Aufregend war es immer. Hugo Portisch
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Название: Aufregend war es immer

Автор: Hugo Portisch

Издательство: Bookwire

Жанр: Изобразительное искусство, фотография

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isbn: 9783711053060

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СКАЧАТЬ Demokratie. Als Hitler, Mussolini, der britische Premierminister Chamberlain und der französische Ministerpräsident Daladier im Herbst 1938 ohne Beiziehung der Tschechoslowakei in München die Abtretung der Sudetengebiete an Hitlerdeutschland beschlossen, schrieb mein Vater in seinem Leitartikel in der »Preßburger Zeitung«: »In dieser finstersten Stunde gibt es keinen ehrlichen Demokraten, der durch die in München besiegelte Regelung des tschechoslowakischen Problems nicht aufs Tiefste erschüttert wäre. Trauer herrscht nicht allein in den Herzen der Demokraten aller Nationen, die in der Tschechoslowakei leben, ehrliches Mitempfinden strömt uns auch von den wahren Demokraten in ganz Europa zu.«

      Doch es sollte viel schlimmer kommen. Für Hitler war die Abtretung der deutschsprachigen Gebiete der Tschechoslowakei nur der erste Schritt. Im März 1939 beorderte Hitler den tschechoslowakischen Präsidenten Emil Hácha nach Berlin und drohte ihm mit Krieg, wenn er sich seinen Forderungen nicht beugen würde. Diese dramatische Unterredung endete mit der Erklärung Háchas, er lege das »Schicksal des tschechischen Volkes in die Hände des Führers und Reichskanzlers des Deutschen Reiches«. Zur gleichen Zeit forderten der Gauleiter von Wien, Baldur von Schirach, und Hitlers Statthalter in Österreich, Seyß-Inquart, den Ministerpräsidenten der slowakischen Regionalregierung, Jozef Tiso, auf, die Selbstständigkeit der Slowakei zu reklamieren und sie als eigenen Staat auszurufen. Die Zerschlagung der Tschechoslowakei war also eine koordinierte, von Berlin und Wien ausgeführte Aktion. Am 15. März 1939 marschierten Hitlers Truppen in Böhmen und Mähren ein, in Preßburg erklärte Tiso die Slowakei zum selbstständigen Staat.

      Zu dieser Katastrophe konnte mein Vater in der »Preßburger Zeitung« nicht mehr Stellung nehmen. Er war zwar deren Chefredakteur, nicht aber ihr Eigentümer. Eigentümer war jene Gruppe von Verlegern, zu denen auch das angesehene »Prager Tagblatt«, das »Brünner Tagblatt« und die Mährisch-Ostrauer »Morgenpost« zählten. Die Verleger waren jüdisch. Diese Zeitungen wurden über Nacht enteignet, mein Vater als Chefredakteur der »Preßburger Zeitung« abgesetzt und das Erscheinen der Zeitung eingestellt.

      Ich weiß nicht, ob es noch am gleichen oder erst am nächsten Tag war, jedenfalls erschienen einige Männer in ziviler Kleidung in unserer Wohnung und führten eine Hausdurchsuchung durch. Ich sehe noch die aufgerissenen Schubladen und Kastentüren vor mir und wie die Männer Kleider und Wäsche auf den Boden warfen. Mein Vater war nicht zu Hause, er kam erst Stunden später aus der Redaktion zurück, in der er sich von seinen Mitarbeitern verabschiedet hatte. Drei der zwölf Redakteure waren Juden, zwei von ihnen, Löwy und Bauer, flohen noch am selben Tag und schafften es später nach Palästina – das allerdings erfuhren wir erst nach dem Krieg, als sie uns Briefe aus Israel schickten. Der Dritte, Donath, schaffte es nicht und wurde später in einem der Vernichtungslager ermordet.

      Aber die »Preßburger Zeitung« erschien dann doch noch einmal »unter neuer Leitung«. Mit folgender Erklärung: »Unter dem Druck der großen Umwälzung, die in den letzten Tagen vor sich gegangen ist, musste aus technischen Gründen vorübergehend das Erscheinen der ›Preßburger Zeitung‹ eingestellt werden. Nun hat der Verlag unter der neuen Leitung beschlossen, dieselbe wieder erscheinen zu lassen. Allerdings nicht mehr wie bisher wird die jüdische ›Intelligenz‹ das Blatt gestalten und Gift in das Volk träufeln, sondern nationalsozialistischer Gestaltungswille und nationalsozialistisches Gedankengut wird die Zeitung zum Instrument des Großdeutschen Reiches machen … Preßburger! Freiheit und Friede ist angebrochen, die neue Leitung grüßt Euch mit dem Gruß, der dem deutschen Volke heilig ist: ›Heil Hitler!‹ K.L.«

