Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke. Walter Benjamin
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Название: Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke

Автор: Walter Benjamin

Издательство: Ingram

Жанр: Контркультура

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isbn: 9789176377444

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СКАЧАТЬ Erzeugen und hierauf beruht ja, wie ich glaube, die Phantasie des Künstlers. Aber doch bleibt die Farbe vom Wesen der Phantasie der reinste Ausdruck. Denn eben ihr entspricht in dem Menschen kein schöpferisches Vermögen. Die Linie ist nicht so rein empfangen, weil wir sie durch Bewegung im Geiste verwandeln können und der Ton ist nicht absolut, weil wir die Gabe der Stimme haben. Sie sind nicht von der reinen, unantastbaren, der erscheinenden Schönheit der Farbe. – Ich sehe freilich, daß mit dem Gesicht eine besondere Region menschlicher Sinne anhebt, denen kein schöpferisches Vermögen entspricht: Farbwahrnehmung, Geruch und Geschmack. Sieh, wie deutlich und scharf das die Sprache bezeichnet. Von diesen Gegenständen sagt sie das gleiche, wie von der Tätigkeit der Sinne selbst: sie riechen und schmecken. Von ihrer Farbe aber: sie sehen aus. Denn so sagt man von Gegenständen niemals, um die reine Form an ihnen zu bezeichnen. Ahnst du den geheimnisvollen, tiefen Bezirk des Geistes, der hier beginnt?

      margarethe Habe ich ihn nicht früher geahnt, als du, Georg? Doch ich will die Farbe rein aus dem geheimnisvollen Reich der Sinne hervorheben. Denn je tiefer wir in jenes zweite Reich der aufnehmenden Sinne steigen, denen kein schöpferisches Vermögen entspricht, desto ärger werden seine Gegenstände substantiell, desto weniger dürfen die Sinne reine Eigenschaften empfinden. Man kann sie nicht für sich allein, mit dem reinen, abgesonderten Sinn aufnehmen, sondern nur als Eigenschaft einer Substanz. Aber die Farbe entspringt darum im Innersten der Phantasie, weil sie nur Eigenschaft ist, in nichts ist sie Substanz oder bezieht sich auf sie. Also läßt sich von ihr nur sagen, sie sei Eigenschaft, nicht aber, daß sie eine Eigenschaft hätte. Darum sind die Farben für die Phantasielosen zu Symbolen geworden. In der Farbe ist das Auge rein dem Geistigen zugewandt, sie erspart den Weg des Schaffenden durch die Form in der Natur. Sie läßt im reinen Aufnehmen den Sinn unmittelbar auf das Geistige treffen, auf die Harmonie. Ein Sehender ist ganz in der Farbe, sie ansehen heißt den Blick in ein fremdes Auge versenken, wo er verschlungen wird, in das Auge der Phantasie. Die Farben sehen sich selbst, in ihnen ist das reine Sehen und sie sind sein Gegenstand und Organ zugleich. Unser Auge ist farbig. Farbe ist aus dem Sehen erzeugt und färbt das reine Sehen.

      georg Du hast sehr schön gesagt, wie in der Farbe das eigentlich geistige Wesen der Sinne, das Aufnehmen, erscheint, wie die Farbe als dieses Geistige, Unmittelbare der reine Ausdruck der Phantasie ist. Auch verstehe ich erst jetzt, was die Sprache sagt, wenn sie vom Aussehen der Dinge spricht. Sie weist eben auf das Gesicht der Farbe hin. Die Farbe ist der reine Ausdruck des Weltanschauens, die Überwindung des Sehenden. Durch die Phantasie berührt sie sich mit Geruch und Geschmack und es werden die vornehmsten Menschen Phantasie im ganzen Bezirk ihrer Sinne frei entwickeln. Ich wenigstens glaube, daß erlesene Geister Phantasien des Geruchs, ja des Geschmacks rein aus sich selbst empfangen, wie andere Phantasien der Farbe. Erinnerst du dich nicht an Baudelaire? Diese äußersten Phantasien werden sogar Bürgschaft der Unschuld sein, da nur die reine Phantasie, aus der sie fließen, durch Stimmung und Symbole nicht entweiht wird.

      margarethe Unschuld nennst du den Bezirk der Phantasie, in dem die Empfindungen noch rein als Eigenschaften an sich selbst leben, ungetrübt noch im empfangenden Geiste. Ist diese Sphäre der Unschuld nicht die der Kinder und der Künstler? Ich sehe nun klar, daß beide in der Welt der Farbe leben. Daß Phantasie das Medium ist, in dem sie empfangen und schaffen. Ein Dichter schrieb: »Ware ich aus Stoff, ich würde mich färben.«

      georg Empfangend zu schaffen ist die Vollendung des Künstlers. Diese Empfängnis aus Phantasie ist keine Empfängnis des Vorbilds sondern der Gesetze selbst. Sie würde den Dichter seinen Gestalten selbst vereinigen im Medium der Farbe. Ganz aus Phantasie schaffen, hieße göttlich sein. Es hieße ganz aus den Gesetzen schaffen, unmittelbar und frei von der Beziehung auf sie durch Formen. Gott schafft aus einer Emanation des Wesens, wie die Neuplatoniker sagen; da dieses Wesen nichts andres mehr wäre, als die Phantasie, aus deren Wesen der Kanon hervorgeht. Vielleicht erkannte der Dichter dies in der Farbe.

