Die Jahre. Virginia Woolf
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Название: Die Jahre

Автор: Virginia Woolf

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788726643015

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СКАЧАТЬ wo das Lampenlicht auf einen blühenden Baum fiel. Das Gras wurde unsichtbar, flüssig, grau wie Wasser.

      Er tat einen tiefen Atemzug der Befriedigung. Von allen Augenblicken des Tages war ihm dieser der liebste, wenn er so am Fenster stand und in den Garten hinaussah. Wieder atmete er die kühle, feuchte Luft ein und richtete sich dann auf und wandte sich ins Zimmer zurück. Er arbeitete sehr fleißig. Sein Tag war nach dem Rat seines Studienleiters in Stunden und halbe Stunden aufgeteilt; aber es blieben ihm doch noch fünf Minuten, bevor er beginnen müßte. Er schraubte den Docht der Leselampe hoch. Es war zum Teil das grüne Licht, das ihn ein wenig blaß und mager aussehen ließ. Aber er war sehr hübsch. Mit seinen klaren Zügen und dem blonden Haar, das er mit einer schnellen Bewegung seiner Finger zu einem Schopf hochstrich, sah er aus wie ein griechischer Jüngling auf einem Fries. Er lächelte. Er dachte, während er dem Regen zusah, daran, wie nach der Unterredung zwischen seinem Vater und seinem Studienleiter, bei der der alte Harbottle gesagt hatte: »Ihr Sohn hat Aussichten«, sein Alter Herr darauf bestanden hatte, sich die Bude anzusehn, die auch schon sein Vater bewohnt hatte, als er im College Student war. Sie waren hineingeplatzt und hatten einen Burschen namens Thompson dabei angetroffen, wie er kniend das Feuer mit einem Blasbalg anfachte.

      »Mein Vater hatte diese Zimmer, Sir«, hatte der Oberst gewissermaßen als Entschuldigung gesagt. Der junge Mann War sehr rot geworden und hatte geantwortet: »Oh, das macht nichts.« Edward lächelte. »Oh, das macht nichts«, wiederholte er. Es war Zeit anzufangen. Er schraubte den Docht ein wenig höher. Als die Lampe heller brannte, sah er seine Arbeit in einem scharfen Kreis klaren Lichts aus dem umgebenden Dämmer herausgeschnitten. Er blickte auf die Lehrbücher, auf die Lexika, die vor ihm lagen. Er hegte immer etliche Zweifel, bevor er anfing. Der Vater würde sich schrecklich kränken, wenn er nicht mit Auszeichnung bestünde; sein Herz hing daran. Er hatte ihm ein Dutzend Flaschen feinen alten Portweins geschickt, »als Steigbügeltrunk«, so hatte er gesagt. Aber jedenfalls war sie Marsham so gut wie sicher; und da war noch der gescheite kleine Judenjunge aus Birmingham – doch es war Zeit anzufangen. Eine nach der andern begannen die Glocken von Oxford ihr langsames Geläut durch die Luft zu schieben. Sie läuteten gewichtig, ungleichmäßig, als müßten sie die Luft aus dem Weg rollen und die Luft wäre schwer. Er liebte den Klang der Glocken. Er lauschte, bis der letzte Schlag verhallt war; dann zog er den Stuhl an den Tisch; es war Zeit; er mußte nun arbeiten.

      Eine kleine Einkerbung zwischen seinen Brauen vertiefte sich. Er runzelte die Stirn beim Lesen. Er las; und er machte sich eine Aufzeichnung; dann las er weiter. Alle Klänge waren ausgelöscht. Er sah nichts als das Griechische da vor sich. Aber während er las, erwärmte sich sein Gehirn allmählich; er war sich bewußt, daß alles in seiner Stirn sich regte und spannte. Er erfaßte Phrase nach Phrase genau, fest; genauer, so gewahrte er, während er eine kurze Anmerkung an den Rand schrieb, als gestern abend. Kleine, nebensächliche Wörter enthüllten nun Bedeutungsschattierungen, die den Sinn abänderten. Er machte wieder eine Anmerkung; das war der Sinn. Seine Geschicklichkeit, mit der er ihn im Kern zu fassen kriegte, verursachte ihm ein jähes Gefühl der Erregung. Da hatte er ihn, säuberlich und vollständig. Aber er mußte genau sein; präzis; sogar seine kleinen hingekritzelten Anmerkungen mußten klar wie Kristall sein. Er griff nach diesem Buch hier; dann nach jenem dort. Dann lehnte er sich zurück, die Augen geschlossen, um besser zu sehen. Er durfte nichts in Verschwommenheit wegschwinden lassen. Die Uhren begannen zu schlagen. Er lauschte. Die Uhren schlugen weiter. Die Linien, die sich in sein Gesicht eingegraben hatten, erschlafften; er lehnte sich zurück; seine Muskeln entspannten sich; er blickte von seinen Büchern in das Dämmer auf. Er hatte ein Gefühl, als hätte er sich nach einem Wettlauf auf den Rasen geworfen. Aber für einen Augenblick schien es ihm, als liefe er noch immer; sein Geist eilte ohne das Buch weiter. Er reiste allein, ohne Belastung, durch eine Welt reinen Sinns; aber allmählich verlor sie ihren Sinn. Die Bücher an der Wand traten hervor. Er sah die rahmfarbene Holztäfelung; ein Büschel Mohnblumen in einer blauen Vase. Der letzte Stundenschlag war verklungen. Er seufzte und erhob sich vom Tisch.

