Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke. Walter Benjamin
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Название: Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke

Автор: Walter Benjamin

Издательство: Ingram

Жанр: Контркультура

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isbn: 9789176377444

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СКАЧАТЬ Energie der innern Form sich um so mächtiger erweist, je flutender und formloser das bedeutete Leben ist. An diesem Orte wird die Einheit des Gedichteten sichtbar, am weitesten werden die Verbundenheiten überschaut und die Abwandlung beider Gedichtfassungen, die Vertiefung der ersten in der letzten erkannt. – Von einer Einheit des Gedichteten in der ersten Fassung darf nicht gesprochen werden. Der Ablauf wird von der ausführlichen Analogie des Dichters mit dem Sonnengott unterbrochen, danach aber kehrt er nicht wieder mit ganzer Intensität zu dem Dichter zurück. Es liegt in dieser Fassung, in ihrer ausführlichen Sondergestaltung des Sterbens, auch ihrem Titel nach, noch die Spannung zwischen zwei Welten – der des Dichters und jener »Wirklichkeit«, in der der Tod droht, die hier nur eingekleidet als Göttlichkeit erscheint. Später ist die Zweiheit der Welten verschwunden, mit dem Sterben ist die Eigenschaft des Mutes dahingefallen, im Ablauf ist nichts als das Dasein des Dichters gegeben. Die Frage, worauf die Vergleichbarkeit dieser in allem einzelnen wie im Ablauf so völlig unterschiednen Entwürfe beruht, ist also dringend. Wiederum kann nicht die Gleichheit eines Elementes, sondern nur die Verbundenheit in einer Funktion die Vergleichbarkeit der Gedichte erweisen. Diese Funktion liegt in dem einzig aufweisbaren Funktionsinbegriff, dem Gedichteten. Das Gedichtete beider Fassungen – nicht in seiner Gleichheit, deren keine besteht, sondern in seiner »Vergleichheit« – soll verglichen werden. Beide Gedichte sind in ihrem Gedichteten verbunden und zwar in einem Verhalten zur Welt. Dieses ist der Mut, der, je tiefer er verstanden ist, desto weniger eine Eigenschaft, sondern eine Beziehung von Mensch zu Welt und von Welt zu Mensch wird. Das Gedichtete der ersten Fassung kennt den Mut nur erst als Eigenschaft. Mensch und Tod stehen sich gegenüber, beide starr, keine anschauliche Welt ist ihnen gemeinsam. Zwar im Dichter, in seinem göttlich-natürlichen Dasein, war versucht, schon eine tiefe Beziehung zum Tode zu finden; doch nur mittelbar durch die Vermittelung des Gottes, dem der Tod – mythologisch – eigen war und dem der Dichter – mythologisch wiederum – angenähert wurde. Es war das Leben noch Vorbedingung des Todes, die Gestalt entsprang der Natur. Die entschlossene Formung von Anschauung und Gestalt aus einem geistigen Prinzip war vermieden, so blieben sie ohne Durchdringung. Die Gefahr des Todes war in diesem Gedichte überwunden durch Schönheit. Während der spätem Fassung alle Schönheit herfließt aus Überwindung der Gefahr. Früher endete Hölderlin mit der Auflösung der Gestalt, während der reine Grund der Gestaltung am Ende der neuen Fassung erscheint. Und diese ist nun aus einem geistigen Grunde gewonnen. Die Zweiheit: Mensch und Tod konnte so nur in einem läßlichen Lebensgefühl beruhen. Sie blieb nicht bestehen, da das Gedichtete sich zu tiefrer Verbundenheit zusammenschloß und ein geistiges Prinzip – der Mut – von sich aus das Leben gestaltete. Mut ist Hingabe an die Gefahr, welche die Welt bedroht. In ihm liegt eine besondere Paradoxie verborgen, von der aus erst das Gefüge des Gedichteten der beiden Fassungen ganz verstanden wird: dem Mutigen besteht die Gefahr und dennoch achtet er sie nicht. Denn er wäre feige, würde er sie achten; und bestünde sie ihm nicht — er wäre nicht mutig. Dieses seltsame Verhältnis löst sich, indem dem Mutigen selbst die Gefahr nicht droht, jedoch der Welt. Mut ist das Lebensgefühl des Menschen, der sich der Gefahr preisgibt, dadurch sie in seinem Tode zur Gefahr der Welt erweitert und überwindet zugleich. Die Größe der Gefahr entspringt im Mutigen – erst indem sie ihn trifft, in seiner ganzen Hingabe an sie, trifft sie die Welt. In seinem Tode aber ist sie überwunden, hat die Welt erreicht, der sie nicht mehr droht; in ihm ist Freiwerden und Stabilierung zugleich der ungeheuren Kräfte – die täglich als begrenzte Dinge den Leib umgeben. Im Tode sind schon diese Kräfte umgesprungen, die dem Mutigen drohten als Gefahr, sind in ihm beruhigt. (Dies ist die Versachlichung der Kräfte, die schon das Wesen der Götter dem Dichter näherte.) Die Welt des toten Helden ist eine neue mythische, mit Gefahr gesättigt: dies eben ist die Welt der zweiten Gedichtfassung. In ihr durchaus ist ein geistiges Prinzip herrschend geworden: die Einswerdung des heldischen Dichters mit der Welt. Der Dichter hat den Tod nicht zu fürchten, er ist Held, weil er die Mitte aller Beziehungen lebt. Das Prinzip des Gedichteten überhaupt ist die Alleinherrschaft der Beziehung. In diesem besondern Gedicht als Mut gestaltet: als innerste Identität des Dichters mit der Welt, deren Ausfluß alle Identitäten des Anschaulichen und Geistigen dieser Dichtung sind. Das ist der Grund, in dem immer wieder die gesonderte Gestalt sich aufhebt in der raumzeitlichen Ordnung, in der sie als gestaltlos, allgestalt, Vorgang und Dasein, zeitliche Plastik und räumliches Geschehen aufgehoben ist. Vereint sind im Tode, der seine Welt ist, alle erkannten Beziehungen. In ihm ist höchste unendliche Gestalt und Gestaltlosigkeit, zeitliche Plastik und räumliches Dasein, Idee und Sinnlichkeit. Und jede Funktion des Lebens in dieser Welt ist Schicksal, während in der ersten Fassung herkömmlich das Schicksal das Leben bestimmte. Das ist das orientalische, mystische, die Grenzen überwindende Prinzip, das in diesem Gedicht so offenbar immer wieder das griechische gestaltende Prinzip aufhebt, das einen geistigen Kosmos schafft aus reinen Beziehungen der Anschauung, des sinnlichen Daseins, in dem das Geistige nur Ausdruck der Funktion ist, die zur Identität strebt. Die Umwandlung der Zweiheit von Tod und Dichter in die Einheit einer toten dichterischen Welt, »mit Gefahr gesättigt«, ist die Beziehung, in der das Gedichtete der beiden Gedichte steht. An dieser Stelle erst ist nun die Betrachtung der dritten, mittleren Strophe möglich geworden. Offenbar ist, daß der Tod in der Gestalt der »Einkehr« in die Mitte der Dichtung versetzt wurde, daß in dieser Mitte der Ursprung des Gesanges ist, als des Inbegriffs aller Funktionen, daß hier die Ideen der »Kunst«, des »Wahren« entspringen als Ausdruck der beruhenden Einheit. Was über die Aufhebung der Ordnung von Sterblichen und Himmlischen gesagt war, erscheint in diesem Zusammenhang völlig gesichert. Zu vermuten ist, daß die Worte »ein einsam Wild« die Menschen bezeichnen und dies stimmt sehr wohl zu dem Titel dieses Gedichtes. »Blödigkeit« – ist nun die eigentliche Haltung des Dichters geworden. In die Mitte des Lebens versetzt, bleibt ihm nichts, als das reglose Dasein, die völlige Passivität, die das Wesen des Mutigen ist; als sich ganz hinzugeben der Beziehung. Sie geht von ihm aus und auf ihn zurück. So ergreift der Gesang die Lebendigen und so sind sie ihm bekannt – nicht mehr verwandt. Dichter und Gesang sind im Kosmos des Gedichts nicht unterschieden. Er ist nichts als Grenze gegen das Leben, die Indifferenz, umgeben von den ungeheuren sinnlichen Mächten und der Idee, die in sich sein Gesetz bewahren. Wie sehr er die unberührbare Mitte aller Beziehung bedeutet, enthalten die beiden letzten Verse am mächtigsten. Die Himmlischen sind zu Zeichen des unendlichen Lebens geworden, das aber gegen ihn begrenzt ist: »und von den Himmlischen | Einen bringen. Doch selber | Bringen schickliche Hände wir.« So ist der Dichter nicht mehr als Gestalt gesehen, sondern allein noch als Prinzip der Gestalt, Begrenzendes, auch seinen eignen Körper noch Tragendes. Er bringt seine Hände – und die Himmlischen. Die eindringliche Zäsur dieser Stelle ergibt den Abstand, den der Dichter vor aller Gestalt und der Welt haben soll, als ihre Einheit. Der Aufbau des Gedichts ist ein Beweis der Einsicht dieser Schillerschen Worte: »Darin … besteht das eigentliche Kunstgeheimnis des Meisters, daß er den Stoff durch die Form vertilgt … Das Gemüt des Zuschauers und Zuhörers muß völlig frei und unverletzt bleiben, es muß aus dem Zauberkreise des Künstlers rein und vollkommen wie aus den Händen des Schöpfers gehn.«

