Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe. Levin Schücking
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Название: Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe

Автор: Levin Schücking

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788075838650

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СКАЧАТЬ hätten!«

      »Und was hätten sie sagen sollen, die Leute?«

      »Wir wollen die Toten und geschehene Dinge ruhen lassen, Mamsell Sibylle. Was aber kommen soll, das wird kommen. Ihr habt recht, daß Ihr’s nicht jedem ersten besten in die Ohren hängt, was Ihr vorhabt. Es gehören schöne Waldungen zum Hause; unten die langen zweischürigen Wiesen sind auch was wert, und die Ackerländereien bringen ihre fünf Taler Pacht der Scheffel.«

      Sibylle Ritterhausen zuckte abermals die Achseln

      »Ist das alles, was Ihr mir sagen wolltet – habt Ihr deshalb auf mich gewartet, Berend?« sagte sie, sich zum Weitergehen wendend.

      »Nein, Mamsell Sibylle,« antwortete der Mann mit einem pfiffigen Augenblinzeln. »Ich weiß es, daß es Euch nicht um die Pacht und nicht um die Wiesen zu tun ist, wenn Ihr Euer Auge gerichtet haltet auf die Rheider Burg wie ein Falke auf ein Wasserhuhn, das noch im dicken Schilfe steckt, aber einmal doch daraus hervorkommen wird – und dann wird der Falke bei der Hand sein! Ja, ja, Ihr sollt sie auch haben, die Burg – denkt daran, daß Spielberend es Euch gesagt hat; aber es ist eine Leiche im Haus, die muß erst hinaus.«

      »Eine Leiche? Ist das nun Euer Ernst, Spielberend, oder wollt Ihr mich ängstigen mit Euern Schauergeschichten?«

      »Euch ängstigen? Wie sollte ich Euch ängstigen wollen? Seid Ihr so schreckhafter Natur, daß man Euch mit Lügen angst machen könnte? Es ist auch nichts dabei, weshalb Ihr erschrecken solltet. Die Leiche, die hinausgetragen werden muß, ehe die Rheider Burg Euer Eigen wird, geht Sibylle Ritterhausen nichts an.«

      »Ist es der alte Claus?« sagte da« Mädchen, das offenbar stutzig geworden war, flüsternd.

      Spielberend schüttelte den Kopf, »Die alte Hauseule, der Claus? der ist es nicht. Es sind große Wappen an dem Sarge.«

      Sibylle erblaßte und fuhr mit der Hand zum Herzen.

      »Habt Ihr die Wappen gesehen, Berend?« fragte sie, wie in höchster Spannung.

      »Ich habe sie gesehen; es waren große Wappen mit einer roten Krone darüber.«

      »Mit einer roten Krone?« fragte das junge Mädchen, erleichtert aufatmend. »Rote Kronen tragen nur Fürsten.«

      »Das weiß ich nicht. Ihr mögt recht haben oder nicht... Ich weiß nur, was ich gesehen habe.«

      Sibylle Ritterhausen schaute den Spielmann eine Zeitlang nachdenklich an.

      »Ihr seid ein schlimmer Geselle, Spielberend,« sagte sie dann. »Es ist wahr, daß Ihr...«

      »Mehr könnt als Brot essen, wollt Ihr sagen, Mamsell,« fiel der Mann ein, Sibylle mit einem schlauen Seitenblick streifend, und dann wieder, wie gewöhnlich, unsteten Blickes ihr Auge vermeidend.

      »Aber,« fuhr Sibylle fort, »es ist auch ebenso wahr, daß Ihr lügen könnt wie der Lügenschuster Matthias, Euer guter Freund, und darum weiß man nie, ob man Euch trauen soll oder nicht. Was Ihr jetzt sagt, lautet nun vollends so wie eine von Euern Aufschneidereien. Auf der Rheider Burg lebt niemand als der alte Hausmeister Claus, und wenn sie einst den hinaustragen, die Füße voran, so werden sie keine Wappen mit Fürstenkronen an seinen Sarg heften!«

      Spielberend lächelte wieder.

      »Wer weiß es! In Düsseldorf ist auch ein Mann, der ist nicht besserer Leute Kind wie der alte Claus Fettzünsler; ein Schenkwirtssohn, hab’ ich mir sagen lassen. Und doch, wenn er begraben wird, so soll einer die roten und goldenen Kronen sehen, die sie an seinen Sarg machen werden!«

      »Habt Ihr das etwa auch gesehen, Spielberend?«

      »Nein, das habe ich nicht gesehen, Mamsell Sibylle – ich weiß nichts davon! Er hat ein gutes Leben dort, im Schlosse unserer alten Herzoge; und wenn Frau Jakobäa von Baden, die da spuken geht, ihm nicht etwa den Hals umdreht – sie muß es ja an sich selber gelernt haben, wie man’s macht – dann wird er ans Sterben noch lange nicht denken!«

