Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe. Levin Schücking
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Название: Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe

Автор: Levin Schücking

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788075838650

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СКАЧАТЬ unterbrach Sibylle den Gang und die Richtung dieser Gedanken, und es war, als ob zugleich ein tröstender Lichtstrahl in ihre Seele fiel – was sie Richard sagen wollte, konnte sie das jetzt nicht mit ganz gleichem Rechte sich selber sagen und vorhalten? Konnte sie sich nicht auch sagen, daß eine väterlich waltende Hand über ihr sei, welche dem Menschen nicht mehr auferlegt, als er zu tragen vermag, und welche auch sie aus der Tiefe ihres Elends, aus diesem Wirrnis führen werbe, zu Ruhe und Frieden, zu Gerechtigkeit und Klarheit? Konnte sie sich nicht sagen, daß in der reinen Unschuld ihrer Seele die Bürgschaft eines endlichen Sieges über alles, was die Menschen und die Welt ihr zufügen konnten, liegen müsse, liegen werde? Wie oft hatte sie einst Richard gegenüber solche Gedanken verteidigt! Er aber war unbekehrt von ihr in die Ferne gegangen. Sie hatte den Entschluß gefaßt, durch treues Ausharren in frommem Gottvertrauen das Ziel zu erreichen, welches er in hochmütigem Vertrauen auf die eigene Kraft erreichen wollte; und wenn sie es erreicht hatte, sollte er bekehrt werden, sollte er sich überwunden erklären durch die Tat, da ihn Worte nicht bekehrten. Strafte sie jetzt nicht sich selber Lügen durch die Mutlosigkeit und Verzweiflung; ward sie nicht an sich selber untreu?

      Während Sibylle auf diese Weise sich wieder zu Fassung und Mut emporrang, war Monsieur Ermanns beschäftigt, seine Inquisitorkünste dem Hammerbesitzer gegenüber zu entwickeln; etwas weniger selbstvertrauend und selbstzufrieden, wie er es Sibyllen gegenüber gewesen war, denn er mußte sich ja gestehen, daß er bei dieser mit seinem schlauen Plane ein völliges Geständnis durch eine Art gemütlicher Ueberrumpelung zu erhalten, gescheitert war.

      Zweiter Teil

       Inhaltsverzeichnis

      Neuntes Kapitel

       Eine Reisegesellschaft

       Inhaltsverzeichnis

      Auf der Straße, welche sich aus Holland über Emmerich und Wesel den Rhein hinaufzieht – nebenbei gesagt im Jahre 1807 – einer sehr öden, unchaussierten, meist durch sandige Gegenden führenden Straße, bewegte sich an dem Tage, welcher der auf der Rheider Burg vorgefallenen Katastrophe folgte, der holländisch-bergische Postwagen. Von vier keuchenden abgetriebenen Pferden gezogen wackelte der schwerfällige Kasten langsam vorwärts; das eintönige Knirschen der Räder in dem Sande und das ebenso eintönige Geklapper der Wage, woran die Stränge befestigt waren, schienen das Ungetüm in den Schlummer gelullt zu haben, denn es nickte in einem fort nach vorn, wie der Kopf eines Einschlafenden, hob sich wieder in seinen Lederriemen auf und nickte abermals nach vorn. Der phlegmatische Bursche in orangefarbener Jacke, der auf dem Sattelgaule hing, schien in voller Uebereinstimmung mit den Neigungen der seiner Obhut anvertrauten Arche; auch er nickte einmal über das andere, und was seine Rosse anging, so schienen diese seine schlaftrunkene Mimik als eine stumme Zufriedenheitserklärung mit ihrer Gangart zu deuten und infolge davon sich noch mehr zu bestreben, durch recht langsames Weiterkriechen ein so gutes Einvernehmen zu erhalten.

      Es wäre sein Wunder gewesen, wenn auch diejenigen Individuen, welche sich in diesem Fuhrwerk durch eine völlig reizlose und unbelebte Gegend geschleppt sahen, dem guten Beispiel gefolgt wären und ebenfalls die Stunden der Qual verschlafen hätten, mit welchen ein solcher Marterkasten in der guten alten Zeit jeden fürwitzigen Menschen abstrafte, der sich verführen ließ, über den Bereich seiner vier Pfähle hinauszustreben und auf die Entdeckung auszugehen, daß die Welt weiter, größer und mitunter auch wohl noch vernünftiger eingerichtet sei, als es daheim unter der Herrschaft seines Bürgermeisters und der übrigen angestammten Obrigkeit der Fall.

      Die Insassen unserer »Diligence« schliefen aber keineswegs, sondern sie waren in einer ziemlich lebhaften Unterhaltung begriffen. Es waren ihrer drei, ein Herr, eine Dame und ein Knabe von etwa acht bis neun Jahren.

