Die Jahre. Virginia Woolf
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Название: Die Jahre

Автор: Virginia Woolf

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788726643015

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СКАЧАТЬ auch Delia verwirrt. Wo war sie?

      »Hier, Mama! Hier!« sagte sie blindlings. »Hier, in deinem Zimmer.« Sie legte die Hand auf die Bettdecke.

      Mrs. Pargiter umklammerte sie nervös. Sie sah sich in dem Zimmer um, als suchte sie jemand. Sie schien ihre Tochter nicht zu erkennen.

      »Was ist denn?« fragte sie. »Wo bin ich?« Dann sah sie Delia an und erinnerte sich, »Oh, Delia – ich hab’ geträumt«, murmelte sie, halb wie sich entschuldigend. Sie lag eine kleine Weile und sah durchs Fenster hinaus. Die Laternen wurden angezündet, und ein plötzliches mildes Licht ging in der Straße draußen auf.

      »Es war ein schöner Tag ... « sie zögerte » ... für ... « Sie schien sich nicht erinnern zu können, wofür.

      »Ein herrlicher Tag, ja, Mama«, wiederholte Delia mit mechanischer Munterkeit.

      » ... für ... « versuchte es ihre Mutter abermals.

      Was für ein Tag war es? Delia konnte sich nicht erinnern.

      » ... für Onkel Digbys Geburtstag«, brachte Mrs. Pargiter endlich hervor. »Sag ihm von mir – sag ihm, wie sehr ich mich freue.«

      »Ich werd’s ihm sagen«, erwiderte Delia. Sie hatte vergessen, daß ihr Onkel Geburtstag hatte; aber ihre Mutter war sehr genau in solchen Dingen.

      »Tante Eugénie ... « begann sie.

      Ihre Mutter jedoch starrte auf den Toilettetisch. Ein Schimmer von der Laterne draußen ließ das weiße Tuch darauf äußerst weiß aussehn.

      »Schon wieder ein frisches Tuch!« murmelte Mrs. Pargiter grämlich. »Was das kostet, Delia, was das kostet – das ist’s, was mir Sorge macht.«

      »Es ist schon recht, Mama«, sagte Delia matt. Ihre Augen waren auf das Porträt des Großvaters gerichtet; warum, fragte sie sich, hatte der Künstler einenTupfen weißer Kreide auf seine Nasenspitze gesetzt?

      »Tante Eugénie hat dir Blumen gebracht«, sagte sie.

      Irgend etwas schien Mrs. Pargiter heiter zu stimmen. Ihr Blick ruhte versonnen auf dem reinen weißen Tuch, das sie einen Augenblick zuvor an die Wäscherechnung gemahnt hatte.

      »Tante Eugénie ... « sagte sie. »Wie gut ich mich an den Tag erinnere« – ihre Stimme schien voller und runder zuwerden – »an dem ihre Verlobung bekanntgegeben wurde. Wir waren alle im Garten; da kam ein Brief.« Sie machte eine Pause. »Da kam ein Brief«, wiederholte sie. Dann sagte sie eine Weile nichts mehr. Sie schien einer Erinnerung nachzuhängen.

      »Der liebe kleine Bub ist gestorben, aber abgesehn davon ... « Wieder hielt sie inne. Sie schien heute abend schwächer zu sein, dachte Delia, und etwas wie Freude sprang in ihr auf. Die Sätze waren noch unzusammenhängender als sonst. Welcher kleine Bub war gestorben? Sie begann die Wülste der Steppdecke zu zählen, während sie wartete, daß ihre Mutter weiterspreche.

      »Weißt du, alle Cousinen und Cousins pflegten im Sommer zusammenzukommen«, nahm ihre Mutter den Faden plötzlich wieder auf. »Dein Onkel Horace ... «

      »Der mit dem Glasaug’?« fragte Delia.

      »Ja, er hat sich das Aug’ auf dem Schaukelpferd verletzt. Die Tanten hielten so viel von Horace. Sie sagten immer ... « Nun kam eine lange Pause. Sie schien zu tasten, um die genauen Worte zu finden.

      »Wenn Horace kommt ... vergiß nicht, ihn wegen der Eßzimmertür zu fragen.«

      Eine seltsame Belustigung schien Mrs. Pargiter zu erfüllen. Sie lachte tatsächlich. Sie mußte wohl an einen Familienscherz von einst denken, vermutete Delia, als sie dieses Lächeln flackern und verschwinden sah. Dann war völlige Stille. Ihre Mutter lag mit geschlossenen Augen; die Hand mit dem einzigen Ring, diese weiße, abgezehrte Hand, ruhte auf der Steppdecke. In der Stille konnte sie ein Stückchen Kohle zwischen den Roststäben klickern hören und draußen das Plärren eines Hausierers die Straße entlang. Mrs. Pargiter sagte nichts mehr. Sie lag vollkommen still. Dann seufzte sie tief.

