Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke. Walter Benjamin
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Название: Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke

Автор: Walter Benjamin

Издательство: Ingram

Жанр: Контркультура

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isbn: 9789176377444

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СКАЧАТЬ befindet noch fähig, dem er sich endlich entzieht. Einst fielen die Dinge auf seinen Weg, statt ihm zu begegnen, von allen Seiten bedrängten sie einen, der ständig flüchtete. Niemals kostete der Edle die Liebe der Unterlegnen. Er mißtraute, ob denn auch er gemeint sei von den Dingen. Meinst du mich? fragte er den Sieg der ihm zufiel. Meinst du mich? das Mädchen, das sich an ihn schmiegte. Also riß er sich aus seiner Vollendung. Erschien er dem Sieg doch als Sieger, der Liebenden als der Geliebte. Aber ihm war Liebe widerfahren und Sieg war ihm zugestoßen, während er den Penaten seiner Heimlichkeit Opfer brachte. Niemals war er dem Schicksal begegnet, an dem er vorbei lief.

      Als aber im Tagebuche die Hoheit des Ich sich zurückzog und das Rasen gegen das Geschehen verstummte, zeigten die Ereignisse sich unbeschlossen. Die immer fernere Sichtbarkeit des Ich, welches nichts mehr auf sich bezieht, webt den immer näheren Mythos der Dinge, die hinstürmen in bodenloser Neigung zum Ich, als unberuhigte Frage, nach Bestimmung dürstend.

      Der neue Sturm erbraust im bewegten Ich. Ausgesandt ist es als Zeit, in ihm selber stürmen die Dinge dahin, ihm entgegnend in ihrer fernenden, demütigen Richtung, dahin zur Mitte des Abstandes, zum Schoße der Zeit hin, von da das Ich erstrahlte. Und Schicksal ist: diese Gegenbewegung der Dinge in der Zeit des Ich. Und jene Zeit des Ich, in der die Dinge uns widerfahren, das ist die Größe. Ihr ist alle Zukunft vergangen. Der Dinge Vergangenheit ist die Zukunft der Ich-Zeit. Aber die Vergangenen werden zukünftig. Von neuem entsenden sie die Zeit des Ich, wenn sie eingegangen sind in den Abstand. Mit den Geschehnissen schreibt das Tagebuch die Geschichte unseres zukünftigen Seins. Und prophezeit uns also unser vergangenes Schicksal. Das Tagebuch schreibt die Geschichte unserer Größe vom Tode an. Einmal ist ja die Zeit der Dinge aufgehoben in der Zeit des Ich, Schicksal ist aufgehoben in der Größe, Abstände sind aufgehoben im Abstand. Einmal widerfährt uns der erstarkte Feind in seiner grenzenlosen Liebe, der alle unsere geblendete Schwäche sammelte in seiner Stärke, all unsere Nacktheit bettete in seine Leiblosigkeit, all unser Schweigen übertönte mit seiner Stummheit und alle Dinge heimbringt und alle Menschen endet – der große Abstand. Tod. Im Tode widerfahren wir uns selbst, es löst sich unser Tot-sein aus den Dingen. Und die Zeit des Todes ist unsere eigene. Erlöst gewahren wir die Erfüllung des Spieles, die Zeit des Todes war die Zeit unseres Tagebuches, der Tod der letzte Abstand, der Tod der erste liebende Feind, der Tod, der uns mit aller Größe und den Schicksalen unserer breiten Fläche in die unnennbare Mitte der Zeiten trägt. Der für einen einzigen Augenblick uns Unsterblichkeit gibt. Tausendfach und einfach ist dies der Inhalt unserer Tagebücher. Die Berufung, die unsere Jugend stolz abwies, überrascht uns. Aber sie ist nichts, als Berufung zur Unsterblichkeit. Wir gehen ein in die Zeit, die im Tagebuch war, dem Symbol der Sehnsucht, Ritus der Reinigung. Mit uns versinken die Dinge zur Mitte, mit uns erwarten sie uns gleich die neue Erstrahlung. Denn Unsterblichkeit ist nur im Sterben und Zeit erhebt sich am Ende der Zeiten.

      Um welches Vorspieles willen berauben wir uns unserer Träume? Denn mit leichter Hand drängen wir sie beiseit, in die Kissen, lassen sie zurück, während einige unser erhobenes Haupt lautlos umflattern. Wie wagen wir es, Wachende, diese hineinzutragen ins Helle? O, in der Helle! Alle unter uns tragen die unsichtbaren Träume um sich, wie tief verschleiert sind die Häupter der Mädchen, ihre Augen sind heimliche Nester der Unheimlichen, der Träume, ganz ohne Zugang, leuchtend vor Vollendung. Die Musik hebt uns alle zur Höhe jenes erleuchteten Strichs – du kennst ihn – der unter dem Vorhange durchbricht, wenn ein Orchester die Geigen stimmte. Der Tanz beginnt. Da gleiten unsere Hände alle aneinander ab, unsre Blicke fallen in einander, schwer, schütten sich aus und lächeln aus dem letzten Himmel. Unsere Körper berühren sich vorsichtig, wir alle wecken einander nicht aus dem Traume, rufen einander nicht heim in die Dunkelheit – aus der Nacht der Nacht, die nicht Tag ist. Wie wir uns lieben! Wie wir unsre Nacktheit behüten! Wir haben sie alle gefesselt in Buntes, Maskiertes, Nacktes-Versagendes, Nacktes-Versprechendes. Es ist in allen ein Ungeheures zu verschweigen. Aber wir werfen uns in die Rhythmen der Geigen, niemals war eine Nacht körperloser, unheimlicher, keuscher als diese.

