Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke. Walter Benjamin
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Название: Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke

Автор: Walter Benjamin

Издательство: Ingram

Жанр: Контркультура

Серия:

isbn: 9789176377444

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СКАЧАТЬ und unmythischer, uns näher nicht begreiflicher Gestalt geformt sind.

      Aber gäbe es ein Wort, das Verhältnis jenes innern Lebens, aus dem das letzte Gedicht entsprang, zum Mythos zu erfassen, so wäre es jenes Hölderlinsche – einer noch spätem Zeit als dies Gedicht angehörig – »Die Sagen, die der Erde sich entfernen, | … | Sie kehren zu der Menschheit sich«.

      —————

      Gespräch über die Phantasie

      1914/5

      Grete Rüdt gewidmet

      margarethe Es ist früh am Morgen, ich fürchtete dich zu stören. Und doch konnte ich nicht warten. Ich will dir einen Traum erzählen, ehe er verblaßt ist.

      georg Wie ich mich freue, wenn du am Morgen zu mir kommst – weil ich dann ganz mit meinen Bildern allein bin und dich gar nicht erwarte. Du bist durch den Regen gegangen, das hat dich erfrischt. Nun erzähle.

      margarethe Georg – ich sehe, daß ich es nicht kann. Ein Traum läßt sich nicht sagen.

      georg Aber was hast du geträumt? – War es schön oder furchtbar? War es ein Erlebnis? und mit mir?

      margarethe Nichts, nichts davon. Es war ganz einfach. Es war eine Landschaft. Aber sie glühte in Farben; ich habe solche Farben noch niemals gesehen. Auch die Maler kennen sie nicht.

      georg Es waren die Farben der Phantasie, Margarethe.

      margarethe Die Farben der Phantasie, so war es. Die Landschaft schimmerte in ihnen. Jeder Berg, jeder Baum, die Blätter: sie hatten unendlich viele Farben in sich. Ja unendlich viele Landschaften. Als belebte sich die Natur selbst in tausendfachem Eingeboren-Sein.

      georg Ich kenne diese Bilder der Phantasie. Ich glaube, daß sie in mir stehen, wenn ich male. Ich mische die Farben und ich sehe dann nichts als Farbe. Fast sagte ich: ich bin Farbe.

      margarethe So war es im Traum, ich war nichts als Sehen. Alle anderen Sinne waren vergessen, verschwunden. Auch ich selbst war nicht, nicht mein Verstand, der die Dinge aus den Bildern der Sinne erschließt. Ich war keine Sehende, ich war nur Sehen. Und was ich sah, waren nicht Dinge, Georg, nur Farben. Und ich selbst war gefärbt in dieser Landschaft.

      georg Es ist wie ein Rausch, was du beschreibst. Erinnere dich, was ich dir von jenem seltnen und köstlichen Gefühl der Trunkenheit erzählte, das ich aus früheren Zeiten kenne. Ich fühlte mich ganz leicht in diesen Stunden. Von allem nahm ich nur das wahr, wodurch ich in den Dingen war: ihre Eigenschaften, durch die ich sie durchdrang. Ich war selbst Eigenschaft der Welt und schwebte über ihr. Sie war von mir erfüllt wie von Farbe.

      margarethe Warum fand ich in den Bildern der Maler nie die glühenden, reinen Farben, die Farben des Traumes? Denn woher sie entspringen: die Phantasie, und die du dem Rausche vergleichst – das reine Aufnehmen im Selbstvergessen, das ist die Seele des Künstlers. Und Phantasie ist das innerste Wesen der Kunst, nie sah ich das klarer.

      georg Wenn sie die Seele des Künstlers wäre, ist sie darum noch nicht das Wesen der Kunst. Die Kunst schafft. Und sie schafft gegenständlich, das heißt mit Beziehung auf die reinen Formen der Natur. Bedenke wohl – und oft hast du es mit mir bedacht –: auf die Formen. Sie schafft nach einem unendlichen Kanon, der unendliche Schönheitsformen begründet. Es sind Formen, sie ruhen alle in der Form, in der Beziehung auf Natur.

      margarethe Willst du sagen, daß die Kunst die Natur nachbildet?

