Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke. Walter Benjamin
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Название: Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke

Автор: Walter Benjamin

Издательство: Ingram

Жанр: Контркультура

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isbn: 9789176377444

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СКАЧАТЬ zwischen beiden der Vermittlung bedürfte, so fehlt auch sie, die seit Jahrtausenden den Ring beschließt, bei Goethe nicht. Greifbar weisen die Urworte, andeutend die Lebenserinnerungen auf die Astrologie als den Kanon des mythischen Denkens. Mit der Hindeutung aufs Dämonische schließt, mit der aufs Astrologische beginnt »Wahrheit und Dichtung«. Und nicht gänzlich scheint dies Leben astrologischer Betrachtung entzogen. Goethes Horoskop, wie es halb spielend und halb ernst Bolls »Sternglaube und Sterndeutung« gestellt hat, verweist von seiner Seite auf die Trübung dieses Daseins. »Auch daß der Aszendent dem Saturn dicht folgt und dabei in dem schlimmen Skorpion liegt, wirft einige Schatten auf dieses Leben; mindestens eine gewisse Verschlossenheit wird das als ›rätselhaft‹ geltende Tierkreiszeichen, im Verein mit dem versteckten Wesen des Saturn, im höheren Lebensalter verursachen; aber auch« – und dies weist auf das Folgende voraus – »als ein auf der Erde kriechendes Tierkreiswesen, in dem der ›erdige Planet‹ Saturn steht, jene starke Diesseitigkeit, die sich ›in derber Liebeslust mit klammernden Organen‹ an die Erde hält.«

      »Ich suchte mich vor diesem furchtbaren Wesen zu retten«. Den Umgang der dämonischen Kräfte erkauft die mythische Menschheit mit Angst. Sie hat aus Goethe oft unverkennbar gesprochen. Ihre Manifestationen sind aus der anekdotischen Vereinzelung, in der fast widerwillig von den Biographen ihrer gedacht wird, in das Licht einer Betrachtung zu stellen, die freilich schreckhaft deutlich die Gewalt uralter Mächte in dem Leben dieses Mannes zeigt, der doch nicht ohne sie zum größten Dichter seines Volks geworden ist. Die Angst vorm Tod, die jede andere einschließt, ist die lauteste. Denn er bedroht die gestaltlose Panarchie des natürlichen Lebens am meisten, die den Bannkreis des Mythos bildet. Die Abneigung des Dichters gegen den Tod und gegen alles, was ihn bezeichnet, trägt ganz die Züge äußerster Superstition. Es ist bekannt, daß bei ihm niemand je von Todesfällen reden durfte, weniger bekannt, daß er niemals ans Sterbebette seiner Frau getreten ist. Seine Briefe bekunden dem Tode des eigenen Sohnes gegenüber dieselbe Gesinnung. Nichts bezeichnender als jenes Schreiben, in dem er Zeltern den Verlust vermeldet und seine wahrhaft dämonische Schlußformel: »Und so, über Gräber, vorwärts!« In diesem Sinne setzt die Wahrheit der Worte, die man dem Sterbenden in den Mund gelegt hat, sich durch. Darinnen hält die mythische Lebendigkeit zuletzt dem nahen Dunkel ihren ohnmächtigen Lichtwunsch entgegen. Auch wurzelte in ihr der beispiellose Selbstkultus der letzten Lebensjahrzehnte. »Wahrheit und Dichtung«, die »Tag- und Jahreshefte«, die Herausgabe des Briefwechsels mit Schiller, die Sorge für denjenigen mit Zelter sind ebensoviele Bemühungen, den Tod zu vereiteln. Noch klarer spricht die heidnische Besorgnis, welche statt als Hoffnung die Unsterblichkeit zu hüten als ein Pfand sie fordert, aus alledem, was er vom Fortbestand der Seele sagt. Wie die Unsterblichkeitsidee des Mythos selbst als ein »Nicht-Sterben-Können« aufgezeigt ward, so ist sie auch im Goetheschen Gedanken nicht der Zug der Seele in das Heimatreich, sondern eine Flucht vom Grenzenlosen her ins Grenzenlose. Vor allem das Gespräch nach Wielands Tod, das Falk überliefert, will die Unsterblichkeit naturgemäß und auch, wie zur Betonung des Unmenschlichen in ihr, nur großen Geistern eigentlichst zugebilligt wissen.

