Große Werke der Literatur XV. Группа авторов
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СКАЧАТЬ de l’Europe“ in Paris17 – „quartier de l’Europe“: ein bezeichnender Name –, wo La bête humaine beginnt. Und dieser reale Nexus der beiden Szenerien (in der Tat ein totum für zwei getrennte partes), anders gesagt: dieser fern reichende, bei Fontane ganz feine, für Zola starke und laute, gleichwohl gemeinsame ‚Erzählfaden‘ scheint mir alles andere als beliebig. Sieht man nur etwas genauer hin, dann entdeckt man hier viele weitere solcher metonymischen Gemeinsamkeiten.

      In La bête humaine geht es, vereinfacht, aber nicht falsch gesagt, um die menschliche Fähigkeit zu töten, ja zu morden, die sich in der technisierten Genauigkeit und Brutalität der Eisenbahn spiegelt: Mord aus Gier, aus Eifersucht, vor allem aber, so ist das bei Zola, aus ererbter, triebhafter, unentrinnbarer Aggressivität. Die bricht zuletzt beim Romanhelden Jacques Lantier durch. Und diese ‚menschlich bestialische‘ Brutalität spiegelt sich auch im zentralen Eisenbahn-Unfall wieder, zuletzt im Krieg von 1870, in den dieser Roman mündet. Dieser ‚Erzählfaden‘ der Eisenbahn, bei aller Verschiedenheit der beiden ‚partes‘ bei Fontane und Zola zeigt nun durchaus auch ein ‚Muster‘: Wie hat bei Zola die drastische Serie von Mord und Totschlag begonnen? Der reiche und mächtige Eisenahndirektor hatte vor Jahren sein Mündel Sévérine sexuell ausgebeutet. Ihr Mann ermordet ihn später aus Eifersucht und verletztem Stolz, und das auf brutale und zugleich raffinierte Weise. Damit setzt die eigentliche Handlung ein.18 Der einzige Zeuge, Jacques Lantier, schweigt. Aber die beobachtete Tat ‚weckt‘ den Triebtäter in ihm auf, und am Ende des Romans wird er Sévérine ermorden.

      Alles sehr kräftig und laut und weit entfernt von den feinen Erzählfäden Fontanes. Aber wenn in Cécile der alte Fürst die sehr junge Cécile ihrer Mutter sozusagen ‚abgekauft‘ hat, und sein Sohn sie als Maitresse weiter ‚beschäftigt‘, zeigt sich da nicht ganz fein letztlich doch dieselbe ‚Erzählfarbe‘ der ökonomisch-sexuellen Ausbeutung? St. Arnaud, der sich selbst zu den „Leuten vom Fach [des Tötens]“ zählt (212), und der überhaupt von Anfang an von Todes-Motiven umgeben ist, erschießt seine Gegner ganz gesittet im Duell, aber die ’Ich-Kränkung‘, die aus seinem Handeln spricht, reicht offensichtlich, und letztlich doch wie die in La bête humaine, viel weiter und tiefer zurück, als der jeweilige Anlass. Und so wie es erzählt wird, scheint er den ‚Kick‘ des Tötens durchaus zu genießen. Lebt da nicht doch irgendwo ein eleganter ‚Triebtäter‘ in ihm, der töten will, eine verfeinerte und dekadente bête humaine? Cécile, eine schöne, aber schwache Frau wie Sévérine (beide zeittypische femmes fragiles), wird nicht ermordet, aber leidet an der Ächtung durch ihre bürgerliche Umwelt, nicht zuletzt an der fast reflexhaften Beleidigung durch ihren Geliebten, und sie stirbt daran. Und hier wie dort verstärkt das Verschweigen und Verdrängen das Konfliktpotential von verletzter Natur und gesellschaftlichem Druck. Hier wie dort entsteht eine unentrinnbar gefährliche, letztlich naturalistische Dramatik, die sich, bei allen Unterschieden, dann ja auch in Cecile gewaltsam entlädt.19

      Doch nun gilt es natürlich auch das Trennende zu sehen. Zu verbinden und in eins damit zu trennen, gehört ja ganz wesentlich zur Figur der Metonymie. Für Zola ist die Eisenbahn Teil eines ‚natürlichen‘ Systems, in dem physikalisch-technische, wirtschaftliche, physiologische und eben auch psychische Gesetze zur Anwendung kommen und sich wechselseitig potenzieren. Dieses System von Gesetzen kann viel zerstören, aber es wird auf lange Sicht, der Gedanke prägt vor allem die letzten Romane des Rougon-Macquart-Zyklus, durch alle Katastrophen hindurch sich selbst regenerieren und heilen. Die Maschinerie der Eisenbahn ist Teil dieses Systems, und vor allem die Lokomotive wird zu einem lauten, kraftvollen, oft zerstörerischen, geradezu mythischen Monster überhöht. Aber letztlich führt sie eben doch in eine bessere Zukunft hinein.20

