Название: Der Drachenzahn
Автор: Wolf Awert
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Drachenblut
isbn: 9783959591812
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Diese Antwort gab Dorman Einiges zum Nachdenken und beendete seine Fragerei.
Tamalone
Nachdem Tama die Lagerhalle verlassen hatte, hielt sie sich links und ging durch einen Torbogen. Dahinter begann ein Labyrinth. Die engen Gassen wurden noch enger. Von einem weiteren rechteckigen Platz zweigten gleich mehrere Sträßchen ab. Es roch gut hier, so als würde irgendwo gekocht, und sie stellte fest, dass sie Hunger hatte. Über den Dächern der Häuser konnte sie die runden Formen der Pilzhüte sehen, in denen die Stadtelfen lebten. Das erleichterte ihr die Orientierung. Kurz entschlossen betrat sie die erste Gasse, von der sie annahm, sie würde sie wieder auf eine größere Straße bringen. Doch weiter als bis zu den Türen von drei Häusern kam sie nicht. Auch die anderen Gassen endeten blind. So blieb am Ende nur ein weiterer Torbogen übrig, der so wenig Licht passieren ließ, dass Tama bereits nach wenigen Schritten im Dunkeln stand. Sie blickte zurück. Dort, von wo sie hergekommen war, zeichnete sich eine helle Hufeisenform aus weißem Sonnenlicht ab. Vor ihr war nichts als eine formlose Schwärze. Sie schob sich an der Wand entlang. Die Wand gab ihr eine Richtung und gleichzeitig hoffte sie, auf diese Art neugierigen Augen zu entgehen.
Es war schwer sich vorzustellen, dass dieses Dunkel irgendwo hinführte. Entweder waren alle Lampen zerstört worden, oder … Auf keinen Fall führte der Weg sie aus dieser Gegend heraus. Hier war sie falsch. Tama machte kehrt. Der weiße Halbkreis des Torbogens war noch da. Doch nun bildete er den Rahmen für eine Gestalt. Groß. Breite Schultern. Und viel zu lange Beine, als dass sie menschlich sein konnte. Tama ging mutig auf das Wesen zu, schickte ihren Geist voran und suchte eine Verbindung. Was sie fand, war Hass. Hass in einer so herzfüllenden Größe, dass kein anderes Gefühl daneben Platz hatte.
Auch die Gestalt hatte sich in Bewegung gesetzt. Sie ging unbeholfen, schaukelte mit dem Oberkörper und schwankte so sehr, dass es aussah, als würde sie beim nächsten Schritt das Gleichgewicht verlieren. In dem Licht des Platzes, das drei, vielleicht vier Körperlängen der Gasse erleuchtete, konnte sie nicht mehr erkennen als einen Umriss. Nein, vor ihr stand kein Mensch. Und das war auch kein Elf. Vor ihr stand ein - Monster!
Tama schalt sich wegen ihrer Wortwahl, die zu nichts taugte, als Panik aufsteigen zu lassen. Ein Tiermensch, korrigierte sie sich. Aber weder Wolf noch Bär. Also nicht ihre Reisegefährten, die mit ihr zusammen in NA-R angekommen waren, sondern ein wirkliches Monster. Tiermensch, verbesserte sie sich erneut. Es gab keine Monster, sondern nur Gestaltwandler mit Menschen- oder Elfenblut. Unerwünschte Gedanken über mögliche Eltern drängten sich auf. Tama vertrieb sie. Sie wollte nicht daran denken, wie seine Eltern zusammengekommen sein mochten und was sie getrieben hatten. Den aufkommenden Ekel konnte sie zwar kaum unterdrücken, aber sie würde kein Urteil fällen, ohne die ganze Geschichte zu kennen.
„Ich grüße Euch. Ich suche den Weg zu den Hauptstraßen und habe mich dabei verlaufen. Könnt Ihr mir helfen?“ Sie konnte nur hoffen, dass sie den Tiermenschen mit ihrer Gedankensprache erreichte. Jetzt wartete sie auf eine Antwort. Die kam so unerwartet wie ein Hagelschlag von blauem Himmel.
Der Hass verschwand von einem auf den anderen Moment, aber nur, um dann mit doppelter Stärke zurückzukommen. Das Monster sprang aus dem Stand nach vorn, machte einen einzigen Riesensatz bis zu ihr hin und riss sie um. Tama schlug mit dem Kopf auf und konnte für einen Augenblick nichts mehr sehen außer Sternen und Funken. „Nein, nicht“, wimmerte sie, als sie zwei geballte Fäuste über sich sah, die im Begriff waren, ihr den Kopf zu zertrümmern.
„Nicht nein, ja!“, hörte sie und dann kam der Schlag. Die Faust sah sie noch kommen, die eine und auch die zweite Faust, die in der Luft stillstand. Dann war nichts mehr.