      Die Tür öffnete sich; die Pflegerin trat ein. Delia erhob sich und ging. Wo bin ich? fragte sie sich und starrte dabei auf einen weißen Krug, der von der untergehenden Sonne rosig getönt war. Einen Augenblick lang schien sie in einem Grenzland zwischen Leben und Tod zu sein. Wo bin ich? fragte sie sich, den rosa Krug anstarrend; denn alles sah seltsam aus. Dann hörte sie im obern Stockwerk Wasser rauschen und kleine Füße trappeln.

      »Da bist du ja, Rosie«, sagte Nannie und sah vom Rad der Nähmaschine auf, als Rose eintrat.

      Das Kinderzimmer war hell erleuchtet; auf dem Tisch stand eine Lampe ohne Schirm. Mrs. C., die jede Woche mit der Wäsche kam, saß in dem Lehnstuhl, eine Teetasse in der Hand. »Geh und hol deine Näharbeit wie ein braves Mädel!« sagte Nannie, als Rose Mrs. C. die Hand reichte. »Oder du wirst nie damit fertig werden bis zu Papas Geburtstag«, fügte sie hinzu und räumte auf dem Tisch einen Platz frei.

      Rose zog die Tischlade auf und nahm den Schuhsack heraus, den sie für den Geburtstag ihres Vaters mit einem Muster blauer und roter Blumen bestickte. Es waren noch mehrere Büschel kleiner, mit Bleistift vorgezeichneter Rosen auszufüllen. Sie breitete ihn auf den Tisch und betrachtete ihn, während die Kinderfrau weiter Mrs. C. von Mrs. Kirbys Tochter erzählte. Aber Rose hörte nicht zu.

      Dann werd’ ich allein gehn, entschied sie und strich den Schuhsack glatt. Wenn Martin nicht mit mir kommen will, dann werd’ ich allein gehn.

      »Ich hab’ meine Nähschachtel unten im Wohnzimmer gelassen«, sagte sie.

      »Na, dann geh und hol sie dir!« sagte Nannie achtlos; sie wollte fortsetzen, was sie Mrs. C, über die Tochter des Grünzeughändlers erzählt hatte.

      Nun hat das Abenteuer begonnen, sagte sich Rose, als sie auf den Zehenspitzen zum Kinderschlafzimmer schlich. Nun mußte sie sich mit Munition und Proviant versehn; sie mußte Nannie den Hausschlüssel stibitzen; aber wo war der? Jeden Tag wurde er an einem andern Platz versteckt, aus Furcht vor Einbrechern. Er wäre entweder unter dem Taschentuchbehälter oder in der kleinen Schachtel, wo Nannie die goldene Uhrkette ihrer Mutter aufbewahrte. Und da war er auch. Nun hatte sie ihre Pistole und ihr Pulver und Blei, dachte sie, während sie ihre eigne Geldbörse aus ihrer eignen Lade nahm, und genug Proviant, dachte sie, als sie ihren Hut und Mantel über den Arm hängte, für zwei Wochen.

      Sie schlich sich am Kinderzimmer vorbei die Treppe hinunter. Sie lauschte angestrengt, als sie an der Lernzimmertür vorbeikam. Sie mußte vorsichtig sein und nicht auf einen dürren Ast treten und kein Zweiglein unter ihrem Tritt knacken lassen, sagte sie sich, während sie auf den Zehenspitzen dahinging. Wieder blieb sie stehn und lauschte, als sie an der Tür von Mamas Schlafzimmer vorbeikam. Alles war still. Dann stand sie einen Augenblick auf dem Treppenabsatz und blickte in die Halle hinab. Der Hund lag auf der Matte und schlief; die Luft war rein; die Halle war leer. Aus dem Wohnzimmer hörte sie Stimmengemurmel.

      Sie öffnete die Haustür mit größter Behutsamkeit und schloß sie hinter sich mit kaum einem Klicken. Bis sie um die Ecke war, duckte sie sich dicht an der Mauer entlang, damit niemand sie sehn könne. Als sie die Ecke unter dem Goldregenstrauch erreichte, richtete sie sich auf.

      »Ich bin Pargiter von Pargiters Reiterei«, sagte sie, die Hand schwenkend, als zöge sie einen Säbel, »und ich reite zum Entsatz!«

      Sie ritt bei Nacht auf eine verzweifelte Unternehmung, zu einer belagerten Garnison, sagte sie sich. Sie hatte СКАЧАТЬ