Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke. Walter Benjamin
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Название: Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke

Автор: Walter Benjamin

Издательство: Ingram

Жанр: Контркультура

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isbn: 9789176377444

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СКАЧАТЬ in der der Sinn jenes Romans selbständig waltet, sei unmöglich. Wo solch gesonderter Bereich nicht nachzuweisen, da kann es sich nicht um Dichtung, sondern allein um deren Vorläufer, das magische Schrifttum handeln. Daher ist jede eingehende Betrachtung eines Goetheschen Werkes, ganz besonders aber die der Wahlverwandtschaften, von der Zurückweisung dieses Versuches abhängig. Mit ihr ist zugleich die Einsicht in einen Lichtkern des erlösenden Gehalts gewiesen, der jener Einstellung wie überall auch in den Wahlverwandtschaften entgangen ist.

      Der Kanon, welcher dem Leben des Halbgotts entspricht, erscheint in einer eigentümlichen Verschiebung in der Auffassung, die die Georgesche Schule vom Dichter bekundet. Ihm nämlich wird, gleich dem Heros, sein Werk als Aufgabe von ihr zugesprochen und somit sein Mandat als göttliches betrachtet. Von Gott aber kommen dem Menschen nicht Aufgaben sondern einzig Forderungen, und daher ist vor Gott kein Sonderwert dem dichterischen Leben zuzuschreiben. Wie denn übrigens der Begriff der Aufgabe auch vom Dichter aus betrachtet unangemessen ist. Dichtung im eigentlichen Sinn entsteht erst da, wo das Wort vom Banne auch der größten Aufgabe sich frei macht. Nicht von Gott steigt solche Dichtung nieder, sondern aus dem Unergründlichen der Seele empor; sie hat am tiefsten Selbst des Menschen Anteil. Weil ihre Sendung jenem Kreise unmittelbar von Gott zu stammen scheint, so wird von ihm dem Dichter nicht allein der unverletzliche, jedoch nur relative Rang in seinem Volke zugebilligt, sondern eine völlig problematische Suprematie als Mensch schlechthin und somit seinem Leben vor Gott, dem er als Übermensch gewachsen scheint. Der Dichter aber ist eine nicht etwa grad- sondern artmäßig vorläufigere Erscheinung menschlichen Wesens als der Heilige. Denn im Wesen des Dichters bestimmt sich ein Verhältnis des Individuums zur Volksgemeinschaft, in dem des Heiligen das Verhältnis des Menschen zu Gott.

      Zu der heroisierenden Ansicht vom Dichter findet sich in den Betrachtungen des Kreises, wie sie Gundolfs Buch fundieren, höchst verwirrend und verhängnisvoll ein zweiter nicht geringerer Irrtum aus dem Abgrund der gedankenlosen Sprachverwirrung. Wenn auch dem der Titel eines Dichters als des Schöpfers wohl nicht angehört, so ist er doch bereits in jedem Geiste ihm verfallen, der jenen Ton des Metaphorischen darin, Gemahnung an den wahren Schöpfer, nicht vernimmt. Und in der Tat ist der Künstler weniger der Urgrund oder Schöpfer als der Ursprung oder Bildner und sicherlich sein Werk um keinen Preis sein Geschöpf, vielmehr sein Gebilde. Zwar hat auch das Gebilde Leben, nicht das Geschöpf allein. Aber was den bestimmenden Unterschied zwischen beiden begründet: nur das Leben des Geschöpfes, niemals das des Gebildeten hat Anteil, hemmungslosen Anteil an der Intention der Erlösung. Wie immer also die Gleichnisrede vom Schöpfertume eines Künstlers sprechen mag, ihre eigenste virtus, die der Ursache nämlich, vermag Schöpfung nicht an seinen Werken, sondern an Geschöpfen einzig und allein zu entfalten. Daher führt jener unbesonnene Sprachgebrauch, der an dem Worte »Schöpfer« sich erbaut, ganz von selbst dahin, vom Künstler nicht die Werke sondern das Leben für dessen eigenstes Produkt zu halten. Während aber im Leben des Heros kraft dessen völliger symbolischer Erhelltheit das völlig Gestaltete, dessen Gestalt der Kampf ist, sich darstellt, findet sich im Leben des Dichters nicht nur eine eindeutige Aufgabe so wenig wie in irgend einem menschlichen, sondern ebensowenig ein eindeutiger und klar erweisbarer Kampf. Da dennoch die Gestalt beschworen werden soll, so bietet jenseits der lebendigen im Kampf nur die erstarrende im Schrifttum sich dar. So vollendet sich ein Dogma, das das Werk, welches es zum Lesen verzauberte, durch nicht weniger verführerisches Irren als Leben wieder zum Werk erstarren läßt und das die vielberufene »Gestalt« des Dichters als einen Zwitter von Heros und Schöpfer zu fassen vermeint, an dem sich nichts mehr unterscheiden, doch von dem sich mit dem Schein des Tiefsinns alles behaupten läßt.

