Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe. Levin Schücking
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Название: Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe

Автор: Levin Schücking

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788075838650

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СКАЧАТЬ Leben tragen ... Und jetzt! Mit welcher Bitterkeit mußte er sich zurufen: alle deine Hoffnungen sind zu Wasser geworden, du hast umsonst gerungen und gelitten – du bist arm heimgekehrt wie du auszogst – und Sibylle – Sibyllens Leben ist ruchlos zerstört – ist so bodenlos elend gemacht wie das deine! Er wandte sich endlich ab und setzte in Kummer verloren seinen Weg fort durch die andern Gemächer. Er kam in das Wohnzimmer des Grafen von Epaville; er blickte durch die halb offenstehende Tür in das Schlafzimmer desselben; sein Auge heftete sich auf das Bett in der Ecke; die Umrisse der Decke verrieten die darunter liegende Leiche; der Bettvorhang verbarg den obern Teil und den Kopf des Toten.

      Richard stand zögernd auf der Schwelle dieses Raumes, halb versucht, näherzutreten, um die Leiche anzuschauen, und auch wieder sich scheuend vor dem Anblick. Hätte seine Reisegefährtin von gestern ihm nicht gesagt, daß sie selbst kommen würde, zum letztenmal ihren unglücklichen Gatten zu sehen, so würde er es für eine Art Pflicht gegen diese gehalten haben, sich um den Zustand der Leiche und um das, was für die Beerdigung derselben vorgerichtet und bestimmt war, zu kümmern, so aber konnte er sich abwenden von dem unheimlichen Anblick – und eben war er im Begriff, dieses zu tun, als er Schritte Herankommender auf der Treppe und gleich darauf in den vordern Zimmern vernahm. Richard konnte nicht zurück, ohne den Kommenden zu begegnen, denn die Räume, in welchen er sich befand, boten keinen Seiteneingang. Er wollte jedoch um jeden Preis vermeiden, hier gesehen zu werden. Nicht gerade aus Rücksicht für den Hausmeister, der ihm gesagt, daß er niemand nach oben lassen dürfe. Aber er war in einer Gemütsverfassung, in welcher man nicht in fremde Gesichter zu blicken liebt. Er mußte erwarten, daß die Kommenden ihn nach dem Grunde seines Hierseins fragen würden; nichts aber lag weniger in seiner Absicht, als sich heute hier als den Stammerben dieses Hauses zu erkennen zu geben. Unterdes hörte er die Schritte immer näher kommen. Wollte er nicht in den nächsten Augenblicken den Nahenden gegenüberstehen, ihren verwunderten Fragen ausgesetzt sein, so blieb ihm nichts übrig als das eine – in das ihm wohlbekannte Versteck, in dessen Geheimnis niemand anders als er einst Sibyllen eingeweiht hatte, zu schlüpfen. In der Tat war Richard rasch dazu entschlossen. Er drückte in den Lambris das bewegliche Einsatzstück zur Seite. Es gehorchte seiner Hand. Die dunkle Oeffnung nahm ihn auf. Das Holzwerk schob sich zurück – Richard war für die Kommenden verschwunden.

      In dem engen Raume, in welchem er sich jetzt befand, herrschte ein mattes Licht; die kleinen Scheiben in dem Fenster, welches auf das Innere des Turmes ging und hier unter vorspringendem Gebälk verborgen lag, waren mit Staub bedeckt, mit Spinnengeweben überzogen; in dem Innern des Turms selbst, aus welchem das Licht kommen sollte, war des Lichtes nicht übermäßig viel, wenn, wie es jetzt der Fall, unten die nach außen führende Hintertür geschlossen war. Trotzdem erkannte Richards Auge sofort bei seinem Eintreten mehrere am Boden liegende Gegenstände, die darauf deuteten, daß dieser kleine Raum kurz vorher einen Bewohner gehabt hatte, welcher eine beschleunigte Abreise gemacht und deshalb nicht Zeit gefunden, seine sämtlichen Habseligkeiten mitzunehmen. Ein blauer Kittel lag auf dem Boden, ein aus Maser geschnitzter Pfeifenkopf, ein Päckchen Tabak, erst zur Hälfte konsumiert, dann ein Geflecht aus Weidenzweigen, das sich zu einem Korbe zu gestalten verhieß, aber noch sehr weit von seiner Vollendung entfernt war.

      Richard war im Begriffe, sich nach diesen Gegenständen zu bücken, um sie näher zu betrachten, als er die Schritte, vor denen er geflohen war, ganz in seiner Nähe hörte; sie kamen eben in das Schlafzimmer, wo die Leiche lag, und Richard vernahm eine unangenehme, etwas schrille Stimme, die sagte: »Da liegt er! Ich habe nie eine große Meinung von den Tugenden und der moralischen Seelengröße dieses Monsieur d’Epaville gehabt – aber daß ihn der Teufel so früh holte, ist doch ein klein wenig hart!«

      Diese Worte wurden in einem sehr akzentuierten und sehr mißlautenden deutschen Dialekte gesprochen, den Richard sich erinnerte, bei Elsässern gehört zu haben.

