Название: Verloren im Cyberspace
Автор: Joachim Köhler
Издательство: Bookwire
Жанр: Изобразительное искусство, фотография
isbn: 9783374067602
isbn:
15. Kapitel: Fackeln der Freiheit
Die Wiederkehr des Wohlfühltraums
19. Kapitel: Öffentliche Körper
20. Kapitel: Von der Gelassenheit
Einleitung
Vom Verschwinden des Menschen
»Wie das Schicksal der Gorillas
heute stärker von uns Menschen
abhängt als von den Gorillas selbst,
so hängt das Schicksal unserer
Spezies von den Handlungen der
maschinellen Superintelligenz ab«.6
Nick Bostrom, 2014
Die Cyberwelt ist eine Sphinx. Sie zeigt der Welt ihr schönes Menschengesicht, doch ihren Raubtierkörper verbirgt sie. Scheinbar allwissend, bleibt sie doch undurchsichtig und unberechenbar. Aber sie kann einem jede Frage beantworten und jedes Rätsel lösen. Im antiken Mythos war es die Sphinx, die dem Menschen Rätsel vorlegte. Konnte er sie nicht lösen, brachte sie ihn um.
Irgendwann bringt der Cyberspace jeden zur Verzweiflung. Von den technischen Problemen ganz zu schweigen. Man schmeichelt sich, mit dieser Wunscherfüllungsmaschine anstellen zu können, was immer man will. Aber irgendwann muss man sich doch eingestehen, dass sie es ist, die mit einem anstellt, was sie will. Und keiner weiß, wer sich hinter dieser »sie« verbirgt.
Die Machtübernahme dieser Technologie begann mit Elektronengehirnen, groß wie Wohnzimmer, die man in den 1950er Jahren als Gipfel menschlichen Erfindungsgeistes anstaunte. Ein halbes Jahrhundert später sind sie zu winzigen Smartphones geschrumpft, die die Fähigkeiten der Wohnzimmerschränke um unvorstellbare Dimensionen erweitern. So verfügt ein gewöhnliches iPhone heute über die 100.000fache Rechenleistung, mit der die Nasa-Computer 1969 die Apollo-Kapsel auf den Mond steuerten.
Da man die Smartphones immer bei sich trägt, verwandeln sie einen selbst in ein menschliches Elektronengehirn. Das »mobile Endgerät«, das einem die Denkarbeit abnimmt, denkt schneller und weiß mehr, unendlich mehr, als irgendein einzelner Mensch. Rund um die Uhr steht die Taschensphinx mit dem spiegelglatten Gesicht bereit, uns alle Rätsel und endlich das Rätsel des Lebens selbst zu lösen.
Zukunftsforscher wie Nick Bostrom haben auf das Rätsel Mensch eine eigene Antwort gegeben: Der moderne Computer mit seiner maximalen Leistung auf minimalem Raum, so seine Prognose, stellt nur den Anfang einer Entwicklung dar. Dank ihrer wird sich der Cyberspace, der aller menschlichen Intelligenz überlegen ist, auch von der Intelligenz seiner Erfinder emanzipieren. Vielleicht schon bald dürfte eine »Superintelligenz« entstehen, die sich, ganz ohne menschliches Zutun, selbst weiterentwickelt und in Eigenregie die Kontrolle über das Ganze übernimmt. In ihrer »Allmacht«, so Bostrom, »könnte sie sogar auf eine Weise ins Gefüge der Welt eingreifen, die den Gesetzen der Physik widerspricht«7. Zeichen und Wunder nicht ausgeschlossen.
Dank freundlicher Patronage durch die Superintelligenz weiß und kann der Mensch, der nach dem Menschen kommt, viel mehr und genießt auch viel intensiver als seine Vorfahren. Aber er hat nichts mehr zu sagen. Schon heute bekommt man einen Vorgeschmack auf diese digitale Deklassierung, wenn man ratlos vor einem Fahrkartenautomaten oder Bankcomputer steht oder einen neuen Laptop in Betrieb nehmen oder das jeweils neueste Elster-Formular ausfüllen möchte. Der Mensch, der dank Computern alles zu können scheint, lernt durch sie und die überall lauernden Automaten, dass er eigentlich nichts kann. Und dass er sich das, was ihm Arbeit ersparen soll, erst mühsam erarbeiten muss.
Die posthumanen Menschen, deren Intelligenz sich einer superintelligenten Maschine unterworfen hat, wurden schon vor über hundert Jahren beschrieben. Der englische Schriftsteller E. M. Forster hatte damals eine erstaunliche Zukunftsvision, die über alles hinausging, was zu seiner Zeit für möglich gehalten wurde. In seiner Kurzgeschichte »Die Maschine bleibt stehen« (»The Machine Stops«) ist der nachmenschliche Mensch immer noch Mensch, aber er handelt nicht mehr menschlich. Er fühlt auch nicht mehr menschlich. СКАЧАТЬ