Leonard Bernstein. Michael Horowitz
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Leonard Bernstein - Michael Horowitz страница 4

Название: Leonard Bernstein

Автор: Michael Horowitz

Издательство: Bookwire

Жанр: Документальная литература

Серия:

isbn: 9783903083752

isbn:

СКАЧАТЬ durch entrückte Besessenheit, durch manische Lebensgier, durch hemmungslose Exzesse. Oft auch hinter einer Maske der Arroganz in einem prallen, wilden, glanzvollen – und oft traurigen – Leben.

      In Polen und Russland mussten während der ersten Pogrome zwischen 1881 und 1914 rund drei Millionen Juden ihre Heimat verlassen. Fast jeder Dritte davon war Musiker. Jüdische Emigranten, die während der ersten drei Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts im westlichen Musikbetrieb für Furore sorgten, waren die Dirigenten Otto Klemperer, Fritz Reiner, George Szell und Bruno Walter und Instrumentalisten wie Jascha Heifetz und Vladimir Horowitz, Nathan Milstein und Artur Rubinstein, Menschen und Musiker voller Witz, Sentimentalität und Schwermut, oft auch gepeinigt von inneren Kämpfen und Zerrissenheit, mitunter auch von Beziehungsschwierigkeiten.

      Die »Spezialität der Melancholie« (Joseph Roth) versuchte auch Vladimir Horowitz ein Leben lang zu überwinden. Er stammte aus dem »wilden Osten«, dem äußersten Nordosten der Donaumonarchie, wie auch Moses Joseph Roth, der Poet des sterbenden Habsburgerreichs, der in der galizischen Provinzstadt Brody geboren worden war. Bis zur russischen Grenze waren es kaum zehn Kilometer, aber mehr als 800 in die imperiale Hauptstadt Wien. Von 1772 bis 1918 war Galizien das größte Kronland der Monarchie. Seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert herrschte hier bittere Armut, jährlich starben mehr als 50 000 Menschen den Hungertod.

      Seine literarischen Arbeiten verfasste Moses Joseph Roth als Joseph Roth. Wollte er durch das Weglassen des Vornamens Moses, den er seinem Urgroßvater, einem Steinmetz, verdankte, nicht als Jude erkennbar sein? Doch seine Heimat in Galizien an der österreichisch-russischen Grenze ließ den ruhelos durch die Welt ziehenden Joseph Roth nie los. Der auch hier geborene Schriftsteller Karl Emil Franzos nennt Galizien, den letzten Vorposten europäischer Kultur, einen von polnischen Feudalherren beherrschten, fruchtbaren Landstrich, »Halbasien«. Deutsche, Armenier, Ungarn und viele andere Volksgruppen prägten den Alltag. »Der Wind, der über Galizien weht, ist bereits der Wind der Steppen, bereits der Wind von Sibirien«, schrieb Joseph Roth.

      Immer wieder kam es zu Spannungen, Kriegen und Grenzverschiebungen, sodass die Region ständig wechselnden Staatsgebilden angehörte. Ohne sich nur einen Zentimeter von der Stelle gerührt zu haben, fanden sich Familien als minder geachtete Bewohner der russischen Ukraine wieder. Die dunkelsten Momente in der Geschichte dieses Zwischenreichs waren die Demütigung und Unterdrückung der Juden – bis hin zu den Pogromen, den Massakern an der jüdischen Bevölkerung. Allein im Umkreis von Ternopil wurden während der Kriegsjahre 200 000 Juden ermordet. Rund sechzig Kilometer westlich von der einstigen Hauptstadt Krakau entfernt, liegt das Vernichtungslager Auschwitz.

      Im 1924 erschienenen Essay Reise durch Galizien schildert Joseph Roth noch voller melancholischer Sehnsucht seine Heimat, die untergegangene Welt der osteuropäischen Juden, die sein Denken und Empfinden ein Leben lang prägte: »Auf den Märkten verkauft man primitive, hölzerne Hampelmänner wie in Europa vor 200 Jahren. Hat hier Europa aufgehört? Galizien liegt in weltverlorener Einsamkeit und ist trotzdem nicht isoliert; es ist verbannt, aber nicht abgeschnitten; es hat mehr Kultur, als seine mangelnde Kanalisation vermuten lässt; viel Unordnung und noch mehr Seltsamkeit. Viele kennen es aus der Zeit des Krieges, aber da verbarg es sein Angesicht. Es war kein Land. Es war Etappe oder Front. Aber es hatte eine eigene Lust, eigene Lieder, eigene Menschen und einen eigenen Glanz; den traurigen Glanz der Geschmähten.«

      Joseph Roth hatte durchdringende, listige Augen eines Beobachters, Jägers, Reporters, eines Romantikers mit dem scharfen Blick eines Realisten. Er schrieb nicht nur viel, er trank auch viel. Zu viel. Die Getränke konnten nicht scharf genug sein. Der Alkohol, mit dem sich der große Dichter betäubte, beendete sein Leben. »Er hatte Glück bei den Frauen und wenig Glück mit ihnen«, meinte sein Freund, der Essayist Hermann Kesten, »… er beherrschte die Sprache wie Rastelli seine Bälle, wie Paganini seine Geige«.

