Verloren im Cyberspace. Joachim Köhler
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Название: Verloren im Cyberspace

Автор: Joachim Köhler

Издательство: Bookwire

Жанр: Изобразительное искусство, фотография

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isbn: 9783374067602

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СКАЧАТЬ auf das Wagnis (Venture) der Computertechnik einließen und die benötigten Gelder zuschossen. Ihre generösen Besitzer nennt man noch heute ehrfurchtsvoll Business Angels, sozusagen die geflügelten Boten des Unternehmer-Gottes Mammon. Wer damals Tausende investierte, hat heute Milliarden. Mit der neuen Computergeneration waren mechanische Schreib- und Rechenmaschinen zu Schrott geworden. Was sich in Zahlenkombinationen ausdrücken ließ, existierte nun jenseits von Zeit und Raum. Alles war machbar, und alles war am Platz. Damals begann etwas im Silicon Valley, das man die Verfügbarmachung der Welt nennen könnte. Und sie schien nur darauf gewartet zu haben.

      Herz der Finsternis

      Knapp zehn Jahre nach der Geburt der Heimcomputer aus dem Geist der Garagen folgte der letzte und entscheidende Schritt zur Weltveränderung. Die ersten Rechner hatten der Mathematik zu universeller Anwendung verholfen. Durch Tüftler wie Bill Gates und Steve Jobs war diese Revolution jedermann zugänglich gemacht worden. Blieb noch die Erfindung des Internet. Was früher seine Zeit gebraucht hatte, geschah nun in Echtzeit. Alles war sagbar, darstellbar, speicherbar, versendbar geworden. Und dies über jede Distanz hinweg, ohne Zeitverlust, in absoluter Präzision.

      1994 wurde durch den ersten Browser der Silicon-Valley-Firma »Netscape« das Internet für jedermann zugänglich gemacht. Es war die Einstiegsdroge. Jetzt konnte das Silicon Valley endgültig zum Zentrum der weltumspannenden Digitalkultur aufsteigen. Hatten Computer zuvor nur in geschlossenen Intranets kommuniziert, lernten sie nun, sich weltweit miteinander zu unterhalten. Durch das globale Netzwerk, das zuvor nur für Telefon und Telefax ausgelegt war, bildeten sämtliche angeschlossenen Computer eine kommunizierende Gemeinschaft. Fortan stand die Menschheit, wie in E. M. Forsters Vision, mit sich selbst im unendlichen Dialog. Aus dem Austausch, der zuerst Wissenschaft und Militär diente, hatte sich ganz natürlich das Dauergespräch der Menschen entwickelt, für die es keine Tageszeiten mehr gab. Man korrespondierte per E-Mail, plauderte in Chat Rooms und begann in den Social Media über Kontinente hinweg ein alternatives Leben zu führen.

      Dass diese weltumspannende, alles einschließende Cyberwelt aus einem gänzlich unkommerziellen Impuls geboren wurde, ist heute fast vergessen. Auch, dass dies weit entfernt von Kalifornien stattfand. Es geschah am europäischen Kernforschungszentrum CERN, wo man sich 1989 vor eine bis dahin unlösbare Aufgabe gestellt sah. Da diese Anlage teils auf schweizerischem, teils auf französischem Gebiet lag, bedienten sich beide wissenschaftlichen Netzwerke unterschiedlicher Computersprachen. Bei der Zusammenarbeit am gemeinsamen Projekt verstand man sich gut, aber die Rechner verstanden sich nicht.

      Ein englischer Physiker, Tim Berners-Lee, kam auf den, wie sich zeigen sollte, revolutionären Einfall, eine dritte Sprache zu erfinden. Mit ihr ließen sich auch alle anderen Sprachen verstehen. Die Hyper Text Markup Language (HTML) war geboren. Schon im 17. Jahrhundert hatte der deutsche Philosoph Gottfried Wilhelm Leibniz diese Idee einer digitalen Universalsprache vorweggenommen. In seiner »Characteristica Universalis« wollte der geniale Mathematiker ein Zeichensystem schaffen, mit dem sich alles, was es auf, unter und über der Welt gab – alle Objekte und ihre Beziehungen, Materielles und Geistiges, Profanes und Heiliges –, mit mathematischen Symbolen darstellen und berechnen ließ. Sie sollte die Grundlage für Leibniz’ visionäre Universalwissenschaft bilden, wie sie heute auch dank Tim Berners-Lee im Cyberspace verwirklicht ist.

      Da mit der HTML nun alle Netzwerke miteinander kompatibel waren, entstand wie von selbst das weltweite Internet. Womit die Erfindung einer Suchmaschine, die sämtliche Speicher nach bestimmten Begriffen abklapperte, förmlich auf der Hand lag. Die gewaltigen Chancen, die sich aus dieser digitalen Universalwissenschaft ergaben, wurden nicht von Berners-Lee oder dem CERN wahrgenommen, sondern von den geistesgegenwärtigen Junggenies des Silicon Valley. Mit ihren Desktops und fantasievollen Software-Anwendungen eroberten sie den Weltmarkt.

