Schöne Tage 1914. Gerhard Jelinek
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Название: Schöne Tage 1914

Автор: Gerhard Jelinek

Издательство: Bookwire

Жанр: Документальная литература

Серия:

isbn: 9783902862754

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СКАЧАТЬ und militärischer Hilfe von Österreich-Ungarn zu einem eigenen Staat aufgeschwungen. Österreich-Ungarn und Italien wollten sich weiteren Einfluss am Balkan sichern und dem Königreich Serbien einen direkten Zugang zur Adriaküste versperren. Nach langen Verhandlungen und Kriegsdrohungen wurde dieses albanische Fürstentum schließlich auf der Londoner Botschafterkonferenz anerkannt. Bei der Suche nach einem Staatsoberhaupt verständigten sich die beteiligten Mächte auf einen protestantischen Fürsten, der religiöse Neutralität garantieren sollte. Unter den mehr als ein Dutzend Fürstenkandidaten war Wilhelm zu Wied ursprünglich nicht genannt worden. Angeblich hat ihn seine Tante, Königin Elisabeth von Rumänien, ins Spiel gebracht.17

      18. Jänner 1914 »Überwältigt von stürmischer Begeisterung«

      Die Münchner Kriminalpolizei arbeitet auch am Sonntag. Ein Beamter in Zivil klopft am 18. Jänner 1914 bei Familie Popp im dritten Stock der Schleißheimer Straße 34. Der Kunstmaler Adolf Hitler wohnt zur Untermiete bei der Schneiderfamilie. Er und sein Freund aus Wiener Männerheimtagen, Rudolf Häusler, leben in einem kaum 12 Quadratmeter großen Zimmer. Die Miete ist bescheiden: 5 Mark zahlen die jungen Männer. Der Kriminalpolizist überreicht Hitler eine Vorladung: Er soll sich zwei Tage später in Linz zur Musterung für den Militärdienst melden. Vorsorglich wird der österreichische Staatsbürger Hitler unter Arrest gestellt, um später den Behörden seines Heimatlandes übergeben zu werden. Am Sonntag darf der geschockte Maler aber in seinem Zimmer bleiben. Die Münchner Polizei hat die Linzer Vorladung mehrere Tage lang liegen gelassen. So kann Adolf Hitler am Montag einem Beamten des österreichischen Konsulats in München glaubhaft versichern, er schaffe es unmöglich, schon am nächsten Tag in Linz zu erscheinen. Sein verwahrlostes Äußeres unterstreicht die Behauptung, er habe kein Geld, um die Fahrt in die oberösterreichische Heimatgemeinde zur Musterung für den Militärdienst zu bezahlen. Hitler schickt noch am gleichen Tag ein Telegramm an den Linzer Magistrat und bittet, den Termin auf Februar zu verschieben. Die Stadtbeamten reagieren postwendend und ablehnend. Das Telegramm erreicht das Münchner Konsulat allerdings erst nach Dienstschluss. Und wieder dauert der Amtsweg. Hitler erfährt von der Ablehnung seines Gesuchs erst einen Tag, nachdem er in Linz zur Musterung hätte antreten sollen.

      Hitler hat Angst, zu einer Geld- oder gar Haftstrafe verdonnert zu werden. Die deutschen Behörden hätten ihn dann wohl nach Österreich überstellt. Genau das will er vermeiden. Hitler hat im Herbst 1913 Wien verlassen, weil er im Deutschen Reich sein Glück machen und dem Wehrdienst entgehen will. Aufforderungen zur Stellung hat der verhinderte Kunststudent schon mehrfach ignoriert. Die k. u. k. Militärbehörden hatten es allerdings auch nicht eilig, den Braunauer unter die Fahnen zu rufen. Immerhin war er ordnungsgemäß im Männerheim in der Wiener Meldemannstraße registriert gewesen.

      Diese Schlampereien der Militärbehörde überzeugen schließlich auch den Linzer Magistrat. Adolf Hitler darf im Februar zur Musterung nach Salzburg fahren. Die Reisekosten zahlt das Konsulat. Es ist vergeudetes Geld. Denn der Postkartenmaler entgeht dem Wehrdienst in der österreichisch-ungarischen Armee. Die Militärärzte befinden, Hitler sei zu schwach dafür. Er wird nach München zurückgeschickt. Auf eine Geld- oder gar Arreststrafe verzichten die Behörden.

