Название: Aufregend war es immer
Автор: Hugo Portisch
Издательство: Bookwire
Жанр: Изобразительное искусство, фотография
isbn: 9783711053060
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Das also war das Reich des Herrn Pirchner, der mit Stolz berichtete, wie er als Tiroler in die USA auswanderte und hier als Kellner zu arbeiten begann. Heute war er reich und doch arm dran. Er ging schwer gebeugt, konnte sich nicht aufrichten. Und das erklärte er uns dann so: Er war in den Dreißigerjahren, noch in der Zeit der Prohibition, des allgemeinen Alkoholverbots, nach Cleveland gekommen und hatte begonnen, illegal Bier zu brauen und in einem »German Club« illegal auszuschenken. Das brachte die Mafia aus Chicago auf den Plan, die Pirchner unterwerfen wollte. Das gelang ihr zunächst auch. Aber Pirchner engagierte dann selbst eine Gang und als er auch noch ein Nachtlokal eröffnete, kam es zum offenen Kampf zwischen den Gangs. Pirchner wurde mit einer Maschinenpistole beschossen, deren Kugeln ihn quer von der rechten Schulter bis zur linken Hüfte trafen, daher sein stets gebeugter Gang. Aber heute, so Pirchner, sei er der Herr von Cleveland. Sagte es und lud uns ein, in seinem großen Auto mit ihm in einen anderen Nightclub zu fahren.
Das taten wir und trauten unseren Augen nicht. Kaum betrat Pirchner das Lokal, stimmte die Musik ein besonderes Lied an, zwei Manager eilten herbei und fielen beinahe auf die Knie, als sie Pirchner begrüßten. Es war nicht Pirchners Lokal, aber eindeutig von seiner Mafia abhängig. Was er uns auch bestätigte: In Cleveland hatten die aus Chicago nichts mehr zu reden. Die Schutzgelder kassierte seine Gang. Und was geschieht, wenn nicht gezahlt wird? Was ihm anfangs geschehen ist – das Lokal wird überfallen und zertrümmert.
In Verlegenheit brachte uns Pirchner, als er uns zur mitternächtlichen Stunde bat, ihm doch die jetzige österreichische Hymne vorzusingen, und wir kamen damals nur mit Ach und Krach über die erste Strophe. Wer heute im Internet nach Pirchners »Alpine Village« sucht, erfährt, dass Pirchner 101 Jahre alt geworden und 2009 gestorben ist. Das »Alpine Village« ging in Konkurs.
Die »Cleveland Press« und Cleveland waren die letzte Station auf unserer Weiterbildungsreise. Die Universität gönnte uns noch einen Ausflug an die nicht so weit entfernten Niagarafälle. Die waren natürlich ein großartiges Erlebnis. Aber danach sollte es nach Hause gehen. Also zunächst nach New York, Treffpunkt Grand Central Station, und von da auf zum Hafen. Die Rückreise, so hatte man uns gesagt, würde auf dem gleichen Schiff, der »General Maurice Rose«, erfolgen. Aber unter all den gedockten Schiffen war die »General Rose« nicht zu sehen. Bis uns der schon auf uns wartende Marineoffizier zu einem Schiff in gefleckter grün-braun-grauer Tarnfarbe führte. Und am Bug stand »General Maurice Rose«. Ja, sie war es wirklich! Der Koreakrieg war ausgebrochen, die »Maurice Rose« war über Nacht wieder ein Truppentransporter geworden. Kein weiß gestrichenes Schiff für reisende Kriegsbräute und österreichische Journalisten.
