Название: Gesammelte Werke: Romane & Erzählungen
Автор: August Sperl
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788075831439
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»Wie könnt Ihr denken, Herr! Diese sind ja noch schlimmer als die Papisten.«
»Und verurteilst den Mann, ohne ihn zu kennen?«
»So wird uns doch gelehrt,« verteidigte sich Portner. »Aber sagt, Herr, Ihr seid ja doch lutherisch – nicht wahr?«
Um den Mund des Zantners spielte ein Lächeln, und er antwortete nicht. Endlich sagte er: »Weißt du, Knabe, wie oft die Oberpfalz hat ihr Bekenntnis wechseln müssen in den letzten achtzig Jahren?«
»Unter des fünften Ludwig Durchlaucht selig,« antwortete Portner und begann an den Fingern aufzuzählen, »ist sie evangelisch worden Anno 1538; unter dem dritten Friedrich calvinisch, aber nicht ganz; Kurfürst Ludwig hat das reformierte Ministerium wieder abgeschafft Anno 1576 und hat die Bilder wieder in die Kirchen stellen lassen. Unter dem vierten Friedrich ist sie wieder calvinisch geworden. Also viermal, Herr. Wir Landsassen aber samt unsern Unterthanen haben immer lutherisch bleiben können, kraft der alten, verbrieften Rechte.«
»Viermal!« sagte der Zantner und begann im Turmzimmer hin und her zu gehen. »Und wenn du Kurfürst wärst, Knabe?« fragte er plötzlich und blieb vor dem Jüngling stehen. »Nun?«
»Dann müßte alles wieder lutherisch werden,« sagte Hansjörg bedächtig.
»Alles, alles!« rief der Zantner und begann aufs neue hin und her zu rennen. »Und was sich nicht beugen wollte, das müßte ins Elend – nicht?«
Hansjörg besann sich. Wieder blieb der Zantner stehen und bohrte seine Blicke auf ihn. »Du thätest alle Widerspenstigen vertreiben, gelt, Hansjörg?«
»Das nicht,« erklärte der Jüngling; »ich würde sie belehren.«
»Ohne ihren Glauben selbst recht zu kennen – nicht, Hansjörg?«
Portner schwieg, und der Zantner lehnte sich an ein Büchergestell.
»Glaubst du, Knabe, daß der Weltenherr, der die Fixsterne hält an ihren Oertern und nach heiligen Gesetzen die Erde und die Planeten alle kreisen läßt um den glühenden Sonnenball, der tausend Jahre durchlebt wie einen Tag und wie eine Nachtwache, der sich sättigt an der Harmonie der Sphären und ergötzt am knospenden Blatt wie am Kindlein in seiner Mutter Armen – glaubst du, Knabe, dieser Ewige kümmere sich darum, ob ihn das sterbliche Geschlecht lutherisch oder calvinisch oder papistisch anruft und ehrt? Glaubst du, er habe sein Ergötzen daran, wenn seine Kinder sich um des Glaubens willen verachten, hassen, verfolgen, vertreiben, einen blutigen Nacken machen, vierteilen, rädern, verbrennen – glaubst du das, Knabe?«
»Aber –« sagte Hansjörg und blickte fast entsetzt auf das Antlitz des kleinen Mannes am Büchergestell.
»Nein, nichts aber, nichts aber!« rief der Landsasse mit Heftigkeit. »Religion! Höchster Schmuck des aufrechtgehenden Menschen, reichster Besitz des ringenden Geistes, notwendiges Ende des Denkens, Sehnsucht, gesenkt in jedes Herz – hörst du, Knabe? – gesenkt in jedes Herz. Denn da ist nicht Lutheraner und nicht Calvinist, nicht Jude und nicht Papist, nicht Grieche und nicht Mohammedaner – hörst du, Knabe? – nicht einmal Heide – sondern allein Mensch. Mensch, Knabe! Alle haben sie Hunger und Durst, und alle haben sie, von Gott gepflanzt, in ihren Herzen das drängende Sehnen. Aber wozu macht man die Religion auf Erden? Dieser zum Deckel seiner Bosheit, jener zur Kette, an der er seine Mitmenschen als Knechte führt.«
Er ging an eines der andern Büchergestelle, riß ein Buch heraus und fuhr suchend in den Blättern umher.
