Leonard Bernstein. Michael Horowitz
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Название: Leonard Bernstein

Автор: Michael Horowitz

Издательство: Bookwire

Жанр: Документальная литература

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isbn: 9783903083752

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СКАЧАТЬ es. Er brauchte, er suchte die menschliche Nähe und blieb – inmitten äußeren Trubels – immer ein Einsamer, trotz Ovationen, Kuss- und Umarmungsorgien. Es war ein wildes, unruhiges, oft trauriges Leben. Phasen exzessiver Lebensgier wechselten mit Zeiten tiefer Depression und Angst vor dem künstlerischen Versagen. Leonard Bernstein, der Kosmopolit, der charismatische Renaissancemensch, der durch ein ungeordnetes Privatleben taumelte, exzessiv feierte, bis zu hundert Carlton täglich rauchte und reichlich Ballantine’s Whisky trank. Immer wieder versuchte er, in Entwöhnungstherapien von Alkohol und Zigaretten loszukommen.

      »Das Wunderbare am Dirigieren ist«, meinte er, »dass man dabei nicht raucht und Sauerstoff in rauen Mengen einatmet.« Wie konnte ein Mensch, der sich privat dem Leben hemmungslos hingab, so versunken in die Musik sein und so konzentriert seine Tätigkeit als Dirigent, Komponist, Pianist und Pädagoge ausüben? Eines der Rätsel im Leben des phänomenalen Leonard Bernstein …

      Entspannung fand der Suchtmensch beim Schreiben von Gedichten, oder wenn er Kreuzworträtsel löste. In sechs verschiedenen Sprachen: Englisch, Französisch, Deutsch, Italienisch, Hebräisch, Spanisch. Oder bei einer Canastapartie mit Freunden. Egal wo: im Flugzeug, in Hotelhallen, Warteräumen – und sogar im Taxi, die Kartenhäufchen auf dem Schoß balancierend … Versuche der Entspannung für einen ewig Rastlosen.

      Leonard Bernstein war ein Ausnahmekünstler, dessen musikalische Lebenslinie sich schon als Bub abzeichnete. Er gab schon Klavierstunden, obwohl er selbst noch Unterricht bekam. Er war ein Vollblutmusiker, ein Vermarktungsgenie, das auch die Klaviatur der Publicity – Herbert von Karajan ähnlich – brillant beherrschte. Beide Herren waren dem Medienzeitalter viele Jahre voraus.

      Leonard Bernstein war der Euphorie fähig, aber auch der Zurückhaltung. Er gab hinter Umarmungen der Gesellschaft nur einen kleinen Teil seines Seelenlebens preis. Seine wilden, hemmungslosen Gesten haben viele Hörer und Kritiker irritiert. Sie stellten jedoch einen Teil seiner völligen Hingabe an die Musik dar. Er dirigierte immer, als sei er der Komponist, und zwar von Anfang an so extravagant und mit solch rauschhafter Begeisterung – voller kalkulierter Ekstase –, dass ihn manche des Exhibitionismus bezichtigten.

      Das Time Magazine verdächtigte ihn, er fülle die Konzertsäle »mit Hilfe eines Sexappeals, den er von sich gibt wie ein exaltierter Zitteraal«. Seine Gegner – für Kritikerlegende Joachim Kaiser die »vereinigten Gehörlosen« – meinten, er inszeniere beim Dirigieren immer nur sich selbst. Er tanze auf dem Podium nur herum. Kritiker Joachim Kaiser sah es anders: »Bei Bernstein erlebt man ein Fluidum von Wahrheit und Leidenschaftlichkeit. Seine Unmittelbarkeit, seine dramatische Vergegenwärtigungskraft, ist das Gegenteil von bloßer Selbstdarstellung.«

      Längst wurden Bücher und Dissertationen über das Leben Bernsteins verfasst. Wer sich in das Leben des Universalgenies vertiefen will, dem sei die Leonard Bernstein Biographie (Albrecht Knaus Verlag) von Humphrey Burton empfohlen. Diesem umfassenden Werk verdanke auch ich viele Informationen. Rund dreißig Jahre arbeitete der Brite Burton – Schriftsteller, Dozent an der Universität von Cambridge, BBC-Direktor und Regisseur klassischer Musikdokumentationen – an dem 800 Seiten starken Band.

      Das vorliegende Buch über Leonard Bernstein, der 2018 seinen hundertsten Geburtstag feiern würde, ist kein musikwissenschaftliches Werk. Accelerando und Adagio, Pizzicato und Presto, Staccato und Stringendo sind nicht die Bausteine dieses Bandes. Ich habe versucht, bunte Mosaiksteine aus dem Leben einer der prägendsten Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts zusammenzutragen. Dabei brachten mir unter anderem in Gesprächen und Beiträgen Gundula Janowitz und Christa Ludwig, Kurt Rydl und Otto Schenk den Menschen und Musiker Leonard Bernstein näher.

