Hofräte, Einflüsterer, Spin-Doktoren. Manfred Matzka
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СКАЧАТЬ Instrument, da sie kräftige Verbrecher gegenüber Schwächlichen begünstige. Abermals führt seine Kritik am Gesetz zu einer Anzeige, 1772 erfolgt eine offizielle Rüge durch die Hofkanzlei. Maria Theresia erhält Kenntnis davon, dass Sonnenfels fortwährend von der Lehrkanzel herab gegen die Tortur spreche, und lässt ihm ausrichten, „er solle aufhören, so anzüglich zu reden, weil er sonst entfernt werden müsse“.

      Doch gleichzeitig nimmt nun angesichts spektakulärer Einzelfälle auch die öffentliche Kritik an der Folter im Strafverfahren zu. Sogar die medizinische Fakultät erstattet ein Gutachten über deren schädliche Auswirkungen. Maria Theresia schränkt daraufhin ihre Anwendung ein, allerdings ohne sie aus dem Gesetz zu streichen. 1773 erteilt die Kaiserin an mehrere Behörden den Auftrag, Gutachten zu erstellen, und beruft Sonnenfels in ein Koordinierungsgremium. Als er sich dort gegen die Befürworter nicht durchsetzt, geht er mit einem Votum Separatum gegen die Folter an die Öffentlichkeit. Dieses Druckwerk führt wieder zu einem Verfahren gegen ihn.

      Der kaiserliche Mitregent Joseph II. hat mittlerweile bei seiner Mutter erreicht, dass die Entscheidung über eine Reform des Strafrechts vollständig in seine Hände gelegt wird. Das und eine breite Unterstützung der Öffentlichkeit ermöglichen es Sonnenfels nun, sich in diesem Verfahren wieder direkt an die Kaiserin zu wenden.

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      Anleitung zur korrekten Folter in der Constitutio Criminalis Theresiana, der „peinlichen Gerichtsordnung“ Maria Theresias

      „Die Kaiserin bestimmt einen Tag zur Audienz. Als Sonnenfels in den Audienzsaal getreten ist, lässt sich die Kaiserin auf einen Sessel nieder und Sonnenfels beginnt – nach damaliger Hofsitte auf einem Knie ruhend – den Vortrag. Die Kaiserin nimmt wahr, daß ihm diese Stellung beschwerlich ist und sagt zu ihm: ‚Knie er sich näher zu mir und lege er seine Schriften auf meinen Schooß.‘ Sonnenfels kommt diesem Auftrage nach und hält mit seiner bekannten Rednergabe einen glänzenden Vortrag für Abschaffung der Tortur. Am Schlusse dieses Vortrages treten der tief ergriffenen Kaiserin Thränen in die Augen, und in diesem Augenblick vergisst Sonnenfels die Hofsitte, erhebt sich von den Knien und spricht mit Begeisterung: ‚Wenn Europa diese Thränen in den Augen der größten Monarchin unserer Zeit gesehen hätte, so würde es keinen Augenblick zweifeln, daß die Tortur in Oesterreich sogleich abgeschafft wird.‘ Die Kaiserin trocknet die Thränen, legt ihre Hand auf des Redners Schulter und sagt zu ihm: ‚Laß Er’s gut sein, die Tortur wird abgeschafft.‘“ Am 2. Jänner 1776 wird öffentlich kundgemacht, dass in den österreichischen Staaten die Tortur aufgehoben ist.

      Das Ende der Folter im Habsburgerreich wird dem Aufklärer von da an als persönliches Verdienst zugeschrieben. Wieweit auch andere Personen entscheidenden Einfluss ausübten, lässt sich aus heutiger Sicht schwer sagen. Doch ist unbestreitbar, dass er hier mutig, nachhaltig und erfolgreich als Berater wirkte und diese historische Entscheidung maßgeblich mitgestaltete.

      Es wäre aber nicht Sonnenfels, wenn er sich mit diesem Erfolg zufriedengäbe. Er bleibt provokant und wird auch weiterhin öffentlich als Religionsspötter und Verführer der Jugend kritisiert, was auch in den Folgejahren immer wieder zu offiziellen Untersuchungen führt. Diese bewirken allerdings das Gegenteil: Maria Theresia ernennt ihn 1779 zum Wirklichen Hofrat bei der böhmischen und österreichischen Hofkanzlei sowie zum Beisitzer der Studien- und Zensurkommission.

      Als die Monarchin im Jahr darauf stirbt, ist Sonnenfels an ihrem Totenbett anwesend und gibt Zeugnis, wie präzise sie ihrem Sohn Joseph II. die Geschäfte im Detail übergeben hat – „über jedes Reich, jede Provinz im Einzelnen (…) den Zusammenhang, das Verhältnis, über die Schwäche und Stärke jedes Theiles (…)“. Der Tod der Kaiserin ist indes für ihn ein schwerer Schlag. Mit dem neuen Herrscher verbindet ihn kein persönliches Naheverhältnis und in der Vergangenheit gab es mehrmals Konflikte. So bemüht sich der Herr Professor wieder um ein Amt nahe beim Kaiser. Da Joseph II. bei der Integration der Zensurbehörde in die Studienkommission erneut Expertise benötigt, wird Sonnenfels ein zweites Mal Zensor. Er koordiniert, beeinflusst Personalbesetzungen und gibt wohl auch Voten über Bücher ab – zehn Jahre lang.

