Название: Die Tote im Stadl
Автор: Stefan Maiwald
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Servus Krimi
isbn: 9783710450297
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»Tschip und Tschop.«
Mehr Mitteilungsbedürfnis hatte Mirko nicht, und Kerschbaumer ließ ihn davonfahren. Die beiden Burschen im Fond hatten quer über ihre Stirn das Wort »Ärger« tätowiert.
9.Journalistenauftrieb
So etwas hatte Bad Kleinkirchheim noch nicht gesehen: Bei der Pressekonferenz waren gleich acht, nein, fast zehn Journalisten anwesend, also sozusagen die ganze Welt. Sogar echte Fernsehkameras wurden aufgebaut. Ein Urlaubsblogger aus Spittal mit dreihundertzweiundachtzig Followern auf Instagram filmte außerdem mit einer Handykamera. Volker Feiersinger hatte sich eine Krawatte umgebunden, die aber so schlecht saß, dass sie den obersten Knopf seines Hemdes freigab. Hilde Hofgärtner überspielte ihre Aufgeregtheit, indem sie Wasser und Saft verteilte sowie eine frische Kanne Kaffee und Gebäck aus der Bäckerei Weissensteiner heranbrachte. Sie stammte aus einer alteingesessenen Wirtsfamilie, außerdem hatte sie ein Gespür dafür, dass nur satte Journalisten zufriedene Journalisten waren. Das galt auch für Chefinspektoren, doch Kerschbaumer hielt sich aufgrund seiner Diätbestrebungen zurück. Schon bald wurde munter gemurmelt und gescherzt, neidisch beäugt von Kerschbaumer.
Kärntens Polizeipräsident Lutz-Heiko Heil sprach sich mit Kerschbaumer ab. Er teilte dem Wiener im Wesentlichen mit, dass er selbst alles Wichtige zu sagen gedenke, was Kerschbaumer mehr als recht war, denn Pressekonferenzen waren, wie generell alle öffentlichen Auftritte, noch nie seine Stärke gewesen.
Der Polizeipräsident – Kerschbaumer kannte ihn bereits von einigen gemeinsamen Sicherheitstagungen – war ein blutjunger Jurist, der auf dem Ticket der Regierungspartei eine rasche Karriere gemacht hatte. Mit seinen zurückgegelten Haaren sah Lutz-Heiko dem Politiker Sebastian Kurz nicht unähnlich, hatte aber ein nicht ganz so windschnittiges Gesicht. Er wirkte insgesamt eher wie ein Investmentbanker, allerdings überraschenderweise wie einer, dem man vertrauen konnte. Und das waren ja gemeinhin die gefährlichsten.
Die Pressekonferenz wurde im zweiten Raum der Polizeiwache abgehalten, der von den Büroplanern einst optimistisch als »Konferenzraum« bezeichnet worden war, nun aber mangels Konferenzen oder sonstiger Besprechungen in größerer Runde als Rumpelkammer diente und unter anderem ausrangierte Computermonitore und Feiersingers Skiausrüstung beherbergte. Feiersinger hatte alles in eine Ecke geschoben und notdürftig unter Wärmedecken versteckt. Außerdem hatte er einen Tapeziertisch aufgebaut, der für den Zweck eigentlich gut geeignet schien, bis sich herausstellte, dass die Platte zu dünn war, um die Mikrofonklemmen zu halten.
Von links nach rechts saßen jetzt Feiersinger, Kärntens Polizeipräsident Heil, Kerschbaumer und Hofgärtner am Tapeziertisch vor den Journalisten, die im Halbkreis von links nach rechts das Krone Hitradio, die beiden Tageszeitungen Kleine Zeitung und Krone, das neue Magazin Österreich Heute Aktuell und den Regional-TV-Sender ORF Kärnten repräsentierten. Ein Mann mit Standkamera, auf der ORF stand, filmte das Geschehen, was den Reiseblogger mit der Handykamera um seine Exklusivrechte brachte. In einem nachgeordneten Mini-Halbkreis hatten eben dieser Reiseblogger und eine Redakteurin von Radio Kärnten Eins Platz genommen. Zudem war ein Vertreter der APA da, der Austria Presse Agentur, der für eine Verbreitung der Meldung in nachgeordneten Medien sorgen dürfte. Der Bürgermeister Bad Kleinkirchheims, an dem die farbige Brille auffiel, war ebenfalls hereingekommen, hielt sich aber im Hintergrund, ebenso sein Stellvertreter, ein älterer, massiger Mann, der die Journalisten so abschätzig anblickte, als wären sie ein Wiener Schnitzel aus Schweinestatt aus Kalbfleisch.