      Dabei ging es anfangs eher bedächtig zu. Wählte man eine Website an, dauerte es oft Minuten bis sie sich stockend aufbaute. Man wartete gern, wohl wissend, dass auch Rom nicht an einem Tag erbaut worden war. Die Geschwindigkeit, mit der das Internet sich entwickelte, ließ sich auch an der Geschwindigkeit ablesen, mit der die einzelnen Seiten auf dem Bildschirm erschienen. Seit Beginn des neuen Jahrtausends wurden dem Heimcomputer durch das Breitbandkabelnetz zusätzliche Möglichkeiten eröffnet. Bis sich die bestellte Seite in voller Pracht darstellte, dauerte es kaum länger als die Eingabe des Suchbegriffs. Nie war schnelle Wunscherfüllung schneller gewesen. Aber auch hier war noch eine Steigerung möglich: Denn heute ahnt die Suchmaschine bereits nach wenigen Buchstaben, worauf man hinaus will. Und liefert, noch bevor man zu Ende gesprochen hat. Selbstverständlich darf sich Weltwohltäter Google das Recht nehmen, einem regelmäßig ins Wort zu fallen.

      Noch vor der Jahrtausendwende hatte sich im Silicon Valley alles niedergelassen, was in der Cyberwelt zu Rang und Namen gekommen war. Neben den fünf Multis Google, Amazon, Facebook, Apple und Microsoft findet man heute auch Whatsapp, Instagram, Adobe, Cisco, eBay, Intel, Sun Systems, Hewlett & Packard, Netflix, Oracle, Nvidia, Symantec, SAP, Tesla, Skype, Zoom, Twitter und Yahoo! Mit diesem Ausrufezeichen, das zum Namen dieser Suchmaschine gehört, könnten sich alle schmücken. Denn jede Corporation ist Ausrufer ihrer selbst.

      Im blühenden Tal von Stanford, zum Zischen der nimmermüden Rasensprinkler, hatte sich der größte Brain Trust (»Denkfabrik«) der Welt angesiedelt. Die Produktionen dieses Supergehirns breiteten sich aus wie eine Pandemie, die noch den letzten Winkel der Welt beherrschte. Der Kulturwissenschaftler Yuval Noah Harari hat diese geistige Einflussnahme treffend mit der Allmacht der Papstkirche im Mittelalter verglichen. »Der Vatikan«, so der »Homo Deus«-Autor, »war im Europa des 12. Jahrhunderts beinahe das, was heute das Silicon Valley ist.« Beinahe. Das ideologische Versprechen, »wenn du uns folgst, steht dir der Himmel offen«12, ist das gleiche geblieben. Und die Menschen folgen, eins, zwei, drei im Sauseschritt.

      Was aus menschheitsverbindendem Idealismus entstanden war, entwickelte sich zur größten Geld- und Machtmaschine aller Zeiten. Der im Silicon Valley lebende Investmentmanager John Doerr schrieb, das Tal sei »die größte legale Vermögensbildung, die wir jemals auf unserem Planeten erlebt haben«. Google, Amazon, Facebook, Apple und Microsoft, genannt die Big Five, stellen die größtmögliche Öffentlichkeit für alle her und kontrollieren sie zugleich. Doch sich selbst halten sie bedeckt. Wie die Allmacht der Kirche durch die »Geheimnisse des Vatikans« geschützt war, verbergen die Cybermultis sich selbst, als ungreifbare, undurchschaubare Organisationen. Sie sind das rastlos schlagende Herz der Finsternis im unergründlichen Raum des Digitalen.

      Die Big Five sind Multis, weil sie, im ursprünglichen Sinn, multinational operieren. Sie sind aber auch Meister der Multiplikation. Was sie auf kleinstem Raum entwickeln und auf Mikrochips nach außen vermitteln, multipliziert sich zur gigantischen Dimension des Globalen. Man nennt diese Hebelwirkung, mit der das Große sich durch das Kleine bewegen lässt, Hyper Scale (Hypermaßstab). Nur eine relativ kleine Zahl hochqualifizierter Mitarbeiter ist nötig, um der digitalen Infrastruktur ständig ein neues Gesicht zu verleihen. Eine solche Umsetzung kleiner Investments in riesige Marktmacht und nie gesehene Gewinne bildet den Wunschtraum jedes Unternehmers. Im Silicon Valley ist er Wirklichkeit geworden.

      Die Cybermultis haben nicht die ganze Welt unter Kontrolle. Sehr wohl aber die Welt, die mit der Welt kommuniziert. Sie geben ihr sogar die Zeichen vor, mit denen sie mit sich korrespondiert. Der Unicode sagt exakt, wie man sich ausdrücken muss, um verstanden zu werden. Sämtliche Schriftzeichen, die im digitalen Raum Gültigkeit besitzen, werden hier festgelegt. So umzäunt man den Bereich, in dem die Milliardenkundschaft sich austoben darf. Das Team, das der Weltkommunikation ihre verbindlichen Formen verleiht, tagt unweit von Stanford und legt den Code fest. Der hier definierte Zeichenstandard hat weltweite Geltung. Wer im Internet schreibt, folgt ihm. Da alle Tastaturen darauf eingestellt sind, bleibt ihm auch keine Wahl. Der Google-Mann Mark Davis, der an der Stanford University in Philosophie promoviert hat, präsidiert dem Konsortium des Universal Coded Character Set, СКАЧАТЬ