»Kannst du französisch, Knabe? Nein, du kannst es nicht. Aber du mußt es lernen, und wenn auch nur um dieses Buches willen. Knabe, die Sonne steht hoch am Himmel, aber wer sieht sie? Komm, ich will dir's dolmetschen! ›Religion – als wäre sie weiches Wachs, formen die Hände an ihr. Religion – die einen fassen sie von der Linken, die andern von der Rechten, diese machen schwarz aus ihr, jene weiß. Alle aber gebrauchen sie gleichermaßen für ihre gewaltthätigen und ehrgeizigen Absichten, sind alle so gleichermaßen ungerecht, daß man gar schwerlich noch an eine Verschiedenheit ihrer Ueberzeugung zu glauben vermag. Seht nur die widerliche Schamlosigkeit, seht nur, wie man Fangball spielt mit den göttlichen Wahrheiten, sie zurückwirft und wieder hascht, je nach dem Orte, an dem man ihrer bedarf!«
Er klappte das Buch zu, stellte es an seinen Platz und lachte bitter auf: »Aber der im Himmel wohnet, spottet ihrer. – Wenn er sich überhaupt um das Getriebe und Gewimmel da herunten auf der winzigen Erde bekümmert. – Hast du mich ein wenig verstanden?«
»Wenn ich nicht wüßte, daß die Zantner gut lutherisch sind seit Menschengedenken, dann wäre ich irre geworden an Euch, Herr,« meinte Hansjörg nachdenklich. »Und Gott kümmert sich gewiß um einen jeglichen unter uns, fällt auch kein Haar von unsern Häuptern ohne seinen Willen,« sagte er mit großer Bestimmtheit. »Aber das, was Ihr mir aus dem welschen Buche vorgelesen habt, möchte ich noch einmal hören. Was für ein Buch ist denn das?«
Der Zantner schüttelte das Haupt: »Dieses Buch? Nein, Knabe, das ist doch jetzt noch nichts für dich!«
»Und es muß doch jeder zu dem Glauben, den er von Jugend auf bekennt, sich fest halten zeit seines Lebens? Das ist gewiß auch Eure Meinung, Herr!«
»Jeder muß danach trachten, seine Seele aus dem Gedränge nach innen zu ziehen und ihr die Unabhängigkeit und Kraft zu erringen, daß sie freien Urteils hinsehe auf die menschlichen Dinge. – Besseres als diesen Satz des großen Philosophen wüßte ich nicht,« antwortete der Zantner. »Doch sag an, guter Freund, was willst denn du dereinst werden? Soldat nicht, das hast du mir ja schon verkündigt.«
»Jurist,« rief Portner, und seine Augen leuchteten.
Da zuckte es um den Mund des Landsassen, seine Nasenflügel arbeiteten, und seine Augen funkelten in unsäglichem Hohne. Dann rieb er sein Kinn und sprach:
»Die Jurisprudenz ist aller Wissenschaften Krone, und der Jurist das erste unter allen Geschöpfen. Der Jurist weiß alles und kennt die Gründe jeglicher Erscheinung im Himmel, auf Erden und in der Hölle, und wenn er zufällig etwas nicht weiß, dann war's eben nicht wert seiner Wissenschaft. Er verwundert sich über nichts; denn er ist so mächtig, daß er alle Dinge zwischen zwei Aktendeckel bannen und mit Bindfaden verschnüren kann. Er irrt sich niemals: liegen zwei miteinander im Streite und es handelt sich überhaupt um eine gleichgültige Sache, so tritt er mit verbundenen Augen herzu, nimmt seinen Stab und schlägt, wie der Knabe nach dem Topfe, aufs Geratewohl. – ›Befinden‹ heißt er das in seiner Sprache. – Trifft er den Schuldigen, dann ist's recht; trifft er den Unschuldigen, dann ist's auch recht; recht behalten wird ja immer einer, und also wird immer einer von zweien loben des Richters Gerechtigkeit und Weisheit. Hat aber ein Kleiner Klage wider einen Großen, dann, ja dann, Knabe, ist's ein ander Ding: zwar legt er zum Scheine auch hier die Binde um seine Augen, aber gewiß keine ganz dicke, und schlägt drauf los mit großer Würde, und was er trifft, ist sicherlich der – arme irdene Topf. Die Paragraphen sucht er hinterdrein zusammen aus seinen Rechtsbüchern und klebt sie auf Recht und Unrecht wie auf Flaschenbäuche. Denn Recht und Unrecht lassen sich unter Paragraphen bringen, daß man Recht und Unrecht gar nimmer unterscheiden kann, und es ist eigentlich nur die Sonne im Weltall noch zu vergleichen mit der Jurisprudenz. Warum? Die Sonne ruht nicht, bis aus Weiß Schwarz wird, und aus Schwarz Weiß, und die Jurisprudenz ist wohl auch nur dazu vorhanden, daß es endlich so weit komme im heiligen römischen Reiche deutscher Nation. Heisa, wundert mich nur das eine, warum man schreibt und tituliert, ›rechtskundig‹? Utriusque iuris ist doch die Bezeichnung und der Titel? Also gebe man dem Juristen, was ihm gebührt, und nenne ihn, was er ist vor Gott und den Menschen: iuris utriusque СКАЧАТЬ