      Der Herr war ein noch junger Mann, obwohl sein Aeußeres und sein Benehmen eigentlich nicht von frischer Jugendlichkeit zeugte, sondern das Gepräge ernster, vielleicht vorzeitiger Gereiftheit trug. Eine große kräftige Gestalt, ein düsterer Blick der dunkeln Augen, ein schwarzer Backenbart und ein Teint, den die Sonne heißerer Zonen so dunkel gebräunt zu haben schien: das alles trug dazu bei, ihm jenen Ausdruck zu geben. Seine Kleidung hatte in ihrem Schnitt und in ihren Stoffen ebenfalls etwas Ausländisches; sie verriet englische Arbeit und zeigte eine gewisse Eleganz, die andeutete, daß unser Reisender den höhern Ständen angehörte. Darauf deutete denn auch sein ganzes Wesen, obwohl der Fremde nicht eben das sein mochte, was man einen Mann von Welt nennt. Er war äußerst zurückhaltend und schweigsam und fast immer waren seine Züge von einem tiefen Ernste überschattet, und eine dunkle Falte, wie von Kummer oder Leidenschaft gefurcht, zeigte sich zwischen seinen schwarzen dichten Brauen.

      Eine völlig andere Erscheinung war die Dame neben ihm. Sie war ein kleines graziöses Geschöpf mit höchst feinen lebendigen Zügen, etwa dreißig Jahre alt oder noch darunter, wenn man die Lebhaftigkeit ihrer Bewegungen, die Heiterkeit ihres Wesens in Anschlag brachte und dabei Rücksicht darauf nahm, daß die bleiche, etwas ins Gelbliche spielende Farbe ihres Antlitzes weniger ein Beweis verblühter Schönheit, als des Umstandes sein müßte, daß sie ein Kind des Südens. Dafür sprach auch ihr rabenschwarzes Haar, das sich in dicken Flechten um ihre Schläfe legte und oben auf dem Scheitel zu einem hohen Neste aufgesteckt war – sowie ihr mandelförmig geschlitztes, schwarzes, außerordentlich feuriges, und beredtes Auge.

      Der Knabe, welcher der jungen Frau gegenübersaß, war ein hübsches aber ebenfalls etwas blaß aussehendes Kind, das nach der Sitte jener Zeit in eine vollständige Husarenuniform mit Galons, mit Sporen, mit Säbel und Schlepptasche gekleidet war. Er nannte die lebhafte kleine Dame: Maman.

      Der Fremde sprach ganz geläufig deutsch, trotz seines etwas fremdartigen Aussehens; die Dame wußte sich ebenfalls in dieser Sprache auszudrücken, obwohl ein sehr stark hervortretender Akzent und mancher Gallizismus die geborene Französin verriet.

      Männer von dem Wesen und dem gehaltenen Ernst unsers Postwagenpassagiers haben, vorausgesetzt, daß sie im übrigen eine gewisse Gutmütigkeit und nur ein geringes Maß von Galanterie den Damen gegenüber verraten, die besondere Eigenschaft – wir wollen es aus Höflichkeit den Vorteil nennen – daß weibliche Wesen, mit welchen sie in Berührung kommen, ihnen sehr rasch ihr Herz ausschütten und sie vertrauensvoll in all ihre kleinen und großen Angelegenheiten einweihen.

      Diese Erfahrung bestätigte sich auch hier. Unsere Reisegesellschaft war erst am Abend vorher in Arnheim durch den Zufall zusammengeführt, sie hatte, weit entfernt, einen Scheffel Salz miteinander verzehrt zu haben, nichts weiter gemeinsam verzehrt als ein aus einem zähen Huhne und Reisbrei bestehendes Diner auf der letzten Poststation – wobei der Fremde seiner Reisegefährtin allerdings mit einer gewissen Aufmerksamkeit die besten Bissen vorgelegt hatte – und schon war jener ausführlichst unterrichtet von Namen, Herkunft, Schicksalen, Absichten und Reiseziel seiner Nachbarin.

      Madame war in Marseille daheim. Ihr Vater war dort Reeder gewesen, aber vor einem Vierteljahr gestorben ohne seinen zahlreichen Kindern viel zu hinterlassen. Er hatte Baubeyessard geheißen. Madame hieß aber nicht mehr Baubeyessard, Madame war verheiratet, an einen Marineoffizier, den sie hatte kennen lernen, während sein Schiff auf der Reede von Marseille vor Anker gelegen. Er war ein junger Mann aus sehr vornehmem Hause. Er hieß Antoine Graf von Epaville. Sein Oheim war der regierende Herzog von Anglure, der in Deutschland ein kleines Fürstentum zur Entschädigung für ein Ländchen erhalten, welches er früher in den Niederlanden besessen und das an Frankreich gefallen. Der Graf von Epaville war aber mit dem Oheim-Herzog überworfen. Weshalb, darüber schwieg Madame. Der Reisende neben ihr fragte auch nicht danach. Genug, die herzogliche Verwandtschaft schien nicht viel einzubringen, sonst hätte Madame sich auch wohl СКАЧАТЬ