Aufregend war es immer. Hugo Portisch
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Название: Aufregend war es immer

Автор: Hugo Portisch

Издательство: Bookwire

Жанр: Изобразительное искусство, фотография

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isbn: 9783711053060

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СКАЧАТЬ die immer stärker werdende Einflussnahme der von Deutschland in die Slowakei entsandten »Berater« und Aufpasser empörte. Es war eine merkwürdige Mischung von Zusammenhalt und Überlebenskunst.

      Und so geschlossen, wie das nach außen hin schien, war auch das politische Lager rund um den Staatspräsidenten Tiso nicht. Dieser war der Führer der slowakischen »Volkspartei«. Ihn und seine Partei kann man nur erklären, wenn man sich kurz mit der Geschichte der Slowaken vertraut macht. 800 Jahre lang gehörte die Slowakei zu Ungarn, Oberungarn genannt. Und die königlichen Ungarn gingen nicht sanft um mit den Völkern, die sie beherrschten. So war es den Slowaken nicht erlaubt, eine Mittelschule zu besuchen, ohne ihren slowakischen Familiennamen abzulegen, einen ungarischen anzunehmen und sich zum Magyarentum zu bekennen. Ein höheres Studium für Slowaken gab es nur im Rahmen einer Ausbildung zum Priester. Ganz im Gegensatz zu den österreichisch regierten Tschechen, denen alle Schulen und auch die Prager Universität offen standen. Aber das erklärt auch, warum die nationalistischen Führer der Slowaken Priester waren – Andrej Hlinka und Jozef Tiso, beide waren Prälaten.

      Innerhalb dieses nationalen Lagers bestanden zwei ideologische Richtungen, die anti-ungarische und die sich langsam herausbildende anti-tschechische. Tiso war noch von der tschechoslowakischen Regierung zum Ministerpräsidenten der Teilrepublik Slowakei ernannt worden. Das war noch nicht der eigene Staat. Zu diesem wurde er erst gedrängt durch Baldur von Schirach und Seyß-Inquart im Auftrag Hitlers und letztlich in Form eines Ultimatums: Entweder bereit zu sein, mit der Unabhängigkeitserklärung der Slowakei Hitler den Vorwand zur Zerschlagung der Tschechoslowakei zu liefern oder Hitler würde den von Horthy geführten Ungarn freie Hand zum Einmarsch in die Slowakei geben. Die Vorstellung, wieder unter ungarische Herrschaft zu geraten, gab der Entscheidung, einen eigenen slowakischen Staat auszurufen, vermutlich auch einen starken Impuls.

      Dass das jetzt auf Befehl Hitlers geschah und mithilfe des Deutschen Reichs, bestärkte die faschistischen Kräfte innerhalb des Tiso-Lagers, die sich zurzeit noch am Vorbild des italienischen Faschismus Mussolinis orientierten. Wie Mussolinis Schwarzhemden in Italien stellten auch sie eine Parteiarmee, die »Hlinka-Garde«, benannt nach dem ersten Führer der »Volkspartei«, Andrej Hlinka. Im Laufe der nächsten Jahre sollte sie sich immer mehr am Nationalsozialismus orientieren und an Einfluss gewinnen. Aber noch gab es Spielraum im politischen Rahmen dieser Slowakei.

      Zur Versorgung der Zeitungen und des Rundfunks mit Nachrichten wurde eine eigene Presseagentur eingerichtet. Ihre Aufgabe war es auch, Verträge mit ausländischen Nachrichtenagenturen abzuschließen und deren Nachrichten ins Slowakische und Deutsche zu übersetzen und an die Zeitungen und Radiostationen weiterzuleiten. Unter anderen gehörte zu diesen Vertragspartnern nicht nur das Deutsche Nachrichtenbüro, DNB, in Berlin, sondern – zunächst direkt aus London, danach auf dem Umweg über die Schweiz – auch die britische Nachrichtenagentur Reuters und die Schweizerische Depeschenagentur – und das bis zum Ende des Krieges. Trotz des Einspruchs der sogenannten deutschen Volksgruppenführung erhielt mein Vater eine Stelle in dieser slowakischen Presseagentur.

      Das war nicht selbstverständlich. Mein Vater hatte sich als Chefredakteur der »Preßburger Zeitung« nicht nur für die tschechoslowakische Republik und die Demokratie eingesetzt, er verfasste auch eine zweibändige »Geschichte der Stadt Bratislava-Preßburg«. Die Geschichte der bedeutenden jüdischen Gemeinde Preßburgs wurde in diesen Büchern von dem angesehenen Schriftsteller Samuel Bettelheim abgehandelt. Bis zum heutigen Tag gelten die beiden Bücher meines Vaters als Schlüsselwerke zur Geschichte von Preßburg-Bratislava. Aber im Jahre 1939 wurde ihr Verkauf verboten und sie mussten aus allen Bibliotheken in der Slowakei entfernt werden, weil in ihnen die großen Verdienste jüdischer Bürger an der kulturellen und wirtschaftlichen Entwicklung der Stadt gewürdigt wurden.

