Aufregend war es immer. Hugo Portisch
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Название: Aufregend war es immer

Автор: Hugo Portisch

Издательство: Bookwire

Жанр: Изобразительное искусство, фотография

Серия:

isbn: 9783711053060

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СКАЧАТЬ Gesetze des Dritten Reichs ein. Juden hatten einen gelben Stern zu tragen, wurden aus allen öffentlichen Dienststellen entlassen, ihre Geschäfte und Betriebe »arisiert«, also geraubt. Allerdings hatte sich Tiso in der Gesetzgebung ein Schlupfloch gelassen: Der Präsident, also er, konnte Ausnahmen von der Gesetzgebung verfügen. Die gewährte er an die tausend jüdischen Familien, schätzungsweise 5000 Personen.

      Doch dann kamen Adolf Eichmann und seine Helfer ins Spiel. Sie forderten die Tiso-Regierung auf, slowakische Juden »zur Umsiedlung« nach Polen auszuliefern. Und bedienten sich eines Täuschungsmanövers: Sie verlangten für diese »Ansiedlung« der Juden in Polen pro Person einen Betrag von 500 Reichsmark und erweckten damit den Anschein, dass es sich tatsächlich um eine Ansiedlung handle.

      Was rund um diese Forderung in der Regierung und in der »Volkspartei« vor sich ging, darüber kenne ich keine historisch gesicherten Erkenntnisse. Für mich besteht kein Zweifel daran, dass der Antisemitismus ein Bestandteil des Tiso-Nationalismus war und das »Umsiedlungsangebot« der Eichmann-Gruppe daher Zustimmung fand. Tausenden jüdischen Familien wurde angeordnet, die Koffer zu packen und sich für den Abtransport nach Polen bereitzumachen. 60.000 Personen sollen es gewesen sein. Und der geforderte Betrag für ihre »Ansiedlung« wurde auch gezahlt. Aber von den angeblich Angesiedelten hörte man bald nichts mehr.

      Hingegen meldete sich eines Tages der Päpstliche Nuntius in Preßburg, Giuseppe Burzio, bei Tiso: Der Kirche lägen eindeutige Beweise vor, dass die Juden in Vernichtungslagern ermordet würden. Er appellierte an Tiso, »weitere Tragödien zu verhindern«. Der Nuntius traf sich auch mit dem Stellvertreter Tisos, Vojtech Tuka, und händigte ihm eine Demarche des Heiligen Stuhls aus. Tuka versprach, eine Kommission einzuberufen, die die Situation der slowakischen Juden in Polen überprüfen würde. Der deutsche Autor Rolf Hochhuth zitiert diese Intervention des Päpstlichen Nuntius in Preßburg in seinem Theaterstück »Der Stellvertreter« als Beweis dafür, dass die Kirche und der Papst über die Ermordung der Juden in Vernichtungslagern informiert waren. Tuka hielt Wort und bestellte diese Kommission, auf deren Zusammensetzung allerdings die deutschen Behörden Einfluss nahmen. Dennoch wurde der Kommission die Reise nach Polen verweigert. Zu diesem Zeitpunkt war die Mehrzahl der slowakischen Juden, die nach Polen deportiert worden waren, bereits ermordet, erklärt die angesehene slowakische Holocaust-Forscherin Katarína Hradská. Man zeigte der Kommission das Konzentrationslager Theresienstadt in Böhmen. Dort ließen die Nazis sogar Kommissionen des Internationalen Roten Kreuzes zu. Und einen Film des deutschen Propagandaministeriums, gedreht mit dem Titel »Der Führer schenkt den Juden eine Stadt«. Darin sah man Lagerinsassen beim Musizieren, beim Theaterspielen, beim Fußballmatch, bei der Gartenarbeit und beim Essen. Mit solchen gestellten Szenen wurden die Kommissionen getäuscht – auch die Kommission aus Preßburg sollte so getäuscht werden. Tatsächlich gingen von Theresienstadt regelmäßig Transporte in das Vernichtungslager Auschwitz ab. Zwar gab es auch in Theresienstadt vereinzelt slowakische Juden, aber keine, von denen behauptet worden war, sie würden in Polen angesiedelt. Den noch in der Slowakei befindlichen Juden wurden jetzt Erleichterungen gewährt. Der gelbe Stern wurde durch einen kleineren, violetten Keramikstern ersetzt, der wie ein Abzeichen getragen und leicht verdeckt werden konnte. Die tödliche Gefahr für Juden schien abgewendet zu sein. Doch nur für den Moment.

      In der Slowakei bahnte sich eine große Wende an. Die Slowakei hatte als Verbündete des Dritten Reichs am Krieg gegen die Sowjetunion teilgenommen, mit zwei Divisionen. Es sei Pflicht, den atheistischen Bolschewismus zu bekämpfen, erklärte der Monsignore Tiso. Aber nicht wenige der slowakischen Offiziere waren anderer Meinung. Sterben für Hitler? War das Pflicht? Über die Front hinweg gab es bald Kontakte zwischen solchen Offizieren und den Verbindungsleuten der auch von Moskau aus operierenden tschechoslowakischen Exilregierung, die unter der Führung des früheren Präsidenten der ČSR, Edvard Beneš, stand.