Aber wir waren froh, doch wieder mit diesem für uns durchaus luxuriösen Schiff heimkehren zu können. So gingen wir an Bord. Und wurden eingewiesen – auf das F-Deck. Da ging es nicht hinauf, da ging es hinunter. Immer weiter hinunter, bis wir uns auf dem eisernen Boden des Schiffes befanden, in einer riesengroßen, dunklen Höhle. Und in der hingen so an die 50 Hängematten. Viele waren schon besetzt – von Soldaten, und alle waren Afroamerikaner. Das also war’s: Der Krieg im Fernen Osten löste die Furcht aus auch vor einem Krieg in Europa. Und die USA sorgten für rasche Verstärkung ihrer Truppen in Europa. Die »General Rose« war einer der Transporter, die dafür zu sorgen hatten. Die noblen Kabinen für die höheren Offiziere, in denen wir nach Amerika gereist waren, waren nun wieder für die höheren Offiziere reserviert. Wir hingegen waren wohl nur noch störende Elemente, für die irgendeine Stelle den Auftrag gegeben hatte, sie nach Europa mitzunehmen.
Ich fand das eigentlich recht aufregend. Das würde doch ein spannender Reisebericht werden: Am untersten Deck, zusammen mit 50 schwarzen US-Infanteristen, da wird doch sicher Interessantes zu berichten sein. So dachte ich und tröstete damit meine teilweise recht unglücklich wirkenden Kollegen. Aber eine halbe Stunde später verschlug es auch mir den Atem. Ein Unteroffizier war erschienen, der von einem Papier weg laut die von nun an hier unten geltende Tagesordnung verlas: »F-Deck! Tagwache 4.30 Uhr, Frühstück 5.30 Uhr, Erholung an Deck 7.00 bis 9.00 Uhr, Mittagessen 10.30 Uhr, Abendessen 16.00 Uhr, Erholung an Deck 17.00 bis 18.00 Uhr, Nachtruhe 20.00 Uhr.«
Insgesamt dürften wohl an die tausend oder mehr Soldaten an Bord gewesen sein, daher die strikte Einteilung der Mahlzeiten und Erholungspausen am Oberdeck. Doch da riss auch mir die Geduld. Ein Blick in die Runde: »Gemma!« Wie auf Kommando griff jeder nach seinem Koffer und schon eilten wir die steilen Eisenstufen hinauf – und kamen tatsächlich in der letzten Minute an der Gangway an, die hinüberführte zur Kaimauer, der Letzte von uns sprang schon über einen Spalt. Es war nicht das F-Deck, nicht die schwarzen Soldaten, es war die Tagesordnung, die uns vertrieben hat – acht Tage lang hätten wir pro Tag insgesamt nur drei Stunden an der frischen Luft verbringen können!
Und nun? Zum Telefon. Wir hatten eine Nummer, um die Stelle zu erreichen, die im State Department für unsere Reise zuständig war. Die wies uns an, genau dort zu warten, wo wir gerade standen. Nach einer längeren Zeit erschien auch jemand, öffnete eine Aktentasche und überreichte jedem von uns 50 Dollar, den Tagessatz für fünf Tage – für Hotel und Verpflegung. Jeder von uns aber habe noch heute zu melden, über welche Telefonnummer er zu erreichen sei. Wir würden verständigt, wie es weitergeht.
Es waren zwar magere, aber sehr schöne fünf Tage in New York. Übernachtet haben wir in der Jugendherberge der YMCA für einen Dollar pro Nacht. Nach fünf Tagen hieß es wieder ganz plötzlich: neun Uhr früh Grand Central Station. Von dort brachte uns ein Zug an irgendeine Station, in der man aussteigen musste, um ein großes Flugfeld zu erreichen, das den Namen Westoverfield trug. Dort nahm uns am übernächsten Tag ein Flugzeug des Postdienstes der US-Armee auf. Nicht sehr bequem, man musste entlang der Wände Platz nehmen, ohne Fenster. Und der Flug dauerte ziemlich lange, das Flugzeug hatte nämlich Post für mehrere amerikanische Stützpunkte mitzunehmen: auf den Azoren, den Kanaren, im Senegal, in Spanien, Schottland, England und Deutschland. Zwei Tage waren wir unterwegs. Von Frankfurt am Main ging es dann mit dem Flugzeug nach Langenlebarn bei Tulln.
Die Weiterbildung war abgeschlossen. Aber eines nahm ich mir vor: Ich wollte noch einmal nach Amerika kommen. Die USA musste ich besser kennenlernen.
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