      Er stand wieder am Fenster. Es regnete, aber das Weißliche war verschwunden. Nur da und dort schimmerte ein nasses Blatt, sonst war der Garten jetzt ganz dunkel – der gelbliche Hügel des blühenden Baums war verschwunden. Niedrig hingestreckt umgaben die College-Gebäude den Garten, hier rot gefleckt, dort gelb gefleckt, wo Licht hinter Vorhängen brannte; und dort lag die Kapelle, ihre Masse vor den Himmel gehäuft, der im Regen leise zu zittern schien. Aber es war nicht mehr still. Er lauschte; es war kein Laut im besondern zu hören; aber während er so stand und hinaus sah, summte das Gebäude von Leben. Ein plötzliches lautes Gelächter erklang; dann das Geklimper eines Klaviers; dann ein unbestimmtes Plappern und Klappern – zum Teil von Porzellan; dann wieder das Geräusch fallenden Regens und das Kichern und Glucksen, mit dem die Rinnsteine das Wasser aufsaugten. Er wandte sich ins Zimmer zurück.

      Es war frostig geworden; das Feuer war fast erloschen; nur ganz wenig Rot glühte unter der grauen Asche. Er erinnerte sich des sehr gelegenen Geschenks von seinem Vater; der Wein war diesen Morgen gekommen. Erging zu dem Wandtischchen und schenkte sich ein Glas Portwein ein. Als er es gegen das Licht hielt, lächelte er. Er sah wieder die Hand seines Vaters, mit zwei glatten Stümpfen statt Fingern, das Glas, wie er es stets tat, gegen das Licht halten, bevor er trank.

      »Man kann nicht kalten Bluts einem Kerl das Bajonett durch den Leib rennen«, hatte, so erinnerte er sich, sein Vater gesagt.

      »Und man kann nicht ins Examen steigen, ohne zu trinken«, sagte Edward. Er zögerte; er hielt, seinen Vater nachahmend, das Glas gegens Licht. Dann nippte er. Er stellte das Glas auf den Tisch vor sich hin. Er wandte sich wieder der »Antigone« zu. Er las; dann nippte er; dann las er; dann nippte er abermals. Ein sanftes Glühn verbreitete sich über sein Rückgrat bis ins Genick. Der Wein schien kleine trennende Türen in seinem Gehirn aufzudrücken. Und ob es nun der Wein oder die Worte oder beides war, eine leuchtende Hülle formte sich, ein purpurner Nebel, aus dem ein Griechenmädchen hervortrat; doch sie war Engländerin. Da stand sie zwischen dem Marmor und dem Asphodelos, und dennoch war sie hier, vor der William-Morris-Tapete und den Zierschränken, – seine Cousine Kitty, wie er sie das letzte Mal gesehn hatte, als er in der »Lodge« zum Abendessen war. Sie war beides – Antigone und Kitty; hier im Buch; da im Zimmer; leuchtend erstanden wie eine Purpurblume. Nein, nicht im geringsten wie eine Blume! Denn wenn je ein Mädchen sich aufrecht hielt, lebte, lachte und atmete, dann war es Kitty in dem weiß und blauen Kleid, das sie getragen hatte, als er letztesmal in der Lodge zum Abendessen war. Er ging ans Fenster. Rote Vierecke zeigten sich durch die Bäume. In der Lodge war Gesellschaft. Mit wem unterhielt sie sich? Was sagte sie? Er ging an den Tisch zurück.

      »Oh, verdammt!« rief er aus und stach mit dem Bleistift aufs Papier los. Die Spitze brach ab. Dann ertönte ein Klopfen an der Tür, ein gleitendes Klopfen, nicht ein befehlerisches; das Klopfen jemands, der vorübergeht, nicht jemands, der hereinkommen will. Er ging und öffnete die Tür. Dort auf der Stiege oben ragte die Gestalt eines hünenhaften jungen Mannes, der sich über das Geländer beugte. »Komm herein!« sagte Edward.

      Der hünenhafte junge Mann kam langsam die Stiege herab. Er war wirklich sehr groß. Seine Augen, die etwas vorstanden, wurden argwöhnisch, als er der Bücher auf dem Tisch ansichtig wurde. Er blickte auf die Bücher. Griechisch. Aber es war doch auch Wein da.

      Edward schenkte ein. Neben Gibbs machte er einen Eindruck, den Eleanor »pitzlig« nannte. Er selbst fühlte den Gegensatz. Die Hand, mit der er das Glas hob, war wie die Hand eines Mädchens neben Gibbs’großer roter Tatze. Gibbs’ Hand war von der Sonne scharlachrot gebrannt; sie sah aus wie ein Stück rohes Fleisch.

      Fuchsjagden waren ihr gemeinsames Interesse. Also redeten sie von Fuchsjagden. Edward lehnte sich zurück und überließ Gibbs das Reden. Es war sehr angenehm, wenn man Gibbs zuhörte, so auf diesen englischen Heckenwegen dahinzureiten. Er sprach vom Jungfüchse-Ausheben im September; und von einem unzugerittenen, aber anstelligen Jagdpferd. »Du erinnerst dich doch«, sagte er, »an die Farm rechts am Weg nach Stapleys hinauf? Und an das hübsche Mädel dort?« Er blinzelte. »Das Pech ist, daß sie jetzt mit einem Wildhüter СКАЧАТЬ