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СКАЧАТЬ der Mittelturm; der General stand auf dem Vordach von Lamleys Laden, das Fernrohr am Auge. Das Leben aller hing davon ab, daß sie durch Feindesland zu ihnen ritt. Und hier galoppierte sie nun durch die Wüste. Sie begann zu hopsen. Es wurde dunkel. Die Straßenlaternen wurden angezündet; der Laternenanzünder steckte seine Stange durch das Falltürchen hinauf. Die Bäume in den Vorgärten warfen ein schwankendes Netzwerk von Schatten auf den Gehsteig; der Gehsteig erstreckte sich breit und dunkel vor ihr. Dann kam der Straßenübergang; und dann kam Lamleys Laden auf der kleinen Insel von Kaufläden gegenüber. Sie brauchte bloß die Wüste zu durchqueren, den Fluß zu durchfurten, und sie war in Sicherheit. Die Hand schwenkend, die die Pistole hielt, gab sie ihrem Pferd die Sporen und galoppierte die Melrose Avenue entlang. Als sie an der Briefkastensäule vorbeilief, tauchte unter der Gaslaterne plötzlich die Gestalt eines Mannes auf.

      »Der Feind!« rief Rose sich zu. »Der Feind! Bums!« rief sie, zog am Hahn ihrer Pistole ab und sah ihm voll ins Gesicht, als sie an ihm vorbeikam. Es war ein abscheuliches Gesicht: bleich, wie abgeschält, blatternarbig; es grinste sie schauerlich an. Er streckte den Arm aus, als wollte er sie aufhalten. Fast hätte er sie erwischt. Sie raste an ihm vorbei. Das Spiel war aus.

      Sie war wieder sie selbst, ein kleines Mädel, das seiner Schwester nicht gehorcht hatte, in Hausschuhen, und nun in Lamleys Laden Zuflucht suchend.

      Mrs. Lamley mit ihrem frischen Gesicht stand hinter dem Ladentisch und faltete die Abendzeitungen. Sie überdachte, hier zwischen ihren Zweipenny-Uhren, auf Karton aufgenähten Scheren und Nagelfeilen, den Spielzeugschiffchen und Schachteln billigen Briefpapiers, irgend etwas Angenehmes, wie es schien, denn sie lächelte. Da stürzte Rose herein. Fragend sah Mrs. Lamley auf.

      »Hallo, Rosie!« rief sie. »Was willst du denn, mein Kind?«

      Sie ließ die Hand auf dem Stoß Zeitungen ruhn. Rose stand da und keuchte. Sie hatte vergessen, weswegen sie gekommen war.

      »Ich möcht’ die Schachtel mit den Enten in der Auslage«, erinnerte sich Rose endlich.

      Mrs. Lamley watschelte hinter dem Ladentisch hervor, um sie zu holen.

      »Ist’s nicht eigentlich sehr spät für ein kleines Mädel wie dich, um allein aus zu sein?« fragte sie und sah sie an, als wüßte sie, daß sie in Hausschuhen gekommen war und ihrer Schwester nicht gehorcht hatte.

      »Gute Nacht, mein Kind, und jetzt lauf schön nach Haus!« sagte sie, als sie ihr das Päckchen reichte. Die Kleine schien auf der Schwelle zu zögern; sie stand da und starrte auf die Spielsachen unter der Petroleum-Hängelampe; dann trat sie widerstrebend auf die Straße hinaus.

      Ich hab’ meine Botschaft dem General persönlich überbracht, sagte sie sich, als sie wieder draußen auf dem Gehsteig stand. Und das ist die Trophäe, sagte sie, die Schachtel fest unter den Arm klemmend. Ich kehre im Triumph zurück, mit dem Kopf des Haupträdelsführers, sagte sie sich, das Stück der Melrose Avenue vor sich überblickend. Ich muß meinem Pferd die Sporen geben und galoppieren. Aber die Geschichte wirkte nicht mehr. Die Melrose Avenue blieb die Melrose Avenue. Sie blickte das lange Stück leerer Straße vor sich entlang. Die Bäume ließen ihre Schatten über den Gehsteig zittern. Die Laternen standen weit auseinander, und zwischen ihnen waren Tümpel von Dunkelheit. Sie begann zu traben. Plötzlich, als sie an der Briefkastensäule vorbeikam, sah sie den Mann abermals. Er lehnte mit dem Rücken an dem Laternenpfahl, und das Gaslicht flackerte über sein Gesicht. Als sie vorbeikam, zog er die Lippen ein und schnellte sie wieder vor. Er stieß einen miauenden Laut aus. Aber seine Hände griffen nicht nach ihr; die knöpften seine Kleider auf.