      Dieses Bernstein-Buch wurde auch zu einem Kaleidoskop des 20. Jahrhunderts. Kaum eine Zeit hat die Geschichte der Menschheit so geprägt wie die Jahre zwischen 1900 und 1999, einem Jahrhundert der Kriege, des Holocaust und des Kommunismus, der Entdeckungen, der Massenkommunikation und des gesellschaftlichen Wandels.

      Leonard Bernstein war ein Phänomen musikalischer, aber auch menschlicher Vielseitigkeit. Dieses Buch will auch die Geschichte des Humanisten und Idealisten Bernstein, der einen Teil seiner Gage Amnesty International und dem Kinderhilfswerk UNICEF spendete, erzählen.

      Ich habe Leonard Bernstein immer wieder in Wien und Salzburg getroffen – und war beeindruckt von einem großen Musiker und einem ganz großen Menschen.

      Michael Horowitz, Herbst 2017

      KAPITEL 1

       Im Armenhaus der Monarchie

      Um sich auf die Suche nach der Wahrheit begeben zu können, muss man trunken von der Fantasie sein.

      Beim Pianisten Vladimir Horowitz, mit dem der Autor dieses Buches nicht verwandt ist, liegen Dichtung und Wahrheit nah beieinander. Vladimirs Vater besaß auch viel Fantasie. Um seinem Sohn den Militärdienst zu ersparen und ihm eine Ausreisegenehmigung zu verschaffen, hat ihn der jüdische Elektroingenieur um ein Jahr jünger gemacht. Auch der offizielle Geburtsort Kiew trifft nicht zu. Vladimir wurde in der kleinen, von Pogromen heimgesuchten Stadt Berditschew geboren. Die Familie Gorowitz – auch den Namen änderte der Vater später in Westeuropa – zog erst nach der Geburt Vladimirs in das Zentrum der Ukraine, nach Kiew, um. Wenn Wolodja, das gehätschelte Musikgenie, ruhte, trugen die Eltern Filzpantoffeln. Seine Launen und melancholischen Anwandlungen wurden im Hause Horowitz gerne geduldet – man war selig, ein musikalisches Wunderkind in der Familie zu haben. Als Fünfzehnjähriger musste er erleben, dass Bolschewiken den Flügel aus dem ersten Stock des väterlichen Hauses stürzten. Das Leben wurde immer gefährdeter und gefährlicher.

      Auf dem Konservatorium in Kiew erregte Vladimir sehr bald Aufsehen und Bewunderung, trotz Hochmut, Wutanfällen und entrückten Eigenheiten. Komponist Sergei Rachmaninow, selbst ein gefeierter Pianist, war vom kapriziösen Einzelgänger begeistert und meinte 1931: »Bis ich Horowitz hörte, verstand ich nichts von den Möglichkeiten des Klaviers …« Ein Jahr später fand Vladimir die Begegnung seines Lebens: Der in die USA ausgewanderte »liebe Gott unter den Klavierspielern« trifft Arturo Toscanini. Bald ist Vladimir Horowitz sein Lieblingssolist – und Schwiegersohn und entwickelt sich zu einem der schillerndsten Musiker des 20. Jahrhunderts.

      Launen, Marotten und das ewige Flirten mit der Einmaligkeit seiner Genialität prägen sein Leben: »Wenn ich spiele, bin ich Engel und Teufel zugleich.« Er schläft bis mittags in komplett verdunkelten Räumen und gibt Konzerte nur um vier Uhr nachmittags. Der bekennende Hypochonder reist mit einer Mini-Wasserdesinfektions- und Entkalkungsanlage um die Welt, mit eigenem Bettzeug und tiefgefrorenen Hühner- und Seezungenfilets. Das Musikgenie aus dem Stetl in Galizien pflegt ein Leben lang das Image vom kapriziösen Klavierakrobaten: »Ich fühle mich wie ein Gladiator, der im Kolosseum vor einem blutgierigen Publikum kämpfen muss.« Als eine Verehrerin von Vladimir Horowitz auf der New Yorker Fifth Avenue fragte, ob sie ihn berühren dürfe, schäkerte der Adorierte: »Das kommt darauf an, wo …«, und ließ sich die Hände küssen. Im Mai 1987 tröstet das 82-jährige »senile Wunderkind« Besucher, die für das Konzert im Großen Musikvereinssaal keine Karten mehr ergattern konnten: »In fünfzig Jahren komm’ ich sowieso wieder …« Zwischen seinem ersten und zweiten Wien-Gastspiel waren sogar 52 Jahre vergangen.

      Die Erinnerung an Leid, Demütigung und Unterdrückung im »Armenhaus der Monarchie« blieb für viele jüdische Künstler ein Leben lang präsent. Und so mancher versuchte, traumatische Erinnerungen, die tragische Familiengeschichte im Stetl, ein Leben lang zu kompensieren. Sie blieben »überall als Fremdling kenntlich, das Pathos des Außenseiters im Herzen«, wie es Thomas Mann 1907 formulierte, СКАЧАТЬ