      »Ihr seid eigentlich ein greulicher Mensch, Spielberend,« sagte das junge Mädchen, sich auf einen Baumstamm niedersetzend, der dem Mauerstück, auf welchem der Spielmann saß, gegenüberlag – »man hat kaum eine Viertelstunde mit Euch geredet und Ihr habt jedesmal schon so viel von Sterben, Leichen und Särgen vorgebracht, daß einem ganz schaurig zumute wird!«

      Spielberend antwortete nicht. Er griff nach seiner Geige, riß die Hülle herab und spielte mit großer Gewandtheit ein paar Läufe darauf, ein Stück aus einer lustigen Tanzmelodie; mit einem schreienden, kreischenden, tief disharmonischen Tone hörte er plötzlich auf.

      »Nun ist’s fort!« sagte er dann. »Darum bin ich ein Spielmann geworden. Wer Augen hat wie ich, der muß sich danach einrichten, daß ihm das Leben ein Spaß wird, und daß, wo er geht und steht, um ihn herum fröhliche Kameraden kommen. Ja, es ist ein gutes, freisames Handwerk, ein wandernder Spielmann sein. Man weiß doch, daß man lebt. Hat nicht Kind noch Kegel. Heute hier und morgen dort. Wo man kommt, da ist Kirmes. Und die Lebsucht ist gut im Land der Berge. Gar manche lange Nacht bringt man flott herum. Habe ich die Geige am Hals und den Fiedelbogen in der Hand und um mich her das lustige Hallo – dann sitze ich fest, und ich bin stärker als die sind, die mich heraus haben wollen vor die Tür, an den Kreuzweg, auf die Heide. Mögen sie locken und rufen wie sie wollen, draußen im Mondschein – Sie bekommen mich nicht! Ich weiß es schon, was da vorgeht draußen; was daherkommt den Dorfweg entlang, mit einem schwarzen Kreuz voran und einer Reihe schwarzer Leute hinterher. Sie wollen mich heraus haben, daß ich’s sehen soll. Ich meine, ich habe die Nachtmär auf der Brust liegen, von Unruhe und schwerem Atem. Aber ich tu’s nicht. Ich tu’s partout nicht. Ich bleibe sitzen wie angeleimt auf der Bühn’ und streiche die alte Geige, daß die Gläser klirren; daß die Bauernjungen stampfen und die Dirnen kreischen vor Vergnügen; ich streiche, bis ich umfalle vor Müdigkeit in dem Staub und dem Qualm der Talgkerzen und der Hitze, und dann, dann ist’s vorüber. Ja, Mamsell Sibyllchen, so ist’s! Und darum: Vivat, es lebe die Geige!«

      Sibylle sah mit großen Augen den Menschen an, der wie ein verkörpertes dunkles Rätsel vor ihr dasaß. So nahe es lag, seine Reden als aberwitzige Possen zu betrachten, so war sie doch weit entfernt davon, sie so aufzufassen. Dafür stand Spielberends Ruf als der eines Vorgeschichtensehers im ganzen Lande viel zu fest. Spielberend ist eine populäre Gestalt, deren Andenken noch heute beim bergischen Volke lebt. Er ist der große Prophet der bergischen Lande, von dem noch heute die Großmütter ihren Enkeln erzählen. Freilich war er nebenbei ein Spielmann, ein Dorfmusikant, ein Schnurrant. Man wußte, er erzählte mehr, als er verantworten konnte, und er beutete listig den Glauben an seine Geschichten aus. Aber auf der andern Seite stand es felsenfest, daß er in einem hohen Grade von Ausbildung die Gabe des zweiten Gesichts habe. Er sah Todesfälle, Leichenbegängnisse, Feuersbrünste, Truppenmärsche vorher, und hundert Beispiele zählte man auf, wo sich buchstäblich erfüllt hatte, was Berend vorhergesagt. Und so kam es, daß sein übriges Wesen, sein Vagabundentum, seine Lügen ihn dem Volke nur desto merkwürdiger und anziehender machten.

      Sibylle fuhr mit der Hand über das Gesicht, als ob sie den unheimlichen Eindruck verwischen wolle, den all dies Gerede auf sie gemacht hatte. Dann sagte sie: »Nun hört auf mit Euern tollen Geschichten, die mich grauen machen, hier in dem einsamen Busch. Was wolltet Ihr eigentlich von mir?«

      »Ich wollte Euch um etwas gebeten haben. Ich habe einen Gesellen für Euch, einen derben Burschen, der Arbeit auf Euerm Hammer nehmen will.«

      »Und wer ist das?«

      »Ein armer Teufel, СКАЧАТЬ