      Das gedankenloseste Dogma des Goethekults, das blasseste Bekenntnis der Adepten: daß unter allen Goetheschen Werken das größte sein Leben sei – Gundolfs »Goethe« hat es aufgenommen. Goethes Leben wird demnach nicht von dem der Werke streng geschieden. Wie der Dichter in einem Bilde von klarer Paradoxie die Farben die Taten und Leiden des Lichts genannt hat, so macht Gundolf in einer höchst getrübten Anschauung zu solchem Licht, das letzten Endes nicht von anderer Art als seine Farben, seine Werke sein würde, das Goethesche Leben. Diese Einstellung leistet ihm zweierlei: sie entfernt jeden moralischen Begriff aus dem Gesichtskreis und erreicht zugleich, indem sie dem Heros die Gestalt, die ihm als Sieger zukommt, als Schöpfer zuspricht, die Schicht des blasphemischen Tiefsinns. So heißt es von den Wahlverwandtschaften, daß darin Goethe »Gottes gesetzliches Verfahren nachsann«. Aber das Leben des Menschen, und sei es das des Schaffenden, ist niemals das des Schöpfers. Genau so wenig läßt es sich als das des Heros, das sich selber die Gestalt gibt, deuten. In solchem Sinne kommentiert es Gundolf. Denn nicht mit der treuen Gesinnung des Biographen wird der Sachgehalt dieses Lebens auch, und gerade, um des darin Nichtverstandenen willen erfaßt, nicht in der großen Bescheidung echter Biographik als das Archiv selbst unentzifferbarer Dokumente dieses Daseins, sondern offenbar liegen sollen Sachgehalt und Wahrheitsgehalt und wie im Heroenleben einander entsprechen. Offenbar jedoch liegt der Sachgehalt des Lebens allein und sein Wahrheitsgehalt ist verborgen. Wohl lassen der einzelne Zug, die einzelne Beziehung sich aufhellen, nicht aber die Totalität, es sei denn auch sie werde nur in einer endlichen Beziehung ergriffen. Denn an sich ist sie unendlich. Daher gibt es im Bereich der Biographik weder Kommentar noch Kritik. In der Verletzung dieses Grundsatzes begegnen sich auf seltsame Weise zwei Bücher, die übrigens Antipoden der Goetheliteratur genannt werden dürften: das Werk von Gundolf und die Darstellung von Baumgartner. Wo die letztere geradenwegs die Ergründung des Wahrheitsgehalts unternimmt, ohne den Ort seines Vergrabenseins auch nur zu ahnen, und daher die kritischen Ausfälle ohne Maß häufen muß, versenkt sich Gundolf in die Welt der Sachgehalte des Goetheschen Lebens, in denen er doch nur vorgeblich dessen Wahrheitsgehalt darstellen kann. Denn menschliches Leben läßt sich nicht nach Analogie eines Kunstwerks betrachten. Gundolfs quellenkritisches Prinzip jedoch bekundet die Entschlossenheit zu solcher Entstellung grundsätzlich. Wenn durchweg in der Rangordnung der Quellen die Werke an die erste Stelle gerückt, der Brief, geschweige denn das Gespräch dahinter zurückgestellt werden, so ist diese Einstellung lediglich daraus erklärbar, daß das Leben selbst als Werk angesehen wird. Denn einzig einem solchen gegenüber besitzt der Kommentar aus seinesgleichen höhern Wert als der aus irgend welchen andern Quellen. Aber dies nur darum, weil durch den Begriff des Werkes eine eigene und streng umgrenzte Sphäre festgelegt wird, in die des Dichters Leben nicht einzudringen vermag. Wenn jene Reihenfolge fernerhin vielleicht die Trennung von ursprünglich schriftlich und anfangs mündlich Überliefertem versuchen sollte, so ist auch dieses nur der eigentlichen Geschichte Lebensfrage, indes die Biographik auch bei dem höchsten Anspruch auf Gehalt sich an die Breite eines Menschenlebens halten muß. Zwar weist am Eingang seines Buches der Verfasser das biographische Interesse von sich ab, doch soll die Würdelosigkeit, die oft der neuern Biographik eignet, es nicht vergessen machen, daß ihr ein Kanon von Begriffen zugrunde liegt, ohne den jede historische Betrachtung eines Menschen zuletzt der Gegenstandslosigkeit verfällt. Kein Wunder also, daß mit der innern Unform dieses Buchs ein formloser Typus des Dichters sich bildet, der an das Denkmal gemahnt, das Bettina entwarf und in dem die ungeheuren Formen des Verehrten ins Gestaltlose, Mannweibliche zerfließen. Diese Monumentalität ist erlogen und – in Gundolfs eigener Sprache zu reden – es zeigt sich, daß das Bild, das aus dem kraftlosen Logos hervorgeht, dem nicht so unähnlich ist, das der maßlose Eros schuf.

      Nur die beharrliche Verfolgung seiner Methodik kommt gegen die chimärische Natur dieses Werkes auf. Vergebene Mühe ohne diese Waffe mit den Einzelheiten es aufzunehmen. Denn eine beinah undurchdringliche Terminologie ist deren Panzer. Es erweist sich an ihr die für alle Erkenntnis fundamentale Bedeutung im Verhältnis von Mythos und Wahrheit. Dieses Verhältnis ist das der gegenseitigen Ausschließung. Es gibt keine Wahrheit, denn es gibt keine Eindeutigkeit und also nicht einmal Irrtum im Mythos. Da es aber ebensowenig Wahrheit über ihn geben kann (denn es gibt Wahrheit nur in den Sachen, wie denn Sachlichkeit in der Wahrheit liegt) so gibt es, was den Geist des Mythos angeht, von ihm einzig und allein eine Erkenntnis. Und wo Gegenwart der Wahrheit möglich sein soll, kann sie das allein unter der Bedingung der Erkenntnis des Mythos, nämlich der Erkenntnis von seiner vernichtenden Indifferenz gegen die Wahrheit. Darum hebt in Griechenland die eigentliche Kunst, die eigentliche Philosophie – zum Unterschiede von ihrem uneigentlichen Stadium, dem theurgischen – mit dem Ausgang des Mythos an, weil die erste nicht minder und die СКАЧАТЬ