Als sie wieder zu sich kam, lag sie im Dreck. Ihr war übel. Der Gestank um sie herum war unbeschreiblich. Sie drehte den Kopf. Links und rechts Mauerwerk. Über ihr Mauerwerk. Sie versuchte sich aufzurichten und stöhnte. Ihr Kopf dröhnte, aber sie war am Leben und konnte sogar etwas sehen. Hinter ihr gab es Licht, vor ihr war Dunkel. Aus dem Dunkel erhob sich eine Gestalt. Das musste das Mo…, der Tiermensch sein. Beine bis zum Himmel mit gewaltigen Oberschenkeln. Er trug Kleidung, wenn man die dreckigen Fetzen als solche bezeichnen wollte. Und immer noch umhüllte der Hass die schreckliche Gestalt. Aber nicht mehr wild flatternd wie eine Fahne im Wind. Eher dumpf und erdrückend.
Starke Arme, mächtige Fäuste. Sie tastete über ihre Stirn und zuckte zusammen. Die Faust musste sie irgendwo zwischen Schläfe und Wangenknochen getroffen haben. War sie dem Schlag im letzten Moment ausgewichen? Das war schwer vorstellbar. Andererseits, hätte diese Faust sie richtig getroffen, lebte sie nicht mehr. Froh, dass ihr Kopf wieder zu arbeiten begann, suchte sie die ersten Worte zusammen. „Ich heiße Tamalone“, sagte sie. „Aber meine Freunde nennen mich Tama. Seid Ihr mein Freund? Und wohnt Ihr hier?“
Der Tiermensch riss den Kopf hoch. Große Augen, glatte Haut. Kein Fell oder Gefieder und plötzlich ganz viele Gefühle auf einmal. Hass und Verzweiflung, ein Lachen, das nach Galle schmeckte. Aber auch leises Staunen. Dann wieder Wut. Wut ist besser als Hass, dachte Tama bei sich. Wut ist heiß, man kann sie kühlen. Hass ist kalt, und je älter er ist, desto schwieriger ist es, ein Feuer für ihn zu finden. Ich muss weiterreden. Er kann mich hören. Ich muss herausfinden, ob er mich auch verstehen kann. In Gedankensprache versuchte sie es erneut: „Es geht Euch nicht gut. Was fehlt? Wobei kann ich Euch helfen?“
„Torso. Hunger.“ Dann zeigte er mit dem Finger auf Tama, sagte noch: „Viel Fleisch“, und schüttelte dann ratlos den Kopf. Er öffnete ein paarmal das Maul. Ein Quaken und Blubbern und ein unverständliches Gurgeln. Dann wieder Gedankensprache in klaren, langsam und sorgfältig formulierten Worten: „Du kannst sprechen. Du bist Erste, die mit Torso spricht. Auch Schlangenauge spricht nicht, und der ist …“ Torso sprach ein Wort aus, das Tama nicht kannte, und unterlegte es mit Gefühlen wie Himmel, Größe, Allmacht, Wärme und Essen. „Was ist besser? Hunger und Sprechen oder runder Bauch und Schweigen?“ Er schüttelte wieder den Kopf.
„Runder Bauch und Reden“, sagte Tama.
„Geht nicht“, sagte Torso.
„Erst reden und dann essen.“
Torso schien nachzudenken. Dann nickte er sehr zögerlich. „Geht. Aber Torso will reden, essen und dann wieder reden.“ Er schaute Tama von Kopf bis zu den Knien an. „Das geht nicht“, sagte er.
„Wir werden einen Weg finden“, sagte Tama, stand auf, schwankte und wäre umgefallen, wäre Torso nicht losgesprungen und hätte sie aufgefangen. Und so standen sie zusammen. Torso hielt Tama fest, und Tama fühlte die Unentschlossenheit in diesem stinkenden Körper und die Unfähigkeit, eine Entscheidung zu treffen. Torso wusste wirklich nicht weiter.
„Halt mich fest. Mir ist noch ein wenig schwindelig.“ Sie klammerte sich an ihn und die Fetzen, die er trug, weil sie unter allen Umständen auf den Füßen bleiben wollte. Voller Zufriedenheit stellte sie fest, wie der Hass sich zurückzog. Er war immer noch da, und nichts würde ihn vertreiben können, aber er hatte sein Ziel verloren oder ein anderes gewählt, das nicht mehr Tama hieß. Nur die Verzweiflung war geblieben. Die allein würde schon dafür sorgen, dass der Hass zurückkam. Früher oder später. Aber bis dahin … Tama nahm Torsos Hand, zog ihn in Richtung Wand, wo die kleine Lampe brannte und rutschte an dem Mauerwerk herab. Torso zog sie mit sich. „Wer ist Schlangenauge?“, fragte sie.
„Er schickt mir manchmal jemanden zum Essen. Hat er dich auch geschickt?“
Tama schüttelte den Kopf. „Ich habe meinen Weg verloren, aber dafür habe ich dich gefunden.“
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