      Noch eine weitere Aufgabe übernimmt der Professor: Im Auftrag des Kaisers unterzieht er ab 1781 alle neuen Gesetze einer sprachlichen Revision und ist damit als einer der Schöpfer der österreichischen Gesetzes- und Amtssprache zu sehen. Sein Projekt einer Sammlung von politischen Gesetzen („politischer Kodex“), das nach seinem Tod 1818 endgültig scheitert, ist mehr als eine Kompilation. Es umschreibt damit eine durch Regierungsleitlinien verfassungsmäßig begrenzte Monarchie – ein Vorgriff auf konstitutionelle Prinzipien des nächsten Jahrhunderts.

      Die„Polizey“-Gesetzgebung beschäftigt ihn intensiv und über lange Zeit – und „Polizey“ ist damals ein weit umfassenderer Begriff als die heutige Sicherheitsverwaltung. Sie meint alle inneren Angelegenheiten einschließlich der Bildung und der öffentlichen Wohlfahrt. Er sammelt und studiert die Gesetze und Informationen über Einrichtungen fremder Staaten mit dem Ziel, „die wirklichen und scheinbaren Gegensätze in denselben aufzusuchen und mit Beseitigung des Unhaltbaren oder durch die veränderten Zeitverhältnisse überflüssig Gewordenen, ein den Anforderungen der Gegenwart entsprechendes Elaborat zu bringen“.

      Auch bei der Strafrechtsreform wird der Reformer noch einmal von Joseph II. als Konsulent herangezogen. Die Kommission zur Einschränkung der Todesstrafe wird von seinem Schüler Georg von Keeß geleitet. Dieser unterbreitet dem Kaiser 1783 einen gemeinsam mit Sonnenfels erstellten Strafgesetzentwurf, der sich eng an dessen Lehrbuch anlehnt. 1787 tritt schließlich das Gesetz in Kraft, mit dem auch die Todesstrafe im regulären Strafrecht abgeschafft wird. Sonnenfels’ Vorschläge beschränken sich übrigens nicht nur auf Leibesstrafen, sondern berühren auch weitere Details: So tritt er dagegen auf, gefallenen Mädchen auch noch die Kirchenbuße aufzuerlegen; vielmehr soll man ihnen die geheime Entbindung erleichtern.

      Joseph von Sonnenfels ist ein Netzwerker von hohem Talent. Es liegt also nahe, sich auch in Kreisen zu engagieren, in denen sich seit dem Amtsantritt Josephs II. viele fortschrittliche Geister organisieren: bei den Freimaurern. Immer mehr Beamte sind in den Logen in Wien versammelt. In der Eliteloge „Zur wahren Eintracht“ sind es 62 von 176 Mitgliedern, und ihr Meister Ignaz von Born ist selber Hofrat der Hofkammer. Auch bei den „Drei Adlern“ und beim „Palmenbaum“ ist ein Fünftel Beamte. Insgesamt sind es rund 200 Personen in einflussreichen Positionen, und es hat natürlich Auswirkungen, wenn sie alle gezielt und im Gleichklang nachhaltig auf das Dutzend Minister einwirken, bei denen sie dienen.

      So wird Sonnenfels, der schon 1776 einen ersten Kontakt zur Leipziger Loge geknüpft hat, 1782 Mitglied der „Wahren Eintracht“ und zählt danach mit seinen Freunden Ignaz von Born, Aloys Blumauer und Joseph Freiherr von Retzer zu den Führern der Freimaurer in Wien. Er wird Stellvertreter Borns und organisiert ein intensives Wissenschaftsund Vortragsprogramm, über das auch in einem eigenen Journal berichtet wird. 1784 gründet er eine Landesloge für das gesamte Habsburgerreich, deren Chef übrigens Fürst Dietrichstein wird, der Gönner seiner frühen Jahre. Er selbst wird Meister der Distriktloge „Zur wohltätigen Eintracht“. Born und Sonnenfels führen überdies noch eine Organisation innerhalb der Organisation, nämlich den geheimen Orden der Illuminaten, in dem auch Hofkanzler Leopold von Kolowrat Mitglied ist. So kann Sonnenfels ein persönliches Verhältnis zum Hofkanzler aufbauen, der bei seinen Verwaltungsprojekten sein Vorgesetzter ist.

      Dieses Netzwerk von Influencern und Lobbyisten wird allerdings Ende 1785 durch das Freimaurerpatent stark beschnitten. Damit ist die Organisation für Sonnenfels kein Thema mehr und er tritt aus. Jahre später werden unter Kaiser Franz I. 1797 alle Logen verboten und ab 1801 müssen die Beamten jährlich schwören, keiner Geheimgesellschaft anzugehören. Es wird bis ins 20. Jahrhundert, bis nach dem Zweiten Weltkrieg dauern, dass diese Vereinigung wieder maßgeblichen und organisierten Einfluss in der österreichischen Verwaltung, insbesondere im Kultur- und Gesundheitsbereich, erlangt.

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