      Wo wir allein stehen, auf einem Fuder Fanfaren, allein in der hellen Nächte-Nacht, die wir beschworen, bittet unser flüchtendes Gemüt eine Frau noch zu sich, die – ein Mädchen – steht in einer fernen Saalflucht.

      Sie schreitet über das Parkett, das so glatt liegt zwischen den Tänzern, als spiegele es die Musik, denn dieser glatte Boden, dem die Menschen nicht zugehören, schafft Raum für das Elysische, das die Einsamkeiten der Menschen zum Reigen schließt. Sie schreitet und ihr Schritt ordnet die Tanzenden, einige drängt sie hinaus, die zerschellen an den Tischen, wo der Lärm der Einsamen waltet, oder wo in Gängen Menschen gehen wie auf hohen Drahtseilen durch die Nacht.

      Wann jemals gelangte Nacht zur Helle und ward ausgestrahlt, wenn nicht hier? Wann jemals ward Zeit überwunden? Wer weiß, wen wir zu dieser Stunde treffen? Sonst (gäbe es ein »sonst«) waren wir eben hier, aber schon vollendet, sonst vielleicht gossen wir die Neige des abgebrauchten Tages fort und schmeckten den neuen. Aber nun gießen wir den schäumenden Tag über in das purpurne Krystall der Nacht, er wird ruhig und funkelt.

      Die Musik entrückt die Gedanken, unsere Augen spiegeln die Freunde rings umher, wie sich alle bewegen, umflossen von Nacht. Wirklich sind wir in einem Hause ohne Fenster, in einem Saal ohne Welt. Treppen geleiten hinauf und hinunter, marmorn. Hier ist die Zeit eingefangen. In uns regt sie nur noch manchmal widrig ihren ermüdeten Atem und macht uns unruhig. Aber ein Wort, hineingesprochen in die Nacht, ruft einen Menschen zu uns, wir gehen mit einander, die Musik war uns schon entbehrlich, ja im Dunklen könnten wir beieinander liegen, dennoch würden unsere Augen blitzen wie nur je ein blankes Schwert zwischen Menschen. Um dieses Haus wissen wir alle gnadenlosen, ausgestoßenen Wirklichkeiten flattern. Die Dichter mit ihrem bittern Lächeln, die Heiligen und die Polizisten und Autos, die warten. Manchmal dringt Musik hinaus, die sie verschüttet.

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      »Dichtermut« — »Blödigkeit«

      1914/5

      Die Aufgabe der folgenden Untersuchung läßt sich in die Ästhetik der Dichtkunst nicht ohne Erklärung einordnen. Diese Wissenschaft als reine Ästhetik hat ihre vornehmsten Kräfte der Ergründung der einzelnen Gattungen der Dichtkunst zugewendet, unter ihnen am häufigsten der Tragödie. Einen Kommentar hat man fast nur den großen Werken der Klassik angedeihen lassen, wo er außerhalb der klassischen Dramatik auftrat ist er wohl in höherem Grade philologisch als ästhetisch gewesen. Es soll hier ein ästhetischer Kommentar zweier lyrischer Dichtungen versucht sein, und diese Absicht verlangt einige Vorbemerkungen über die Methode. Die innere Form, dasjenige, was Goethe als Gehalt bezeichnete, soll an diesen Gedichten aufgewiesen werden. Die dichterische Aufgabe, als Voraussetzung einer Bewertung des Gedichts, ist zu ermitteln. Nicht danach kann die Bewertung sich richten, wie der Dichter seine Aufgabe gelöst habe, vielmehr bestimmt der Ernst und die Größe der Aufgabe selbst die Bewertung. Denn diese Aufgabe wird aus dem Gedichte selbst abgeleitet. Sie ist auch als Voraussetzung der Dichtung zu verstehen, als die geistig-anschauliche Struktur derjenigen Welt, von der das Gedicht zeugt. Diese Aufgabe, diese Voraussetzung soll hier als der letzte Grund verstanden sein, der einer Analysis zugänglich ist. Nichts über den Vorgang des lyrischen Schaffens wird ermittelt, nichts über Person oder Weltanschauung des Schöpfers, sondern die besondere und einzigartige Sphäre, in der Aufgabe und Voraussetzung des Gedichts liegt. Diese Sphäre ist Erzeugnis und Gegenstand der Untersuchung zugleich. Sie selbst kann nicht mehr mit dem Gedicht verglichen werden, sondern ist vielmehr das einzig Feststellbare der Untersuchung. Diese Sphäre, welche für jede Dichtung eine besondere Gestalt hat, wird als das Gedichtete bezeichnet. In ihr soll jener eigentümliche Bezirk erschlossen werden, der die Wahrheit der Dichtung enthält. Diese »Wahrheit«, die gerade die ernstesten Künstler von ihren Schöpfungen so dringend behaupten, soll verstanden sein als Gegenständlichkeit ihres Schaffens, als die Erfüllung der jeweiligen СКАЧАТЬ