Der Investmentbanker hatte die Meute ganz gut im Griff. Lutz-Heiko Heil berichtete kurz, was es zu berichten gab, und er blieb geschickt dürr, sachlich und souverän. »Sie werden verstehen, dass wir aus ermittlungstechnischen Gründen zu diesem Zeitpunkt keine weiteren Angaben machen können«, schloss er. Die Journalisten nickten verständnisvoll. Manche konnten auch nicht anders als nicken, weil sie die Backen voller Kekse hatten. Ach, das war hier doch etwas anderes als in Wien.
»Aber ob es einen Verdacht gibt, können Sie doch sicher sagen, ohne konkret zu werden?«, schnitt eine Zwischenfrage scharf durch die harmonische Blase.
»Nein.«
»Nein, dass es keinen konkreten Verdacht gibt, oder nein, dass sie es nicht konkret sagen können?«
All diese Fragen kamen vom Vertreter von Österreich Heute Aktuell, jener neuen, ambitionierten Zeitung, die ausschließlich mit klugen Reportagen und spektakulären Enthüllungen glänzen wollte und sich in der Werbekampagne neckisch ÖHA! abkürzte, stets mit aufdringlichem Ausrufezeichen (aktueller Slogan: »ÖHA! Für das tägliche AHA-Erlebnis!«). Die Reportagen waren flott geschrieben, doch der große Pflock im Boden, der das Magazin dauerhaft etablieren konnte, war bislang noch ausgeblieben. Fragesteller Franz Ferdinand Kluibnschädl, knapp über dreißig Jahre, hatte helle Haut, die leicht fiebrig wirkte. Er sah aus wie jemand, der viel zu lange in seinem Leben auf einen Computerbildschirm geblickt hatte. Im Mundwinkel flammte ein Pickel auf, an dem er sich offenbar schon ein wenig mit den Fingernägeln abgearbeitet hatte. Aber nun hatte er ja die Pressekonferenz, die seine gesamte Energie beanspruchte und rote Flecken auf seiner Haut produzierte.
»Letzteres«, antwortete ein leicht irritierter Heil.
»Fassen wir zusammen: Der Mörder läuft also noch frei herum, und in ein paar Tagen beginnt die Skisaison?«
10.Ein Sprung in die Adria
Draußen war es längst dunkel, Feiersinger hatte den Tag nach der Pressekonferenz für beendet erklärt, Kerschbaumer und Hofgärtner saßen noch vor den Computern.
»Hast du was über Mirkos Begleiter herausgefunden?«, fragte er Hilde.
»Ja. Und nein. Sie heißen Tomislav Dolinšek und Bogdan Pavlović.«
Kerschbaumer ließ die Namen ein paar Mal lautlos über seine Zunge gleiten, dann sagte er: »Ich denke, wir bleiben bei Tschip und Tschop.«
»Völlig unbeleckte Gestalten, neunzehn und zwanzig Jahre alt. Cousins. Was vielleicht erklärt, warum sie sich ähnlich sehen.«
»Sich ähnlich sehen ist eine charmante Untertreibung. Sie wirken wie Zwillinge.«
»Abgebrochene Schule, Gelegenheitsjobs, keine Vorstrafen. Einmal drei Monate Fahrverbot wegen zu schnellen Fahrens.«
»Tschip oder Tschop?«
»Tschop.«
»Mit schnellem Fahren haben sie es ja. Sonst nichts?«
Hilde hob bedauernd die Schultern.
Kerschbaumer surfte schließlich selbst ein wenig herum und kam auf Swetlanas Instagram-Account. Urplötzlich stand er im adriatischen Sommer, mit den Füßen im Sand. Sah Swetlana, wie sie im Bikini an den österreichischen Badeseen posierte, aber auch in fescher Tracht vor einem Holzstoß, als Wanderin in Funktionskleidung in einer Waldlichtung, die Hände freudig ausbreitend vor einem Weihnachtsmarkt, bei einem Kaffee in einer schicken Innenstadt-Bar.
Natürlich war das alles inszeniert, aber die Illusion des Glücks war nahezu perfekt. Und diese Bilder jetzt anschauen zu müssen tat erstaunlich weh. Die Unmittelbarkeit des Glückstheaters, der schreckliche Anblick der Leiche mit dem gerade in der winterlichen Kälte sich klar abhebenden Blutgeruch – das war eine arge Sache, auch für einen robusten Kerl wie Kerschbaumer, der in seinen СКАЧАТЬ