

      Wenn meine Familie schlief, ging ich auf den Balkon und beobachtete den Parkplatz, ich stellte mir morbide Dinge vor: wie ein schwarzer Bulli kleine Kinder in eine unbekannte Richtung entführt. Ich redete mir ein, dass man auch mich bald abholen würde. Widerliche Dinge erregten mich, aber ich habe nie meinen eigenen Popel gegessen. Das fand ich abstoßend. Wenn ich ein Kind sah, das seinen eigenen Popel in den Mund schob, schlug ich ihm jedes Mal auf den Hinterkopf.

      In der ersten Klasse, daran kann ich mich sehr gut erinnern, machten wir eine Klassenfahrt auf den Berg Ozren. Am Abend lagen wir in totaler Dunkelheit. Ich entsinne mich nicht, wie viele wir in dem Zimmer waren, alle Mädchen begannen allerdings unisono nach der Lehrerin zu rufen, als ich, kurz bevor wir einschlafen sollten, Horrorgeschichten über Hexen und Monster erzählte. Schaut, die Frau, die dort im Fenster hockt, sagte ich. Andere Kinder sind ängstlich, das vergaß ich häufig. Ich hatte nur vorm Zahnarzt Angst, aber auch das ging schnell vorbei. Vom Ozren kam ich wie ausgewechselt nach Hause, als ein Kind, das nicht mehr beabsichtigt, mit dem Erzählen aufzuhören. Meine Familie bezeichnete mich als Philosophin. Ich wedelte ständig mit den Armen und gestikulierte wild. Poesie schrieb ich mit einem Zimmermannsstift. Ich war wirklich besonders. Ich war anders.

      »Ich habe nicht den Eindruck, dass du so anders bist«, sagte Zubrovka.

      Sie beugte sich über meine Geschichte, tippte mit dem Finger auf das Wort »besonders«.

      »Das ist nur eine Geschichte«, sagte ich.

      »Ich weiß, ich wollte nur sagen, dass du dir nicht allzu viel einbilden sollst. Du bist nicht die erste, die an diesem Tisch sitzt und schreibt.«

      »Genau an diesem Tisch?«

      »Genau an diesem Tisch, ja«, sagte Tristessa, die auf der anderen Seite stand.

      »Wie viele Menschen genau saßen vor mir an diesem Tisch?«, fragte ich.

      »Das können wir dir nicht sagen, das ist vertraulich.«

      Ich war verwirrt: Wenn ich selbst einen solchen Tod zusammengeträumt habe, wie war es möglich, dass ich von etwas geträumt habe, wovon vor mir schon andere geträumt hatten?

      »Ich verstehe das nicht«, sagte ich, »ihr habt von Kartoffeln in der Erde oder irgendetwas anderem gesprochen, aber in Wirklichkeit geht es um Kartoffel in der Erde oder das hier?«

      »Ist das hier die Hölle oder das Paradies?«, fügte ich hinzu.

      Zubrovka und Tristessa sahen sich bedeutungsvoll an.

      »Je nachdem, um wen es sich handelt«, sagten sie. »Für die Menschen, die nicht schreiben können, ist das hier die Hölle, für die, die es mögen und beherrschen, ist es das Paradies.«

      »Damit bin ich nicht einverstanden.«

      Ich stand auf und zerknüllte die Geschichte.

      »Ich will zurück in die Erde.«

      »Unmöglich«, antwortete Tristessa, »zuerst die Geschichten, dann kannst du weiter.«

      »Dieses ›weiter‹, was heißt das genau?«, fragte ich nervös.

      »Das können wir dir nicht sagen, es ist vertraulich«, sagten sie gleichzeitig.

      Ich begann, um den Tisch zu laufen. Tristessa versuchte, mich zu berühren.

      »Fass mich nicht an! Wag es nicht!«, rief ich.