      Sie floh an ihm vorbei. Sie glaubte, ihn ihr nachkommen zu hören. Sie hörte seine Füße auf dem Gehsteig tappen. Alles schwankte, während sie lief; rote und schwarze Pünktchen tanzten vor ihren Augen, als sie die Türstufen hinaufrannte, den Schlüssel ins Schloß steckte und die Haustür öffnete. Es war ihr gleich, ob sie Lärm machte oder nicht. Sie hoffte, jemand werde herauskommen und zu ihr sprechen. Aber niemand hörte sie. Die Halle war leer. Der Hund schlief auf der Matte. Stimmen murmelten noch immer im Wohnzimmer.

      »Und wenn es fängt«, sagte Eleanor, »wird es viel zu heiß werden.«

      Crosby hatte die Kohlen zu einem großen schwarzen Vorgebirge gehäuft. Eine Fahne gelben Rauchs umschlängelte es verdrossen; die Kohlen begannen zu brennen, und sobald sie richtig brennen würden, wäre es viel zu heiß.

      »Sie kann sehn, wie die Pflegerin Zucker stiehlt, behauptet sie. Sie kann ihren Schatten an der Wand sehn«, sagte Milly. Sie sprachen von ihrer Mutter.

      »Und dann«, fügte sie hinzu, »daß Edward nichts von sich hören läßt ... «

      »Das erinnert mich«, sagte Eleanor. Sie durfte nicht vergessen, Edward zu schreiben. Aber dazu wäre nach dem Dinner Zeit. Sie hatte keine Lust zu schreiben; sie hatte keine Lust zu reden; so oft sie von ihren Mietern zurückkam, hatte sie ein Gefühl, als ginge mehreres zugleich vor. Worte wiederholten sich immerzu in ihrem Geist – Worte und Bilder. Sie dachte an die alte Mrs. Levy, wie sie aufgestützt im Bett saß, mit ihrem weißen Haar in einer dichten Masse wie eine Perücke, und das Gesicht rissig wie ein alter glasierter Topf.

      »Die was gewesen sind gut zu mir, auf die erinner’ ich mich ... Die was gefahren sind in ihre Kutschen, wie ich gewesen bin eine arme Witfrau, die was hat den Boden gerieben und die Wäsche gewaschen –« Hier hatte sie den Arm ausgestreckt, der gewrungen und weiß war wie eine Baumwurzel. »Die was gewesen sind gut zu mir, auf die erinner’ ich mich ... « wiederholte Eleanor, während sie ins Feuer blickte. Dann war die Tochter hereingekommen, die bei einem Schneider arbeitete. Sie trug perien so groß wie Hühnereier; sie hatte sich angewöhnt, sich das Gesicht zu schminken; sie war wunderhübsch. Aber Milly machte eine kleine Bewegung.

      »Ich hab’ mir grade gedacht«, sagte Eleanor, einer plötzlichen Eingebung folgend, »daß die Armen das Leben mehr genießen als unsereins.«

      »Die Levys?« fragte Milly geistesabwesend. Dann hellte sich ihr Gesicht auf. »Erzähl mir doch von den Levys«, fügte sie hinzu. Eleanors Beziehungen zu »den Armen« – den Levys, den Grubbs, den Paravicinis, den Zwinglers und den Cobbs – belustigten sie stets. Eleanor aber sprach nicht gern von »den Armen« wie von Leuten in einem Buch. Sie hegte große Bewunderung für Mrs. Levy, die an Krebs dahinstarb.

      »Oh, es geht ihnen ganz wie immer«, antwortete sie scharf. Milly warf einen Blick auf sie. Eleanor ist »brütig«, dachte sie. Es war ein Familienscherz: »Vorsicht, Eleanor ist brütig. Es ist ihr Mietertag.« Eleanor schämte sich dessen, aber sie war aus irgendeinem Grund immer reizbar, wenn sie von ihren Mietern zurückkam, – so viel Verschiedenes ging ihr gleichzeitig im Kopf herum: Canning Place; Abercorn Terrace; dieses Zimmer hier; das Zimmer dort. Dort saß die alte Jüdin aufrecht im Bett, in ihrem stickigen kleinen Zimmer; dann kam man hierher zurück, und hier war Mama krank, Papa brummig, und Delia und Milly stritten wegen einer Abendgesellschaft ... Aber sie unterbrach sich. Sie sollte versuchen, etwas zu sagen, was ihre Schwester amüsieren würde.

      »Mrs. Levy hatte den Mietzins bereit, erstaunlicherweise«, sagte sie. »Lily trägt dazu bei, arbeitet bei einem Schneider in Shoreditch. Sie kam herein, ganz mit Perlen und so Zeug behangen. Sie sind putzsüchtig – die Jüdinnen«, fügte sie hinzu.

      »Die Jüdinnen?« fragte Milly. Sie schien den Geschmack der Jüdinnen zu prüfen und ihn dann abzulehnen. »Ja«, sagte sie. »Aufgedonnert.«

      »Sie ist außerordentlich hübsch«, sagte Eleanor und dachte an die rosigen Wangen und die weißen Perlen.

      Milly lächelte; Eleanor trat immer für die Armen ein. Sie hielt Eleanor für den besten, den weisesten, den großartigsten Menschen, den sie kannte.

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