      In der Slowakei wurde der Aufstand vorbereitet. Sowjetische Partisanenführer aus der Ukraine wurden in der Mittelslowakei abgesetzt, organisierten mithilfe von Teilen der slowakischen Armee eine eigene slowakische Partisanentruppe. Sobald die Rote Armee den Gebirgszug der Karpaten erreichte, sollten diese Partisanen die Deutsche Wehrmacht daran hindern, ihre Front über die Karpatenpässe mit Nachschub zu versorgen.

      Aber einige Offiziere der slowakischen Armee wollten mehr: Die Tiso-Regierung sollte gestürzt werden – mithilfe der slowakischen Armee, noch bevor die Sowjets kamen. So brach der Aufstand in der Slowakei los, lange bevor die Rote Armee eintraf. Das gab der deutschen Heeresleitung Zeit, mit ihren Truppen in die Slowakei einzumarschieren und den Aufstand zu bekämpfen. Es dauerte fast drei Monate, ehe der letzte Widerstand der Slowaken gebrochen war. Doch das war trotzdem schon das Ende der von Jozef Tiso geschaffenen Slowakei. Tiso durfte zwar noch in seinem Palais in Preßburg residieren, aber was jetzt im Land geschah, bestimmten die deutschen Besatzer. Und mit ihnen waren auch die Häscher Eichmanns wiedergekommen. Den noch in Preßburg lebenden Juden wurde befohlen, sich reisefertig vor dem Rathaus einzufinden, was aber nur wenige taten.

      Nun wiederholte sich hier, was in Wien schon Jahre zuvor stattgefunden hatte: Die Juden wurden aus ihren Häusern und Wohnungen abgeführt. Es gab, so hieß es, keinen Widerstand. Das lag wahrscheinlich auch daran, dass die Familien beisammenbleiben konnten und man ihnen erlaubte, pro Person einen Koffer mitzunehmen. So gehe man doch nicht in den Tod, sollte man daraus schließen.

      Um diese Zeit aber hatten vermutlich schon alle Juden von Auschwitz gehört. So beruhigte man sie: Nein, sie würden nach Sered gebracht, kein deutsches, ein slowakisches Lager in der Mittelslowakei. Auch sei die Internierung nur für kurze Zeit gedacht – bis die Sowjetarmee »zurückgeschlagen« sei.

      In meiner Familie herrschte Entsetzen. Mein Vater glaubte nicht daran, dass Sered die Endstation der Transporte sei, sondern nur ein Umleitungsplatz. Meine Familie hatte mehrere jüdische Freunde, einige von ihnen hatten es geschafft, das Land rechtzeitig zu verlassen, obwohl wir zurzeit nicht wussten, ob ihre Flucht auch geglückt war. Zu den besten Freunden zählte die Familie Kellermann, Vater, Mutter, Sohn. Die waren nicht geflohen, sondern wurden von gemeinsamen Bekannten versteckt. Wo, das wussten nur mein Vater und die Slowakin Kathi. Kathi war einige Jahre als sogenannte »Kinderfrau« bei uns und half meiner Mutter, mich zu betreuen. Kathi heiratete dann, blieb uns aber immer gewogen, und auch unseren Freunden. Sie half mit, die Familie Kellermann zu verstecken und mitzuversorgen. Die Kellermanns überlebten den Krieg und blieben danach noch einige Zeit in Preßburg.

      Zurück in das nun deutsch besetzte Preßburg. Jetzt, da alles zusammenzubrechen schien, gab es für mich und meine Mitschüler eine unerwartete Wende. Die Ereignisse hatten uns ziemlich verstreut: Mehrere aus unserer Klasse waren bei der Feuerwehr, andere hatte man über Nacht so eingezogen wie in Deutschland den »Volkssturm«. Unausgebildet wurden sie in das Partisanengebiet geschickt. Zwei unserer Mitschüler waren von dort schon zurückgekommen, sie lagen verwundet im Krankenhaus.

      Doch jetzt zur »Wende«. Plötzlich hieß es: Im Gebäude des Gymnasiums werde ein Maturalehrgang eingerichtet (nein, nicht Matura, Abitur hieß es jetzt). Aus der Feuerwehr würden wir entlassen, aber nach dem Abitur nicht mehr zurückkehren, sondern zum Wehrdienst einberufen, zur Waffen-SS. Das war das Schicksal jener Deutschen, die keine Staatsbürger des Deutschen Reichs waren. Die Ungarn hatten das erfunden, sie wollten ihre Deutschen – die »Schwaben« – nicht in den Reihen ihrer Armee haben, die sollte rein ungarisch sein. So boten sie an, die Deutschen nach Deutschland einrücken zu lassen. Aber weil sie keine Reichsbürger waren, durften sie nicht in der Wehrmacht dienen. Heinrich Himmler griff zu, in die Waffen-SS mit ihnen. Dort hatten sie auch einen Namen – sie wurden »Beutegermanen« genannt. Die Slowaken folgten dem Beispiel der Ungarn.

      Für meine Mitschüler und mich zählte im Moment, dass wir jetzt weiter in die Schule gehen konnten. Trotz all dem, was in den letzten Monaten geschehen war, Partisanen und Aufstand der Armee, Einmarsch der deutschen Truppen, schwere Kämpfe in der Mittelslowakei, Judenverfolgung – das slowakische »Parlament« funktionierte noch, die Abgeordneten traten zusammen, darunter auch die Abgeordneten der Deutschen Partei. Sie brachten einen Antrag ein: Die Schüler СКАЧАТЬ