Hofräte, Einflüsterer, Spin-Doktoren. Manfred Matzka
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Hofräte, Einflüsterer, Spin-Doktoren - Manfred Matzka страница 10

СКАЧАТЬ Beamten, selbst den reformfreudigsten unter ihnen. Er setzt kontrollierende Hofkommissäre ein und drängt in „Hirtenbriefen“ immer wieder auf eine raschere Umsetzung seiner Entscheidungen. „Auf die mechanisch-knechtische Art ist es unmöglich, mit Nutzen die Geschäfte zu betreiben.“ Er kann sich also nicht auf die Beamtenschaft in ihrer Gesamtheit verlassen und deren Rat und Unterstützung suchen. Joseph II. hört nur auf wenige Gleichgesinnte in den Verwaltungsspitzen, und auch diese wählt der Kaiser sorgfältig und ausschließlich für ganz bestimmte Projekte aus. Im Licht dieser Bedingungen steht auch Sonnenfels’ Wirkungsrahmen ständig zur Disposition.

      Als im Jahr 1790 Leopold II. die Kaiserkrone übernimmt, ist Sonnenfels ein vielgeachteter Mann, auf dessen Wort man im Allgemeinen Wert legt. Als er Leopold aber anbietet, ihn direkt, regelmäßig und persönlich in einer Art privater Vorlesungen zu beraten, lehnt dieser dankend ab. Man nimmt zwar seine Dienste in Anspruch, persönlicher Vertrauter des Kaisers aber ist er nicht mehr. Leopold notiert über ihn: „(…) ein Mann von großem Talent, sehr fähig und ein großer Arbeiter, aber voll Anmaßung und Eitelkeit, lobt sich immer selbst, äußerst fanatisch, macht alle Sachen mit dem größten Aufsehen und Publizität, spricht zuviel und rühmt sich zuviel, übernimmt viele Verpflichtungen, die er dann nicht erfüllen kann.“

      Dennoch nimmt der Kaiser 1791 Sonnenfels’ Gesuch um Befreiung vom universitären Lehramt an und spielt ihn damit wieder für Legistikaufgaben frei. Er bleibt zwar Mitglied der Fakultät, wird aber Vizepräsident der Hofkommission in Gesetzessachen und der Kommission für die Sammlung politischer Gesetze. Zusätzlich erhält er den Auftrag, eine neue „Polizeyverfassung“ für Wien auszuarbeiten.

      1791 legt er den Text eines modernen Gesetzes zur Bekämpfung des Wuchers vor. Er schlägt vor, Zinsen nicht zu verbieten, sondern so zu regeln, dass es der Wirtschaft nützt, aber Existenzvernichtungen hintanhält. Das Thema beschäftigt ihn schon lange. Bereits gegenüber Maria Theresia hat er das Zinsennehmen verteidigt. Als damals ein Priester, der das Vertrauen der Kaiserin besaß, meinte, es „steht in der Heiligen Schrift geschrieben: Du sollst keine Wucherzinsen nehmen“, entgegnete Sonnenfels scharfzüngig: „Hochwürden, jeder von uns ist ein Wucherer. Sie selbst sind der ärgste Wucherer, für 4000 Gulden verkaufen Sie Ihrer Majestät Ihre frommen Dienste; ich kenne einen würdigen Caplan, der für den zwanzigsten Theil Ihres Einkommens dieselben Dienste leisten würde.“

      Sonnenfels spürt, dass unter Leopold sein Stern verblasst, und kämpft dagegen nach Kräften an. Als sein gegen seinen Willen vom Kaiser eingesetzter Nachfolger an der Universität bei den Ämtern Akteneinsicht erhalten will, hintertreibt er das; als dieser eine Zeitschrift gründet, gründet er eine andere dagegen; einen kritischen biografischen Artikel versucht er zu verhindern; ein kaiserliches Dekret zugunsten des Nachfolgers schreibt er gar um. Doch all das nützt letztlich nichts – er bleibt in die zweite Reihe abgedrängt.

      Bis zu einem gewissen Teil hat er sich das selbst zuzuschreiben, man spöttelt darüber, dass er viel spricht und sich nur zu gern reden hört. „Ein Bittsteller steht eine Stunde vor ihm – er redet kein Wort. Sonnenfels allein spricht ununterbrochen. Er entlässt den Menschen. ‚Mit dem jungen Manne‘, erzählt er, ‚habe ich mich trefflich unterhalten‘.“ Ein anderer Kritiker bedient gängige Vorurteile: „Sonnenfels hatte Vieles, was dem zehnmal getauften Juden durch ganze Eimer von Taufwasser nicht wegzuwaschen ist: So war er Egoist, von maßlosem Eigendünkel erfüllt, eifersüchtig und unduldsam gegen andere Talente, insbesondere wenn er besorgte, dass sie ihn verdunkeln, in seinem Einflusse beschränken oder gar verdrängen könnten; er war ehrgeizig und strebte im Übermaß nach Ehren und Würden.“

      Aber Sonnenfels gibt nicht auf. Er organisiert aus dem Hintergrund eine wahre Schriften- und Vorträgeschlacht an der Universität und reorganisiert sein Wiener Netzwerk. Als Leopold 1792 unerwartet früh verstirbt, ist er wieder da: 1794 und 1796 wählt ihn die Universität zu ihrem Rektor magnificus. Gleichzeitig jedoch muss er ohne einen seiner stärksten Verbündeten der vergangenen 30 Jahre auskommen: Kanzler Kaunitz ist 1792 zurückgetreten und zwei Jahre später verstorben.