      georg Du weißt, daß ich so nicht denke. Es ist wahr, der Künstler will immer nur die Natur im Grunde erfassen, er will sie rein aufnehmen, förmlich erkennen. Aber im Kanon ruhen die innern, die schaffenden Formen des Empfangens. Betrachte die Malerei. Sie geht nicht von der Phantasie, von der Farbe aus, sondern vom Geistigen, Schöpferischen, von der Form. Ihre Form ist, den lebendigen Raum zu erfassen. Nach einem Prinzip ihn zu konstruieren; denn das Lebendige ist nicht aufzunehmen außer durch Zeugung. Das Prinzip ist ihr Kanon. Und so oft ich darüber nachdachte, fand ich, das sei für die Malerei die Raumunendlichkeit – so wie für die Plastik die Raumdimension. Nicht die Farbe ist das Wesen der Malerei, sondern die Fläche. In ihr, in der Tiefe, lebt der Raum seiner Unendlichkeit nach. In der Fläche entfaltet sich das Dasein der Dinge zum Raum, nicht eigentlich in ihm. Und die Farbe ist erst die Konzentration der Fläche, die Einbildung der Unendlichkeit in sie. Die reine Farbe ist selbst unendlich, aber in der Malerei erscheint nur ihr Abglanz.

      margarethe Wodurch unterscheiden sich die Farben des Malers von denen der Phantasie? Und ist nicht die Phantasie der Urquell der Farbe?

      georg Das ist sie, obgleich das wunderbar ist. Aber die Farben des Malers sind relativ gegen die absolute Farbe der Phantasie. Die reine Farbe ist nur in der Anschauung, nur in der Anschauung gibt es das Absolute. Die malerische Farbe ist nur ein Abglanz der Phantasie. In ihr biegt eigentlich die Phantasie ins Schaffen um, sie macht Übergänge mit Licht und Schatten, sie verarmt. Der geistige Grund im Bild ist die Fläche und wenn du wahrhaft sehen gelernt hast, so siehst du: die Fläche erhellt die Farbe, nicht umgekehrt. Die Raumunendlichkeit ist die Form der Fläche, sie ist der Kanon und von ihr geht die Farbe aus.

      margarethe Du wirst nicht so paradox sein, zu sagen, daß Phantasie nichts mit Kunst zu tun hat. Und mag ihr Kanon geistig sein und formende Schöpfung der Lebendigkeit bedeuten – die freilich auf die Natur allein in unendlichen Möglichkeiten sich bezieht – so empfängt doch der Künstler auch. Ihm erscheint das Einfach-Schöne, die Vision, das Beglückende des reinen Schauern nicht weniger, sondern mehr und tiefer als uns andern.

      georg Wie verstehst du das Erscheinende der Phantasie? Meinst du es als ein Vorbild und das Schaffen als Abbild?

      margarethe Der Schöpfer kennt kein Vorbild und also auch keines in der Phantasie. Ich meine es nicht als Vorbild, sondern als Urbild. Als das Erscheinende, in dem er aufgeht, in dem er verharrt, das er nie verläßt und das der Phantasie entsprungen ist.

      georg Die Muse gibt dem Künstler das Urbild der Schöpfung. Du hast wahr gesprochen. – Und was andres ist dies Urbild, als die Bürgschaft der Wahrheit seiner Schöpfung, die Gewähr, eins zu sein mit der Einheit des Geistes, aus dem Mathematik nicht minder als Plastik entspringt, Geschichte nicht weniger als die Sprache. Was andres verbürgt die Muse dem Dichter durch das Urbild, als den Kanon selbst, die ewige Wahrheit, die der Kunst zu Grunde liegt. Und jener Rausch, der bei der höchsten geistigen Klarheit durch unsere Nerven fließt, der verzehrende Rausch des Schaffens, ist das Bewußtsein, im Kanon zu schaffen, gemäß der Wahrheit, die wir erfüllen. In der schreibenden Hand des Dichters, in der malenden des Künstlers, in den Fingern des Spielers, in der Bewegung des Bildners, der einzelnen Regung, dem völligen Aufgehen in der Geberde, die er als gottbeseelt in sich anschaut – sich selbst, den Bildenden, als eine Vision, seine Hand geführt von. der Hand der Muse – darin waltet die Phantasie als Anschauung des Kanons im Schauenden und den Dingen. Als Einheit der beiden in der Anschauung des Kanons. Allein das Walten der Phantasie führt den Rausch des Genießenden, von dem ich erzählte, zum Rausch des Künstlers. Und nur, wo er das Urbild zum Vorbild zu machen strebt, wo er des Geistigen sich gestaltlos bemächtigen will, formlos anschaut, wird das Werk phantastisch.

      margarethe Wenn aber Phantasie die Gabe der reinen Empfängnis überhaupt ist, spannen wir ihr Wesen nicht ins Unermeßliche? Denn dann ist Phantasie in jeder Bewegung, die ganz rein, ganz selbstvergessen, in der Anschauung gleichsam getan ist, in Tanz und Gesang und Gang und Sprache ganz ebenso, wie im reinen Sehen der Farbe. Und warum wollten wir doch die Phantasie vorzüglich im Wesen der Farbe erblicken?

      georg СКАЧАТЬ