      Absichtlich war im Laufe der Untersuchung das Wort »Nüchternheit« vermieden worden, das so oft zur Charakteristik nahe gelegen hätte. Denn erst jetzt sollen Hölderlins Worte von dem »heilig nüchternen« genannt sein, deren Verständnis nun bestimmt ist. Man hat bemerkt, daß diese Worte die Tendenz seiner späten Schöpfungen enthalten. Sie entspringen der innigen Sicherheit, mit der diese im eignen geistigen Leben stehen, in dem nun die Nüchternheit erlaubt, geboten, ist, weil es in sich heilig ist, jenseits aller Erhebung im Erhabnen steht. Ist dieses Leben noch das des Griechentums? So wenig ist es das, wie das Leben eines reinen Kunstwerks überhaupt das eines Volkes sein kann, so wenig wie es das eines Individuums ist und keines als sein eignes, das wir im Gedichteten finden. Dies Leben ist in Formen des griechischen Mythos gebildet, aber – das ist entscheidend – nicht in ihnen allein; gerade das griechische Element ist in der letzten Fassung aufgehoben und ausgeglichen gegen ein andres, das (zwar ohne ausdrückliche Rechtfertigung) das orientalische genannt war. Fast alle Änderungen der spätem Fassung streben in dieser Richtung, in den Bildern wie auch in der Einführung der Ideen und endlich einer neuen Bedeutung des Todes, die alle gegen die in sich ruhende geformt begrenzte Erscheinung sich als unbegrenzte erheben. Daß hierin, vielleicht nicht nur für die Erkenntnis Hölderlins, eine entscheidende Frage sich verbirgt, kann in diesem Zusammenhang nicht erwiesen werden. Die Betrachtung des Gedichteten aber führt nicht auf den СКАЧАТЬ