      Trotz »neuer Leitung« und »Heil Hitler« erschien die »Preßburger Zeitung« nur noch wenige Wochen, dann wurde sie zugunsten des nationalsozialistischen »Grenzboten« eingestellt. Zu diesem Zeitpunkt besuchte ich die zweite Klasse des einzigen deutschsprachigen Gymnasiums in Preßburg. Die Aufregung unter den Schülerinnen und Schülern war groß. Als staatliches Gymnasium der gestern noch existierenden tschechoslowakischen Republik war es eine liberale und demokratisch geführte Schule. Mädchen und Buben in derselben Klasse, katholische, protestantische und jüdische Kinder. Daheim hatten sich wohl die Eltern schon die Frage gestellt, wie lange das noch so bleiben werde. Es blieb noch bis zum Schulschluss im Juni dieses Jahres 1939. Als ich im Herbst in die nächste Klasse kam, gab es keine jüdischen Mitschüler mehr. Dies wurde uns vom Direktor der Schule, der den Namen Meznik trug, persönlich mitgeteilt. Mit »tiefem Bedauern«, wie er ausdrücklich betonte. Die jüdischen Mitschüler würden von nun an in »andere Schulen« gehen. Was sie zunächst auch tun konnten. Zumindest ein slowakisches oder ungarisches Gymnasium konnte, durfte sie noch aufnehmen. Von unseren Lehrern, die, wie es österreichisch Brauch war, von uns als Herr und Frau Professor angesprochen wurden, gaben sich nur zwei als Nationalsozialisten zu erkennen, obwohl es diese Partei als solche in Preßburg nicht gab. Die »national Gesinnten« sammelten sich in der sogenannten »Karpatendeutschen Partei«, einer Schwesterpartei der »Sudetendeutschen Partei«, die schon längere Zeit unter der Führung Konrad Henleins auf den Anschluss an Deutschland hinarbeitete. Es gab drei deutsche Jugendvereine in Preßburg, den »Deutschen Turnverein«, die »St. Georgs Pfadfinder« und den »Wandervogel«. Ich ging zum Schwimmunterricht in den »Turnverein«. Jetzt wurden die Pfadfinder aufgelöst, der »Wandervogel« und der »Turnverein« der neu gegründeten »Deutschen Jugend« eingegliedert, die dann immer mehr der Hitlerjugend angeglichen wurde.

      Um zunächst bei der Schule zu bleiben. Der Lehrplan und die Schulbücher dieser deutschsprachigen Schule folgten noch viele Jahre nach dem Ersten Weltkrieg den österreichisch-ungarischen Schulplänen. Das blieb auch jetzt noch eine Weile so, bis dann die Lehrbücher durch solche aus Deutschland ersetzt wurden. Auch der liberale Direktor Meznik wurde von einem Österreicher namens Olbricht abgelöst, einem Verwandten des Erbauers der Wiener Secession. Unter dieser Direktion mussten die Professoren mit »Heil Hitler« grüßen und am Anfang und am Ende des Schuljahrs hatten die Schüler aller Klassen auf dem großen Sportplatz der Schule zu einer Art Appell anzutreten, bei dem der Direktor eine Rede hielt.

      Im Unterricht jedoch war vom Nazismus nur wenig zu spüren. Lediglich der Biologieprofessor verwandelte die Mendelsche Erbfolgelehre in eine Rassenlehre. Seine Frau, die Musikprofessorin, brachte uns keine Nazilieder bei. Olbricht hingegen, der Kunst unterrichtete, ließ uns deutsche Flugzeuge zeichnen, die Bomben auf England warfen.

      Daheim hörten wir regelmäßig die Nachrichten des Schweizer Senders Beromünster und die deutschen Nachrichten der BBC. Interessanterweise wurde da in der Familie nicht getan, als wäre das verboten und müsste geheim gehalten werden. Ich nehme an, dass es ein solches Verbot auch in der Slowakei gab, andererseits hörte man englische BBC-Nachrichten im Sommer auch manchmal aus offenen Fenstern in den Straßen. Zuhause waren diese Nachrichten immer Gegenstand der Diskussion und des Vergleichs mit den Nachrichten des Reichssenders Wien. Der Unterschied war meist groß. Recht engagiert erzählte ich davon immer wieder den Mitschülern. Auch einmal im Umkleideraum des Turnsaals. Olbricht hörte da offenbar mit und stellte mich nach der Turnstunde zur Rede: Ich möge das künftig nicht mehr tun, das sei nicht in Ordnung und in der Schule verboten. Mehr aber nicht. Er fragte nicht, woher ich diese Nachrichten hatte.

      Es wurde schwerer, sich dem Druck der »Deutschen Jugend« zu entziehen. Zwei meiner Freunde entfremdeten sich mir, weil sie Führer in dieser DJ geworden waren, was ihre Interessen und Ansichten prägte und ihnen kaum noch Zeit für freundschaftliche Begegnungen ließ. So suchte ich mir neue Freunde. Die waren leidenschaftliche Tarockspieler und hatten mit der DJ nichts am Hut. Wir hatten es bald heraus, wie man das Tarockspielen auch den eigenen Eltern gegenüber vertreten konnte. Wir nahmen uns vor und hielten das auch ein, täglich nach Unterrichtsschluss gemeinsam unsere Hausaufgaben zu erledigen und in der Schule problemlos weiterzukommen. So durften wir auch am Abend abwechselnd bei dem einen oder anderen Freund daheim Karten spielen, auch wenn es dabei etwas später wurde. Auch ins Kino gingen wir oft, und in Preßburg wurden nicht nur die deutschen, sondern auch italienische und französische Filme mit Untertiteln gezeigt. Danielle Darrieux und Maurice Chevalier waren uns so bekannt wie Magda Schneider und Paul Hörbiger.

      Mein Vater war nun arbeitslos, aber nicht ohne Freunde. Einige von diesen behielten ihre СКАЧАТЬ