      Die beiden gingen rückwärts zur Tür. Sie ließen mich nicht aus den Augen. Als sie fort waren, glättete ich das zerknüllte Papier und schrieb den Anfang der Geschichte auf ein anderes Blatt ab. Man musste weitermachen, man musste den Tod zu Ende bringen.

      Eigentlich war ich nicht besonders. Ich hatte einen bemerkenswerten Charakter, aber einen bemerkenswerten Charakter haben auch viele andere. Ich bin nicht die Einzige. Bevor ich diesen Gedanken fortsetzte, hielt ich inne. Die zweite Phase quälte mich. Es klang so, als planten die Sekretärinnen, eine Bank zu überfallen oder die Regierung zu stürzen, und ich solle ihnen dabei helfen. Ich lachte über mich selbst und schrieb: Schreiben ist kein Sprengstoff, es kann keinen Safe, keine Wand und keinen Keller hochgehen lassen.

      Da irrst du dich, ich stellte mir vor, wie Tristessa mich korrigierte. Wir haben dir gesagt ein Dutzend Geschichten, weil wir eine ausreichende Anzahl von Geschichten brauchen, damit wir ein Feuerwerk machen können.

      »Ich will mich nicht an illegalen Vorgängen beteiligen«, erwiderte ich, als würde ich mich tatsächlich mit Tristessa unterhalten.

      Du Dummkopf, rief sie, und an diesem Punkt endete unser imaginärer Streit.

      Ich schrieb weiter.

      Nach einem Unfall lebte mein Onkel eine Zeit lang bei uns. Mama pflegte ihn. Er schlief einige Monate lang in unserem Wohnzimmer. Manchmal sah ich in der Nacht direkt an seinem Kopfende stehend Pornofilme und lachte mich tot. Ich wusste, dass er mich nicht hörte. Er hatte eine gute Ausrede, er war krank. Die anderen Familienmitglieder waren gesund, aber sie beachteten mich trotzdem nicht. Von allen Kindern in der Schule war ich am unsichtbarsten. Zumindest schien es so. Ich ging allein in die Schule. Und ich kehrte allein nach Hause zurück. Ich hatte keine Freunde, nur den großen Wunsch, alles zu wissen.

      Ich hatte aber einen imaginären Freund – das Einhorn Sebastian, das ich nur erwähnte, wenn ich hohes Fieber hatte. Deshalb lehnte ich es ab, ins Krankenhaus zu gehen, da ich einmal den falschen Leuten von meinem Einhorn erzählt hatte. Sie dachten, dass ich verrückt bin. Meine Schwester rettete mich im letzten Moment, wir flüchteten gemeinsam aus dem Krankenhauszimmer.

      »Wenn es euch Sonderlinge nicht gäbe«, hatte Zubrovka gesagt, als wir uns kennenlernten, »wäre jeder Tod eine Kartoffel.«

      Ich bekam Rückenschmerzen, ich musste mir die Füße vertreten. Ich ging hinaus in den Flur und blieb vor dem Zimmer stehen, in das ich gehen wollte. Ich hörte das Kichern von Tristessa und Zubrovka nicht, deshalb nahm ich an, dass sie irgendwohin ausgegangen waren. Ich griff wieder nach der Türklinke: verschlossen. Ich brach das Schloss auf – ich weiß nicht, woher ich den Mut nahm. Ich trat einige Male mit dem Fuß gegen die Tür, und ich schaffte es, einzubrechen.

      Das Zimmer stand voller Kartons. Sie waren aufeinandergestapelt bis zur Decke. In der Mitte des Zimmers stand ein kleiner Tisch mit zwei Stühlen und eine kleine Lampe. Ich nahm an, dass hier die beiden Sekretärinnen saßen. Ich öffnete eine beliebige Kiste und sah, dass sie vollgepackt mit Manuskripten war.

      »Was machst du da?«, hörte ich die wütende Stimme von Zubrovka.

      »Die СКАЧАТЬ