      In den Jahren nach 1796 wird Sonnenfels nochmals in eine Vielzahl legistischer Projekte einbezogen. Seine Tätigkeiten reichen von der abermaligen Überarbeitung des Strafgesetzbuches, der Redaktion des späteren Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches bis zum Abfassen juristischer Gutachten und Kommentare. Die Erstellung eines Codex für die gesamte Staatsverwaltung, den er 1808 beginnt, kann er allerdings nicht mehr abschließen.

      Das Ansehen und öffentliche Ehrungen bleiben dem betagten Professor erhalten. Er pflegt seine sozialen Beziehungen, so hat er etwa engen Kontakt zu Ludwig van Beethoven, der ihm 1802 seine Klaviersonate in D-Dur widmet. Für seine besonderen Verdienste erhält er 1804 das Kleinkreuz des St. Stephans-Ordens, Wien verleiht ihm 1806 das Bürgerrecht. 1810 wird Sonnenfels zum Präsidenten der k. k. Akademie der bildenden Künste ernannt. Kanzler Klemens Fürst Metternich, auf den diese Bestellung zurückgeht, lobt dabei Sonnenfels überschwänglich, aber nicht ohne spöttischen Unterton, als „würdigen Greis“. Tatsächlich wirkt der mittlerweile Achtzigjährige noch immer aktiv im Management der Akademie, organisiert sie um, macht Personalpolitik und gründet neue Institute.

      Politisch hat er jedoch nichts mehr zu sagen. Er ist, obgleich noch immer geistig und publizistisch aktiv, wegen seiner Gebrechlichkeit an die Stube gefesselt, die er nur noch verlässt, um Feierlichkeiten in der Akademie beizuwohnen. Er wird immer verbitterter, und da er sonst kaum eine Gelegenheit hat, seinem Groll Luft zu machen, nutzt er die Anlässe in der Akademie, um sich seinen Pensionsschock und seine Enttäuschungen von der Seele zu reden. Er beurteilt scharfzüngig Tagesereignisse und ist verzweifelt darüber, dass im öffentlichen und politischen Leben Widerstand gegen falsche Regierungsentscheidungen nutzlos und unmöglich geworden ist.

      Sonnenfels stirbt im Alter von 85 Jahren am 25. April 1817 in seinem Haus in der Wollzeile. Er wird im Stephansdom feierlich eingesegnet und auf dem Friedhof St. Marx beerdigt. Sein Grab aber erleidet dasselbe Schicksal wie jenes Mozarts: 1843 stellt der Registraturdirektor der vereinigten Hofkanzlei fest, dass dessen genaue Lage leider vergessen ist.

      In seinem Testament schreibt Sonnenfels: „Ich besitze kein Vermögen, das ist bekannt; ich habe mich während meiner vieljährigen arbeitsamen Laufbahn nur bestrebt, meine Pflicht zu erfüllen, nicht Vermögen zu sammeln. Meine Gattin brachte mir dreitausend Gulden zur Mitgift, deren Empfang ich hiermit noch einmal bestätige; ich versprach selbe mit sechstausend Gulden zu widerlegen (…). Ich ersuche (sie), an das Armen-Institut fünfzig Gulden abzuführen. Ihrem wohlthätigen Herzen überlasse ich, mein Dienstvolk nach Verhältnis ihrer Dienstjahre und der dem Hause bezeugten Ergebenheit zu belohnen. Und nun, theuere Gefährtin meines Lebens, empfange die Versicherung, daß meine innigste Verehrung und Dankbarkeit für die Glückseligkeit von acht und vierzig Jahren mich hinaus über das Grab beglücken wird.“Der Erlös der Habseligkeiten des Hofrats beträgt letztlich nur 3.000 Gulden, daher belässt Kaiser Franz der Witwe die gesamte Besoldung als Pension.

      Der Hofrat und Professor Joseph von Sonnenfels war Teil eines besonderen Beratungssystems. Maria Theresia und Joseph II., beide Vertreter des aufgeklärten Absolutismus, nahmen eine ganze Reihe solcher Ratgeber in Anspruch: Bartenstein, Zinzendorf, Kaunitz, Haugwitz, Daun, Laudon, van Swieten, Martini, Zeiller, Pergen, Keeß sind hier zu nennen, und die Liste ist keineswegs vollständig.

      Das war keine individuelle Marotte dieser Herrscherpersönlichkeiten, sondern vielmehr der zunehmenden Komplexität des Gemeinwesens geschuldet, das effiziente Strukturen und professionelles Verwaltungspersonal erforderte. Die obersten Amtsträger mussten erfolgreich sein, die ererbte Gnade Gottes reichte nicht mehr aus, dauerhaft die Herrschaft einer Person oder Dynastie zu sichern. Um die Rolle des erfolgreichen Regenten erfüllen zu können, musste er sich gute Berater suchen, um alles zu wissen und alles zu können. Die Verwaltung sollte im Interesse der Effizienz und Nachhaltigkeit an Regeln gebunden werden, was eine präzise Formulierung rechtsstaatlicher СКАЧАТЬ