      In der Schule hatte die Haltung meines Vaters keine Auswirkungen auf mich, keiner der Professoren ließ mich das spüren. Fast das Gegenteil. Denn dann und wann kam es sogar zu offen vor den Schülern ausgetragenen politischen Diskussionen. Der Tiso-Staat war ein Vasallenstaat des Dritten Reichs, kein Zweifel. Aber der Staatspräsident war ein römisch-katholischer Priester und der Religionsunterricht in den staatlichen Schulen ein Pflichtfach. Unser Religionslehrer war Pater Klecka (ausgesprochen Kletzka), ursprünglich Theologe an der Universität von Breslau und Gegner des Hitler-Regimes. Noch in den Dreißigerjahren floh er nach Polen und wirkte an der Universität von Krakau. Nach dem Überfall Hitlers auf Polen floh er in die Slowakei. An die Universität ließen sie ihn zwar nicht, aber am deutschsprachigen Gymnasium durfte er Religionsprofessor sein.

      Natürlich war seine Lebensgeschichte bald bekannt. Einige DJ-Führer in der Schule, vielleicht aus eigenem Antrieb, aber – wie ich vermute – eher angestiftet, versuchten Pater Klecka zu provozieren, mit allem, was die Nazis der Kirche vorwerfen konnten: Inquisition und Hexenverbrennung. Da riss Klecka einmal die Geduld und er rief aufgeregt: »Die Kirche hat ihre Fehler längst einbekannt, bei euch aber müssen erst die Bolschewiken kommen, um eure Morde aufzudecken!« Danach herrschte Stille. Wohl die meisten, und auch ich, konnten sich keinen Reim auf diese Aussage machen. Mein Vater, dem ich das erzählte, verstand sofort.

      Die deutsche Propaganda gab damals die Entdeckung von Massengräbern in der Nähe der russischen Stadt Katyn bekannt, Tausende polnische Offiziere seien dort von den Sowjets erschossen worden. Das entsprach zwar, wie sich später herausstellte, der Wahrheit, doch die Sowjetunion bestritt das und behauptete, dass dieser Massenmord selbstverständlich von den Nazis begangen worden sei. Pater Klecka glaubte offenbar den russischen Erklärungen mehr als denen der Nazis. Und das tat auch mein Vater. Erst lange nach dem Ende des Krieges wurde bestätigt, dass der Massenmord vom sowjetischen KGB verübt worden ist.

      Klecka war nicht der einzige Professor, der sich vor den Schülern gegen die Nazis stellte. An seinen Vornamen kann ich mich nicht mehr erinnern, aber unser Geschichtsprofessor hieß Gratzer. Im Juni 1944 hielt Gratzer seine letzte Unterrichtsstunde in diesem Schuljahr. Wie vorgeschrieben, hätte er sich mit einem »Heil Hitler« von den Schülern zu verabschieden gehabt. Aber da stand Professor Gratzer vor dem Katheder und rief in die Klasse: »Wer bei der Matura nicht weiß, was eine Koalition und was eine Opposition ist, wird bei mir nicht durchkommen!« Und dann aus voller Kehle: »Liberté, Égalité, Fraternité!« Verließ das Klassenzimmer und ließ uns frappiert zurück. Wir lernten Englisch und konnten nicht Französisch, aber was das bedeutete, verstanden die meisten oder lernten es jetzt: Das war der Ruf der Französischen Revolution nach Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit und seither die Basis für jede Demokratie.

      Dass wir zu dieser Zeit noch in die Schule gehen konnten, war auch keine Selbstverständlichkeit. Schon ein Jahr früher sollten wir in ein sogenanntes Wehrerziehungslager nach Kärnten eingezogen werden. Die Schüler aus der Klasse vor uns hatten das schon hinter sich und was die uns darüber berichteten, erfüllte uns mit Schrecken. Man hatte sie körperlich bis zur Erschöpfung geschunden und einige von ihnen auch psychisch gebrochen. Wie konnte man dem entgehen? Manche Eltern versuchten es mit ärztlichen Bescheinigungen, ohne Erfolg. Aber zwei Mitschüler von uns fanden einen Weg: Sie meldeten sich zur Freiwilligen Feuerwehr. Und die war kriegswichtig. Preßburg lag wie Wien in Reichweite amerikanischer Fliegerverbände. In Preßburg stand die damals wahrscheinlich größte Erdölraffinerie Mitteleuropas. Sie trug den Namen »Apollo« und verarbeitete das auf Donautankern herangebrachte rumänische Erdöl zu Benzin und Diesel, auch für die Deutsche Wehrmacht. Schon beim ersten Bombenangriff standen viele der großen Öltanks der Raffinerie in Flammen, die schwarze Rauchsäule stieg so hoch in den Himmel, dass man sie vom Kahlenberg in Wien aus deutlich sehen konnte.

      So war die Feuerwehr tatsächlich kriegswichtig. Fast die Hälfte der Schüler unserer Klasse, darunter auch ich, meldete sich bei der Feuerwehr und wurde von der Wehrerziehung befreit. Dafür mussten wir lernen, mit Schläuchen, Wasser, Pumpen und Leitern umzugehen, vor allem auch brennendes Öl mit Schaum zu löschen. Aber wir konnten weiter in die Schule gehen, nur bei Fliegeralarm mussten wir zu den Löschgeräten laufen.

      Dass ich das berichte, soll nicht davon ablenken, was in dieser Tiso-Slowakei sonst geschehen ist. СКАЧАТЬ