      Fontane erzählt lediglich Metonymien dieses naturalistischen Systems, weil er ganz anders argumentiert. Seine Metonymien übersetzen die naturalistischen ‚Fäden‘ in ein ganz anderes ‚Gewebe‘, einen ganz anderen Diskurs. Bezeichnenderweise bewegt sich der Zug in Cécile völlig lautlos und geruchsfrei. Die Eisenbahn steht nicht wie bei Zola für eine Dynamik von Gesetzen, ja Zwängen; sie steht für eine Dynamik der Gefühle und des Denkens. Die Eisenbahn, genauer, denn deren Technik oder Organisation interessiert hier niemanden, die Reise, die Fahrt durch deutsche Geographie („die Siegessäule halb gespenstisch“, „Magdeburg und sein Dom“), dies alles ist in Cécile nicht Teil eines Netzes von Gesetzmäßigkeiten, sondern Teil eines Netzes von Informationen. Entlang der Strecke zwischen Berlin und dem Harz werden Erfahrungen ausgetauscht: ‚Geschichten‘ reisen hin und her („täuschte nicht alles, so lag eine ‚Geschichte‘ zurück“, (143)), Emotionen, Wert-Setzungen, auch Vorurteile und Traumatisierungen, Missverständnisse, Täuschungen und so fort, trennen, verbinden, überlagern und klären sich. Das sind alles ‚Nachrichten‘, Informationen, die zwischen den Personen, zwischen Teilen der Gesellschaft (man denke an die wichtigen Briefe) und zwischen Berlin und dem Harz hin und her ‚reisen‘. Und nicht zuletzt werden sie aus der Vergangenheit in die Gegenwart hinein transportiert und ausgetauscht. Das Eisenbahn-Netz signalisiert, ja vertritt bei Fontane, ein Kommunikations-Netz. Es ist ein Teil davon. Und in diesem ist Verständigung und Konsens prinzipiell zumindest möglich. Insbesondere wenn dieses Kommunikations-Netz auf die Ebene des literarischen Erzählens gehoben und so erst recht verallgemeinert wird. Fontane erzählt das alles ganz illusionslos und durchaus auch ein wenig brutal, aber er erzählt immer nur ‚Teile‘ von ‚Teilen‘ des europäischen Naturalismus, und er erzählt zugleich gegen diesen an. Er ‚transferiert‘ gemilderte und verfeinerte ‚Teile‘ aus dessen ‚grober‘ Erzähl-Welt in seinen eigenen Diskurs, so dass sie zu ‚Teilen‘ (pars pro parte) eines nun letztlich, und zumindest als Ziel, human verfassten Kommunikations-, je Gesprächs-Netzes werden.

      Solche ‚naturalistischen‘ Fragmente, hier also die Eisenbahn-Szene, die in ein kommunizierendes, ja reflektierendes Medium übertragen werden, zeigte etwa auch die weiter oben bereits untersuchte Spiegelung der Umwelt in Irrungen, Wirrungen: Lene wird zum Ding unter Dingen, aber dies wird zugleich ganz wörtlich auf die Ebene der Spiegelung, also der ’Re-Flexion‘ gehoben. Noch raffinierter argumentiert in diesem Sinne der „Dreh- und Straßenspiegel“ in Stine (482), der Distanz zur ‚Straße‘ wahrt, diese aber zugleich auch pars pro parte heranholt. Und Stine wird diesem Sog letztlich nicht entgehen, so wie auf ihre Weise auch Lene nicht und auch nicht Cécile. Und, um ein vorerst letztes Beispiel zu nennen, die vielfach verschachtelte, in Teilen verborgene, in Teilen zur Erzähl-Bühne21 erweiterte Gärtnerei am Anfang von Irrungen, Wirrungen hängt sicher metonymisch mit der großen und harten Großstadt-Welt ‚draußen‘ zusammen; man denke nur an die Betrügereien und die sexuellen Anspielungen des Dürr-Paares. Aber präsent ist die Welt ‚draußen‘ auf dieser erzählten ‚Bühne‘ vor allem in der Musik vom Tiergarten her und natürlich in den weit hinaus schweifenden Gesprächen. Fordern sie die Leser nicht geradezu auf, mit hinein zu hören und zu reden und zu denken?

      Effi Briests ‚ganz arme Schwestern‘

      Freilich ‚den‘ Naturalismus gibt es nicht. Es gibt, wie anderswo gezeigt,22 klare gemeinsame Voraussetzungen und durchaus widerstrebende Folgerungen. Und genau in diese Vielfalt sind Fontanes Metonymien zwar distanziert, aber farbig und fest hinein „verwoben“.23 Für eine transnational interessierte Lektüre Fontanes nun besonders aufschlussreich scheint mir zuvorderst jene zweifache Bedeutung, die ‚Natur‘ im europäischen Naturalismus oft hat: ‚Natur‘ im Sinne eines soziologisch gewendeten Darwinismus – das kann hier natürlich nur ganz allgemein so benannt werden, bleibt aber richtig –; und mindestens ebenso wichtig ist hier eine ‚Natur‘ im Sinne Rousseaus und der Romantik. In diesem doppelten metonymischen Verweis treten die feinen ‚naturalistischen Fäden‘ in Fontanes Erzählkunst kräftiger hervor und verknüpfen die drei in ihrer Entstehung einander einrahmenden Erzählungen: Cécile, Irrungen, Wirrungen, und Stine. Immer ist es dabei der Roman des Naturalismus, den es auf einem Niveau wie dem Fontanes in der Deutschen Literatur ganz einfach nicht gibt, der diese kräftigen Farben liefert.

      Wo etwa Fontanes Stine nur fürchtet, dass „das СКАЧАТЬ