Название: New Hope City
Автор: Severin Beyer
Издательство: Автор
Жанр: Научная фантастика
isbn: 9783957771421
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»Wie kann man Sie erreichen? Haben Sie wenigstens einen Smartpod?«
»Ja, aber ich kann mir meine aktuelle Virtuelle Identifikationsnummer nicht merken. Warten Sie, sie ist in meinem Pod gespeichert. Ich kann nachschauen. Er müsste hier eigentlich irgendwo herumliegen …«
»Er liegt auch unter dem Bett«, meinte Steiner stoisch, der das Gerät schon längst entdeckt hatte. Genauso stoisch ließ er sich von Rien die Buchstaben- und Zahlenkombination diktieren, überprüfte sie und verabschiedete sich schließlich genauso wortkarg wie er gekommen war. Er ging und hinterließ eine große Angepisstheit, von der er nicht ansatzweise etwas ahnte.
Rien war an den Kühlschrank gegangen. Wahrscheinlich um nach etwas Essbarem zu suchen. Rivera kam es wie eine Verhöhnung durch die Schicksalsgöttin Fortuna vor, dass sich ausgerechnet die Person an seinem Kühlschrank zu schaffen machte, die er vor nicht einmal einer Viertelstunde darin hatte lagern wollen. War auf den ersten Blick alles gut gelaufen – er war den Polizisten losgeworden, hatte sich bei keinem Mord erwischen lassen, außerdem würde die Zeugenüberprüfung die Polizei ablenken und sie vielleicht sogar von seiner, in diesem Fall tatsächlichen Unschuld überzeugen – so lernte Rivera nun eine vollkommen neue Lektion: Auch Unsichtbarkeit hinterließ Spuren. Denn er war nicht nur auf keiner der Aufnahmen vom Erasmus zu sehen, sondern auch auf keiner der Aufnahmen von so ziemlich jeder Kamera des städtischen Videoüberwachungssystems!
Er war praktisch ein Geist. Dafür hatte er gesorgt, als er sich vor Jahren in das Polizeinetz gehackt hatte, um dort verdeckt seine Manipulationssoftware einzuspielen. Zwar überprüfte er regelmäßig, ob sein kleines Programm inzwischen entdeckt worden war, aber bisher vollkommen ohne Notwendigkeit. Die besten Hacker arbeiteten in der Wirtschaft, nicht für die Polizei. Aber nun wandte sich sein Genie gegen ihn. Angepisst setzte sich Rivera auf sein Bett.
»Wow! Ist das echtes Fleisch?«, hörte er Rien in ungläubiger Begeisterung ausrufen. Offensichtlich hatte er das Steak entdeckt. Riveras synthetische biologische Komponenten benötigten so gut wie keine Nahrung. Doch die seltenen Male, die er Nährstoffe zu sich nehmen musste, bevorzugte er etwas, das einst gelebt und gefühlt hatte. Das befriedigte ihn auf eine zutiefst dekadente Art und Weise. Natürlich war es echtes Fleisch, dachte der Penner denn, dass er irgendeinen synthetisch erzeugten Mist in sich hineinstopfte? Rivera vertrieb jeglichen Gedanken an Rien und fokussierte sich auf seine bevorstehende Aufgabe.
›Ich muss mich sofort in die Polizeidatenbank hacken und die Aufzeichnungen vom Erasmusplatz soweit manipulieren, dass ich darin auftauche. Das sollte ihre Zweifel zerstreuen und mir Zeit verschaffen. Und dann …‹ er stöhnte innerlich, als ihm die gesamte Tragweite seines Unterfangens bewusst wurde. Sollten die Ermittler wirklich mehr zu Riveras Person recherchieren, dann mussten die Videoaufzeichnungen sein öffentliches Leben nahezu lückenlos präsentieren.
Zu seinem Vorteil speicherte sein Quantenhirn sämtliche Erinnerungen. Unter Ausklammerung der Morde, die er begangen hatte, könnte er damit einen weitgehend realitätsnahen Verlauf seiner Aktivitäten in die Aufnahmen einbauen, sodass Rivera sich später nicht in unnötige Widersprüche verwickelte. Das war eine gewaltige Menge Arbeit, selbst mit den richtigen Programmen. Zwar hatte er die dafür notwendigen Apps, aber er musste schnell handeln. Für eine solche Datenmenge, die es unbemerkt und tadellos zu manipulieren galt, musste er sich mit seinem Bewusstsein vollkommen ins Netz einloggen. Das war keine Sache, die er einfach nebenher erledigen konnte, wenn er dies in der kurzen Zeit bewältigen wollte, die ihm noch blieb, bis der Kommissar wieder auf seinem Revier war, um die Videoaufnahmen zu checken.
»Hast du Hunger? Also ich hätte Hunger.« Rien stand neben ihm. In den Händen hielt er das in einer Recyclingverpackung eingeschweißte Stück Rindersteak.
»Verschwinde aus meiner Wohnung«, entgegnete ihm Rivera frostig.
»Ähm. Okay. Das kommt jetzt etwas überraschend«, sagte Rien sichtlich vor den Kopf gestoßen.