      Kein Gefühl ist reicher an Varianten als die Angst. Zur Todesangst gesellt sich die vorm Leben, wie zum Grundton seine zahllosen Obertöne. Auch das barocke Spiel der Lebensangst vernachlässigt, verschweigt die Tradition. Ihr gilt es eine Norm in Goethe aufzustellen und dabei ist sie weit davon entfernt, den Kampf der Lebensformen, den er in sich austrug, zu gewahren. Zu tief hat Goethe ihn in sich verschlossen. Daher die Einsamkeit in seinem Leben und, bald schmerzlich und bald trotzig, das Verstummen. Gervinus hat in seiner Schrift »Über den Goetheschen Briefwechsel« in der Schilderung der Weimarer Frühzeit gezeigt, wie bald sich das einstellt. Am ersten und am sichersten von allen hat er die Aufmerksamkeit auf diese Phänomene im Goetheschen Leben gelenkt; er vielleicht als einziger hat ihre Bedeutung geahnt, wie irrig er auch über ihren Wert geurteilt habe. So entgeht ihm weder das schweigende Insichversunkensein der Spätzeit noch ihr ins Paradoxe gesteigerter Anteil an den Sachgehalten des eignen Lebens. Aus beiden aber spricht die Lebensangst: die Angst vor seiner Macht und Breite aus dem Sinnen, die Angst vor seiner Flucht aus dem Umfassen. Gervinus bestimmt in seiner Schrift den Wendepunkt, der das Schaffen des alten Goethe von dem der früheren Perioden trennt und er setzt ihn in das Jahr 1797, in die Zeit der projektierten italienischen Reise. In einem gleichzeitigen Schreiben an Schiller handelt Goethe von Gegenständen, die ohne »ganz poetisch« zu sein, eine gewisse poetische Stimmung in ihm erweckt hätten. Er sagt: »Ich habe daher die Gegenstände, die einen solchen Effekt hervorbringen, genau betrachtet und zu meiner Verwunderung bemerkt, daß sie eigentlich symbolisch sind.« Das Symbolische aber ist das, worin die unauflösliche und notwendige Bindung eines Wahrheitsgehaltes an einen Sachgehalt erscheint. »Wenn man«, so heißt es in dem gleichen Brief, »künftig bei weitern Fortschritten der Reise nicht sowohl aufs Merkwürdige, sondern aufs Bedeutende seine Aufmerksamkeit richtete, so müßte man für sich und andere doch zuletzt eine schöne Ernte gewinnen. Ich will es erst noch hier versuchen, was ich Symbolisches bemerken kann, besonders aber an fremden Orten, die ich zum ersten Mal sehe, mich üben. Gelänge das, so müßte man ohne die Erfahrung in die Breite verfolgen zu wollen, doch wenn man auf jedem Platz, in jedem Moment, soweit es einem vergönnt wäre, in die Tiefe ginge, noch immer genug Beute aus bekannten Ländern und Gegenden davon tragen.« »Man darf« – so schließt Gervinus an – »wohl sagen, daß dies in seinen spätern poetischen Produkten fast durchgängig der Fall ist und daß er darin Erfahrungen, die er ehedem in sinnlicher Breite, wie es die Kunst verlangt, vorgeführt hatte, nach einer gewissen geistigen Tiefe mißt, wobei er sich oft ins Bodenlose verliert. Schiller durchschaut diese so mysteriös verhüllte neue Erfahrung sehr scharf … eine poetische Forderung ohne eine poetische Stimmung und ohne poetischen Gegenstand scheine sein Fall zu sein. In der Tat komme es hier viel weniger auf den Gegenstand an, als auf das Gemüt, ob ihm der Gegenstand etwas bedeuten solle.« (Und nichts ist kennzeichnender für den Klassizismus als dieses Streben in dem gleichen Satz das Symbol zu erfassen und zu relativieren.) »Das Gemüt sei es, das hier die Grenze steckt, und das Gemeine und Geistreiche kann er auch hier wie überall nur in der Behandlung, nicht in der Wahl des Stoffes finden. Was ihm jene beiden Plätze waren, meint er, wäre ihm in aufgeregter Stimmung jede Straße, Brücke usw. gewesen. Wenn Schiller die unternehmbaren Folgen dieser neuen Betrachtungsweise in Goethe hätte ahnen können, so würde er ihn schwerlich ermuntert haben, sich ihr ganz zu überlassen, weil durch eine solche Ansicht der Gegenstände in das Einzelne eine Welt gelegt werde … Denn so ist es gleich die nächste Folge, daß Goethe anfängt, sich Reisebündel von Akten anzulegen, worin er alle öffentlichen Papiere, Zeitungen, Wochenblätter, Predigtauszüge, Komödienzettel, Verordnungen, Preiscourante usw. einheftet, seine Bemerkungen hinzufügt, diese mit der Stimme der Gesellschaft vergleicht, seine eigene Meinung mit dieser berichtigt, die neue Belehrung wieder ad acta nimmt und so Materialien für einen künftigen Gebrauch zu erhalten hofft!! Dies bereitet schon völlig zu der später ganz ins Lächerliche entwickelten Bedeutsamkeit vor, mit der er auf Tagebücher und Notizen die höchsten Stücke hält, mit der er jede elendeste Sache mit pathetischer Weisheitsmiene betrachtet. Seitdem ist ihm jede Medaille, die man ihm schenkt, und jeder Granitstein; den er verschenkt, ein Gegenstand von höchster Wichtigkeit; und wenn er Steinsalz bohrt, das Friedrich der Große trotz aller Befehle nicht hatte auffinden können, so sieht er ich weiß nicht welche Wunder dabei und schickt seinem Freunde Zelter eine symbolische Messerspitze voll davon nach Berlin. Es gibt nichts Bezeichnenderes für diese seine spätere Sinnesart, die sein steigendes Alter stets mehr ausbildete, als daß er es sich zum Grundsatze macht, dem alten nil admirari mit Eifer zu widersprechen. Alles vielmehr zu bewundern, Alles ›bedeutend, wundersam, incalculabel‹ zu finden!« An dieser Haltung, die Gervinus so unübertrefflich, ohne Übertreibung, malt, hat zwar Bewunderung Anteil aber auch die Angst. Der Mensch erstarrt im Chaos der Symbole und verliert die Freiheit, die den Alten nicht bekannt war. Er gerät im Handeln unter Zeichen und Orakel. In Goethes Leben haben sie nicht gefehlt. Solch ein Zeichen wies den Weg nach Weimar. Ja, in »Wahrheit und Dichtung« hat er erzählt, wie er auf einer Wanderung, zwiespältig über seinen Ruf zu Dichtung oder Malkunst, ein Orakel eingesetzt. Die Angst vor Verantwortung ist die geistigste unter allen, denen Goethe durch sein Wesen verhaftet war. Sie ist ein Grund der konservativen Gesinnung, die er Politischem, Gesellschaftlichem und im Alter auch wohl Literarischem entgegenbrachte. Sie ist die Wurzel der Versäumnis in seinem erotischen Leben. Daß sie auch seine Auslegung СКАЧАТЬ