      Adolf Hitler wird erst wieder im Sommer aus dem Nebel seiner unbedeutenden Existenz auftauchen. Er bejubelt mit Tausenden anderen am 2. August 1914 vor der Münchner Feldherrnhalle die Kriegserklärung Deutschlands an Russland. Auf dem Schwarzweiß-Bild ist der kleine, schmächtige 25-Jährige unscharf abgebildet, aber erkennbar. Zehn Jahre später wird er sich in seinem Buch Mein Kampf an diesen Tag erinnern (wollen): »Mir selber kamen die damaligen Stunden wie eine Erlösung aus den ärgerlichen Empfindungen der Jugend vor. Ich schäme mich auch heute nicht, es zu sagen, daß ich, überwältigt von stürmischer Begeisterung, in die Knie gesunken war und dem Himmel aus vollem Herzen dankte, daß er mir das Glück geschenkt, in dieser Zeit leben zu dürfen.«18

      19. Jänner 1914 »Zwischen den Telephonabonnenten wurden gezählte 350 499 Lokalgespräche geführt«

      Die Grazer telefonieren wieder mehr. Im Jänner 1914 veröffentlicht die Grazer Telegraphen- und Telephonbehörde die Statistik über die vermittelten Gespräche. Zwischen den »Telephonabonnenten« wurden gezählte 350 499 Lokalgespräche geführt. »Im interurbanen Verkehr betrug die Anzahl der Gespräche 6638.«

      Im gleichen Zeitraum haben die Grazer Postbeamten 20 746 Telegramme zugestellt, während auf den Postämtern 19 014 Telegramme abgesetzt wurden. Wer wollte, konnte rasch kommunizieren, in Graz, Wien, Prag oder Brünn.

      In den großen Städten wurde die Post mehrmals pro Tag zugestellt und ganz eilige Sendungen sausten mit einer Geschwindigkeit von bis zu 50 Stundenkilometern durch kilometerlange Rohrpostleitungen. Wien verfügte 1914 schon über ein Netz von Rohrpostanlagen, das 53 Postämter verband und sich unter der Stadt auf über 83 Kilometern Länge erstreckte. Pro Tag beförderte das System des »pneumatischen Röhrennetzes« bis zu 20 000 Zylinder durch die Rohrleitungen. Die Technik nutzte einfache physikalische Gesetze. In den Endstellen des Rohrpost-Systems im Telegrafenamt am Wiener Börsenplatz oder in der Magdalenenstraße beim Naschmarkt wurde mit gewaltigen Pumpen die entsprechende Druckluft erzeugt. Das Wiener Parlament verfügte über eine hochmoderne Rohrpostanlage, die die Kommunikation zwischen den zwei Dutzend Parteien und Fraktionen – zumindest technisch – im Eilzugstempo ermöglichte.

      Die Staatskanzleien in Wien, Paris, Berlin und Moskau griffen hingegen im amtlichen Verkehr eher selten zum Telefon, sie verließen sich auf die Tradition der Depeschen und diplomatischen Berichte, die oft Tage unterwegs waren.

      23. Jänner 1914 »Es wird lebhaft«

      Am 23. Jänner wird im Wiener Gemeinderat über eine »Erhöhung der Zuwendungen an Bedienstete und Unterbeamte der städtischen Straßenbahnen« diskutiert. Die Neue Zeitung druckt das Wortprotokoll der Sitzung, die wie so häufig im Chaos endet. Die beiden Massenparteien Christlichsoziale und Sozialdemokraten bleiben einander nichts schuldig. Der sozialdemokratische Abgeordnete Gemeinderat Skaret kritisiert den Zeitpunkt der Gehaltserhöhung für die Straßenbahnschaffner: »Wenn man wüßte, was in Wien vorgehen würde, so glaube ich, müßte man aus dieser Vorlage wissen, es müssen doch irgendwelche Wahlen im Zuge sein, denn nur zur Zeit von Wahlen erleben wir in diesem Gemeinderate Besserstellungen der Bezüge der städtischen Bediensteten.«

      Kloßberg (Christlichsozialer): »Jetzt ist’s Ihnen auch nicht recht!«

      Skaret: »Sie sind ja seinerzeit ausgezogen, den kleinen Mann zu retten.«

      Kloßberg: »Gewiß!«

      Skaret: »Den kleinen Mann haben Sie dadurch, daß Sie gegen die Hinaufsetzung des Existenzminimums waren, vollkommen aufgegeben, und nun verlegen Sie sich auf die Rettung des Mittelstandes. Ich muß schon sagen, Sie haben ja die Rettung des Mittelstandes bis heute mit außerordentlichem Erfolg betrieben. Es fehlen Ihnen ja nur noch 40 Heller zur vollständigen Rettung. Und nun kommen Sie mit dieser Vorlage! Sie betreiben von einer Wahl zur anderen eine sogenannte 20 Heller-Politik.«

      Im Saale kommt Unruhe auf.

      Die Neue Zeitung fasst die Stimmung zusammen: »Es wird lebhaft.«

      Der christlichsoziale Gemeinderat Angermayer kann die Kritik des Sozialdemokraten nicht so stehen lassen. Er geht zum Gegenangriff über. »Ich begrüße die Vorlage, weil sie ja wieder ein Zeichen der sozialen Fürsorge der christlichsozialen Mehrheit ist. Sie ist natürlich wieder berufsmäßig kritisiert worden!« Der Redner wendet sich hierauf gegen die Sozialdemokraten, denen er vorwirft, die Mehrbelastung der Steuerschwachen auch in der Zukunft ermöglicht zu haben. »Sie haben Ihre Parteigrundsätze verraten.«

      Das Illustrierte unabhängige Tagblatt registriert nach dieser Wortmeldung »neuerlichen, sich immer steigenden Lärm СКАЧАТЬ