»Nimm das Steak und verschwinde sofort aus meiner Wabe.« Die Betonung lag auf ›sofort‹.
»Ist ja gut. Ich bin schon weg.« Verwirrt kramte Rien seine restliche Kleidung unter dem Bett hervor. Das Steak gab er dabei nicht mehr aus der Hand, schließlich war es eine absolute Delikatesse, unerschwinglich für jemanden wie ihn. Es wurde in der Europäischen Föderation nur noch in geringen Mengen produziert, da Nutztierhaltung viel zu viele Ressourcen erforderte. Nur so war die allgemeine Lebensmittelversorgung aufrechtzuerhalten.
Halbnackt, seine Kleidung und seinen unverhofften Schatz an sich gepresst, verließ Rien die Wohnung. Sehnsüchtig blickte Rivera ihm hinterher. Da verließ sie ihn, die verbotene Frucht. Da Steiner sie beide zusammen gesehen hatte, würde er Rien wohl erst töten können, wenn Steiner selbst tot oder zumindest pensioniert war. Das würde bei seinem Alter wahrscheinlich beides nicht mehr lange dauern, aber ein paar Jahre müsste Rivera sich sicher noch gedulden. Jetzt benötigte er Ruhe und alle Zeit, die er bekommen konnte.
Rivera veränderte die Holoumgebung, indem er den Telesender gegen ein Ambiente austauschte. Nach kurzer Überlegung entschied er sich für Space. Obwohl er nichts davon mitbekommen würde, stellte er den 3D-Modus ein. Die 3D-Hologramm-Umgebung vermittelte ihm das Gefühl, bei absoluter Stille mit seinem Bett um den Jupitermond Ganymed zu kreisen.
Rivera legte sich hin. Ein Check seiner Körperwerte verlief zufriedenstellend. Er konnte problemlos zwei Wochen ohne externe Energiezufuhr aushalten, sein Nährstoffspeicher war sogar noch für einen ganzen Monat gefüllt. Das sollte mehr als ausreichen. Er brauchte sicherlich nur ein paar Stunden, auch wenn diese unglaublich anstrengend werden würden. Die Wohnungstemperatur war etwas zu heiß, aber da die Belüftungssysteme in der gesamten Stadt schon seit Jahren auf ihre Erneuerung warteten, war das normal für diese Jahreszeit. Nachdem er alles überprüft hatte, loggte er sein Bewusstsein ins Netz ein.
Einmal hatte Rivera einen alten Abenteuerfilm gesehen, der den digitalen Raum gezeigt hatte, so wie ihn sich die Menschen früher vorgestellt hatten, lange bevor sie in der Lage gewesen waren, ihr Bewusstsein mit dem Cyberspace zu verbinden. Ach, was waren sie naiv gewesen; so bunt, so voller Möglichkeiten … Aber so war das Netz nicht. Als Netwalker wusste Rivera es genau. Der Cyberspace war unsichtbar, er war mehr ein abstraktes Gefühl. Hätte Rivera eine Farbe wählen müssen, um ihn zu beschreiben, dann hätte er wohl Grau gewählt. Ein Grau, das auf der Quantenbasis von Überlagerungszuständen existierte, die er genauso wahrnahm wie die Metagebilde, die diesen Raum durchzogen: die Programme.
Nein, das Netz war kein bunter Ort ungeahnter Möglichkeiten, beeindruckender Welten oder großer Abenteuer. Im Netz erschufen Gedanken auch nicht innerhalb von Sekundenbruchteilen ganze Programme oder Welten, wie es sich die Science Fiction-Autoren der Vergangenheit erträumt hatten. Als Netwalker zu programmieren war sehr viel mühseliger, denn auch Gedanken brauchten ihre Zeit, um konkret zu werden. Das einzige, womit die Denker der Vergangenheit recht behalten hatten, war die Tödlichkeit des Cyberspaces. Eine unachtsame Firewall, schon verarbeitete ein Virus den eigenen Verstand zu Gemüse, im schlimmsten Fall für immer. Deswegen war es auch verboten, sein Bewusstsein ans Netz zu koppeln. Wie nicht anders zu erwarten, gab es nichtsdestoweniger eine ganze Szene von Netwalkern, meist Wannabe-Rebellen, die irgendetwas gegen die Gesellschaft im Allgemeinen und das Establishment im Besonderen hatten. Unbestätigten Gerüchten zufolge setzten auch zahlreiche Regierungen in der Cyberkriegsführung auf Netwalker. Doch das waren – wie gesagt – nur Gerüchte.
Rivera startete seine Analyseprogramme, um das Netz in seinem Bewusstsein zu strukturieren. In ein paar Stunden sollte er mit den Videoaufzeichnungen fertig sein. Dann wäre er vorerst vor der Polizei sicher. Vorerst. Denn Rivera wusste, dass er erst wieder in Ruhe seiner Jagd nachgehen konnte, wenn er für die Ermittler uninteressant würde. Überließ er dies tatsächlich dieser Pfeife Steiner und СКАЧАТЬ