      Personal musste oft Frau, Familie und Freunde ersetzen, wie etwa die junge Wirtin in dem kleinen Café in der Pariser Rue de Tournon, die den kranken Poeten wie einen Freund betreute. In einer Lade unter der Schank verwahrte sie bis zu seinem Ende sorgsam seine Dokumente und Manuskripte. Winselnd vor süchtigem Verlangen, starb Joseph Roth 45-jährig in einem Pariser Armenspital. Ein Heimatloser voller Weltschmerz, ein ewig Rastloser, »… wissend und hoffnungslos. Man ist durch ein Feuer gegangen und bleibt gezeichnet für den Rest seines Lebens.«

      KAPITEL 2

       Fischmarkt als Universität

      Das Leben ist ein dauerndes Bemühen.

      Bei Leonard Bernsteins Familie kann – anders als bei Familie Horowitz und ihrem Potpourri aus Dichtung, Fantasie und Wahrheit – die Abstammung bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts zurückverfolgt werden. Der Name Bernstein stammt vermutlich von früheren Bernsteinhändlern. Vorfahren waren Rabbiner und Schriftgelehrte, Leonards Urgroßvater Bezalel, um 1840 geboren, war Hufschmied. Weithin wurde der fromme, gesellige und wodkaliebende Handwerker geschätzt und respektiert: Er war so stark, dass er ganz allein eine Droshky, eine Kutsche, heben und ein Rad wechseln konnte. Als knapp Dreißigjähriger kam er bei einem Feuer in seiner Werkstatt ums Leben. Die Nachricht vom tragischen Tod des vierfachen Familienvaters verbreitete sich rasant.

      Man lebte in der Kleinstadt Beresdiw, in einem der Stetln Osteuropas, innerhalb eines Ansiedlungsrayons der Provinz Wolhynien zwischen Kiew und Rowno am Ufer des Kortschik, einem der Gebiete, das der jüdischen Bevölkerung Wohn- und Arbeitsrecht zugestand. Das Toleranzedikt der liberalen Katharina II. von 1773 hatte noch irgendwie Gültigkeit: »Humanitäre Grundsätze erlauben es nicht, dass einzig die Juden von der Gunst, die allen gewährt wird, ausgeschlossen bleiben, sofern sie sich wie bisher, als getreue Untertanen dem Handel und Handwerk widmen …« Dennoch litt die jüdische Bevölkerung jahrhundertelang unter Schikanen. Antisemitismus war salonfähig, das Ghetto wurde zur Institution.

      Wenn man aus dieser bedrohlichen Stetlatmosphäre ausbrechen wollte, waren die Möglichkeiten sehr begrenzt. Es gab den Traum von Amerika, die Illusion Südafrika und Lateinamerika, wo die Einwanderung von Juden erlaubt, manchmal sogar erwünscht war. Der kürzere Weg in ein anderes europäisches Land war zumeist nur mit Ablehnung verbunden. Ein mittelloser Jude aus dem fernen Galizien war nicht willkommen. Die Mutigsten beschlossen, den langen Weg nach Amerika zu wagen. Während der letzten zwei Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts verließ mehr als eine Million Juden Russland, um in den Vereinigten Staaten ihr Glück zu suchen.

      Leonard Bernsteins Vater Schmuel Josef wollte wie sein Vater und wie viele seiner früheren Vorfahren Rabbiner werden. Er war ein Mensch voll glühender Frömmigkeit, das Textbuch seines Lebens war der Talmud – die Sammlung der wichtigsten jüdischen Religionsgesetze –, den Schmuel als Wegweiser, als oberste Richtschnur sittlicher und gesellschaftlicher Moral empfand. »Wenn er eine Rede halten soll, beginnt er unweigerlich mit einem Talmud-Zitat. Er übergeht ihn auch nicht im täglichen Gespräch …«, erinnerte sich Leonard Bernstein in einem Aufsatz für das Gymnasium in Boston im Februar 1935, »… der Talmud ist sein unfehlbares Konversationslexikon … Er findet größeres Vergnügen an den vielen Geschichten, die der Illustration biblischer Feinheiten dienen, als an irgendeinem Roman. Er kennt kein einziges englisches Gedicht, weil ihm die Musik der talmudischen Prosa genug Zerstreuung bietet.«

      Doch die Verlockung der weiten Welt, die Sehnsucht des jungen Schmuel Bernstein nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten, war grenzenlos. 1903 floh sein Onkel Herschel Malamud gerade rechtzeitig vor Ankunft der zaristischen Stellungskommission – als Soldaten des Zaren mussten auch Juden dienen – aus seiner Heimatstadt Korez. Entschlossen begab er sich auf die ungewisse Seereise. Als Onkel Herschel in einem Brief berichtete, dass er in Hartford, einer Stadt in Connecticut, gelandet sei und als Friseurlehrling Woche für Woche einige Dollar verdiene, wusste Schmuel Josef, der seine Bar Mizwa schon hinter sich hatte, dass auch er die waghalsige Flucht unternehmen musste. Unter allen Umständen. Er erkundigte sich bei СКАЧАТЬ