      margarethe So verweilen nur die Kinder ganz in der Unschuld, und im Erröten gehen sie selbst in das Dasein der Farbe zurück. In ihnen ist die Phantasie so rein, daß sie es vermögen. – Aber sieh, es hat zu regnen aufgehört. Ein Regenbogen.

      georg Der Regenbogen. Sieh ihn an; er ist nur Farbe, nichts an ihm ist Form. Und er ist das Sinnbild des Kanons, wie er göttlich aus der Phantasie hervorgeht, denn in ihm ist die Folge der Schönheit die der Natur. Sein Schönes ist das Gesetz selbst, nicht mehr in Natur, nicht mehr im Raum verwandelt, nicht mehr durch Gleichheit, Symmetrie und Regeln schön. Nicht mehr durch Formen, abgeleitet aus dem Kanon, nein, in ihm selbst schön. In der Harmonie, da Kanon und Werk zugleich ist.

      margarethe Und geht auf diesen Bogen als Sinnbild nicht alles Schöne zurück, in dem die Ordnung der Schönheit als Natur erscheint?

      georg So ist es. In der reinen Anschauung steht der Kanon und erscheint allein in der Farbe. Denn in der Farbe ist die Natur geistig und sie ist von ihrer geistigen Seite her rein farbig. Sie ist wirklich Urbild der Kunst nach ihrem Dasein in der Phantasie. Die Natur lebt innerst in ihr, als die Gemeinschaft aller Dinge, die nicht schaffend, nicht geschaffen wurden. In der reinen Anschauung empfing die Natur. Auf sie geht alle Gegenständlichkeit der Kunst zurück.

      margarethe Könnte ich dir sagen, wie vertraut die Farbe mir ist! Eine Welt von Erinnerung ist um mich. Ich denke an die Farben der Kinder. Wie ist sie dort überall das rein Empfangene, der Ausdruck der Phantasie. Verweilen innerhalb der Harmonie, über der Natur in Unschuld. Das Bunte und Einfarbige, die schöne seltsame Technik meiner ältesten Bilderbücher. Weißt du, wie dort überall die Konturen in einem regenbogigen Spiele verwischt waren, wie Himmel und Erde mit durchsichtigen Farben strichhaft getuscht waren! Wie die Farben geflügelt immer über den Dingen schwebten, sie recht sehr färbten und verschlangen. Denke an die vielen Kinderspiele, die alle auf die reine Anschauung in der Phantasie gehen! Seifenblasen, Teespiele, die feuchte Farbigkeit der Laterna magica, das Tuschen, die Abziehbilder. Immer war die Farbe möglichst verschwommen, auflösend, ganz monoton nüanciert, ohne Licht- und Schattenübergänge. Wollig manchmal, wie die bunte Wolle zum Ausnähen. Es gab keine Mengen, wie in den Farben der Malerei. Und scheint es dir nicht, daß diese eigene Welt der Farbe, die Farbe als Medium, als Raumloses, vortrefflich durch Buntheit dargestellt war? Eine zerstreute, raumlose Unendlichkeit der reinen Aufnahme, so war die Kunstwelt des Kindes gebildet. Ihre einzige Erstreckung war die Höhe. – Das Wahrnehmen der Kinder ist selbst in die Farbe zerstreut. Sie leiten nicht ab. Ihre Phantasie ist unberührt.

      georg Und alles, wovon du sprichst, sind doch nur verschiedene Seiten der einen gleichen Farbe der Phantasie. Sie ist ohne Übergänge und spielt doch in unzähligen Nüancen, sie ist feucht, verwischt die Dinge in der Färbung ihrer Kontur, ein Medium, reine Eigenschaft von keiner Substanz, bunt und doch einfarbig, eine farbige Ausfüllung des einen Unendlichen durch Phantasie. Sie ist die Farbe der Natur, der Berge, Bäume, Flüsse und Täler, aber vor allem der Blumen und Schmetterlinge, des Meeres und der Wolken. Durch die Farbe sind die Wolken der Phantasie so nahe. Und der Regenbogen ist mir die reinste Erscheinung dieser Farbe, die die Natur durchgeistigt und beseelt, ihren Ursprung zurückführt in die Phantasie und sie zum stummen angeschauten Urbild der Kunst macht. Endlich versetzt die Religion ihr heiliges Reich in die Wolken und ihr seliges in das Paradies. Und Matthias Grünewald malte die Heiligenscheine der Engel auf seinem Altar regenbogenfarbig, daß durch die heiligen Gestalten die Seele als Phantasie hindurchstrahlt.

      margarethe Die Phantasie ist auch die Seele der Traumwelt. Der Traum ist reines Aufnehmen der Erscheinung im reinen Sinn. Vom Traum begann ich zu sprechen; nun könnte ich dir meinen Traum noch weniger erzählen, aber du hast sein Wesen selber erschaut.

      georg In der Phantasie ist der Grund aller Schönheit, die uns im reinen Empfangen allein erscheint. Schön ist es, ja es ist das Wesen der Schönheit, daß wir das Schöne nicht anders als empfangen können, und nur in der Phantasie kann der Künstler leben und sich im Urbild versenken. Je tiefer Schönheit in ein Werk einging, desto tiefer ist es empfangen. Alle Schöpfung ist unvollkommen; alle Schöpfung ist unschön. Laß uns schweigen.

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