      »Es bleibt bei allem, was Sie mir gesagt haben, doch ein höchst merkwürdiger Fall, Herr Polizeirat, der mir noch immer große Dunkelheiten hat!«

      Tiefe Antwort wurde im Dialekt der Landessprache gegeben.

      »Dunkelheiten? Was kann da noch dunkel sein ...«

      »Ein Mann wie dieser Hammerbesitzer – und gar ein junges Mädchen wie Sibylle Ritterhausen! Ist es nicht unglaublich ...«

      »Mein lieber Untersuchungsrichter,« antwortete der Elsässer, »unglaublich ist nichts. Dies Wort müssen Sie streichen aus Ihrem Geschäftsstil. Wenn Inzichten vorhanden sind, daß ich, der Polizeirat Ermanns, das Licht aller Behörden der öffentlichen Sicherheit im Großherzogtum, falsche Wechsel gemacht oder silberne Löffel gestohlen habe, so sagen Sie nicht: unglaublich! Untersuchen Sie. Was kann Sie bei dieser Angelegenheit in Verwunderung setzen? Das Verhältnis des Monsieur Ritterhausen zu diesem Gute hier haben Sie mir gestern selbst auseinandergesetzt. Den Entwurf des Briefs, welchen der Graf von Epaville an Ritterhausen geschrieben, haben wir hier gefunden. In Angst und Schrecken versetzt durch diese Eröffnung, hat der Herr Ritterhausen seine Tochter abgeschickt, um zu parlamentieren mit dem Grafen. Er kannte diesen Herrn Grafen nicht. Er wußte nicht, was ich heute aus Seiner Hoheit eigenem Munde weiß, daß der Graf in einem kleinen vertraulichen Kreise dem Großherzog gegenüber sein Wort verpfändet hatte, er würde dieses Mädchen verführen. Sie können sich nun denken, welchen Charakter das Tete-a-tete der Demoiselle Ritterhausen und des Grafen angenommen haben wird. Der Herr Graf werden alle Vorteile ihrer Lage den Ritterhausen gegenüber haben ausbeuten wollen; er hat dem jungen Mädchen Zumutungen gemacht, welche diese tödlich beleidigt haben; und nun haben beide, Vater und Tochter ohne viel Gewissensbisse diesen vermaledeiten Franzosen, der dem Vater Haus und Hof und der Tochter ihre Ehre rauben wollte, daran glauben lassen. Sie haben ihn beseitigt, mon ami, oder besser, stumm gemacht, wie Sie ihn da sehen. – Mir ist dabei gar nichts dunkel, nicht einmal, was die Reiseroute des Grafen von Epaville in der andern Welt angeht. Ich bin ganz überzeugt, der Zeremonienmeister der Unterwelt hat ihn längst zur Cour bei Seiner diabolischen Majestät vorgestellt, und der Satan hat seine Freude ausgedrückt, endlich eine längstgehoffte Bekanntschaft zu machen!«

      »Aber sie leugnen stolz und zornig, die Ritterhausen,« fiel der andere ein.

      »Man kennt das,« versetzte der mit dem elsässer Dialekt. »Es wird sie nicht retten vor der Guillotine. Der Großherzog war bra dessus bras dessous mit dem Epaville.«

      Wir brauchen nicht zu sagen, mit welcher Aufregung und wie erschüttert Richard diese Unterredung belauschte, die deutlich und so, daß ihm kein Wort entging, in seinen Winkel drang. Trotz allem, was er vernahm, und trotz allem, was irgend hatte gesagt werden können, um Sibylle Ritterhausen zu einer Mörderin zu stempeln, stand der Glaube an ihre Unschuld felsenfest in seiner Seele. Aber ebenso klar wurde ihm aus diesen Reden, wie hoffnungslos und verzweifelt ihre Lage den Untersuchungsbeamten und den Gerichten gegenüber sein mußte. Das Wort Guillotine, welches bald darauf von den Lippen des einen der Sprechenden fiel, traf ihn vollends wie ein Stich ins Herz.

      Er sollte noch ein zweites Wort vernehmen, das beinahe eine ähnliche Wirkung auf ihn übte. Und dies Wort wurde wieder von dem, der sich das Licht aller Behörden der öffentlichen Sicherheit genannt hatte, gesprochen und hieß: Versteck!

      »Wo ist nun das Versteck?« sagte Monsieur Ermanns, »ich denke, es muß hier dieses Füllstück in den Lambris sein!«

      Er trat in diesem Augenblick an die bezeichnete Stelle heran. Richard hatte rasch und instinktartig seine Hände an das bewegliche Holzstück gelegt und suchte es durch das höchste Aufgebot seiner Kraft fest an seiner Stelle zu halten. Aber er fand zu seiner Unterstützung dabei keinen Vorsprung, nichts, was ihm als Handhabe gedient hätte. Draußen war jetzt auch der Untersuchungsrichter herangetreten und drückte aus Leibeskräften – das Füllstück bewegte sich und – schoß wieder in seine alte Lage zurück ...

      »Mein Gott, das ist ja als ob jemand von innen festhielt!« rief der Untersuchungsrichter aus.

      »Fast СКАЧАТЬ